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Franziska Giffey macht es wie das Sandmännchen

Abgeordnetenhauswahlkampf Klaus Lederer will die rot-rot-grüne Koalition in Berlin gerne fortsetzen - aber nicht um jeden Preis

  • Martin Kröger
  • Lesedauer: 8 Min.

Die Wahlprognosen zeigen wilde Ausschläge. Wie werden Umfragen von einem Spitzenkandidaten wahrgenommen, welchen Stellenwert haben sie wirklich?

Ich nehme sie mit Interesse zur Kenntnis, da ich zum einen weiß, dass ein Abstand von drei Prozent zwischen Umfrage A und B zum selben Zeitraum auf deutliche Prognoseunsicherheiten hinweist, und zweitens wir in der Vergangenheit durchaus Überraschungen erlebt haben, und nicht zuletzt, weil ich meinen Wahlkampf mit voller Kraft mache, egal wie die Umfragen sind.

Zur Person
Klaus Lederer ist Europa- und Kultursenator sowie Vizesenatschef in der rot-rot-grünen Koalition in Berlin. Bei der Abgeordnetenhauswahl am 26. September setzt die Berliner Linke voll auf den Politiker Lederer. Der 1974 in Schwerin geborene und in Frankfurt (Oder) sowie Berlin aufgewachsene Lederer hat extrem hohe Sympathiewerte als Kultursenator gesammelt. Zuletzt sprachen sich sehr viele Kulturschaffende für Lederer als Kultursenator aus. Als Spitzenkandidat ist der 47-Jährige aber auch für die großen Linien zuständig. Im Gespräch mit »nd« erläutert Lederer, welche Haltelinien es für ihn für eine Neuauflage des rot-rot-grünen Bündnisses gibt und wie er die schlechten Umfragewerte der Partei bis zum Wahltag noch ändern will. Über seine Ziele und Konflikte mit der SPD-Spitzenkandidatin sprach mit ihm Martin Kröger.

Die Linke ist angetreten, um die Wahl nicht nur mit drei Prozent in die oder die andere Richtung zu bestreiten, sondern um zu gewinnen. Dieses Ziel scheint derzeit, wenn man den Umfragen Glauben schenkt, weit entfernt zu liegen. Wie wollen Sie das bis zum Wahltermin ändern?

Wir gehen mit unseren Kernthemen auf die Menschen zu. Dazu haben wir eine Menge Formate, von Haustürwahlkampf, über Stände im Straßenraum, eine Kochtour, Besuche in den Bezirken, bei Initiativen und sozialen Einrichtungen bis hin zu Aktionen im digitalen Raum. Ich war tatsächlich erstmalig auf der Plattform Tiktok unterwegs, mit spannenden, kurzen Clips, rund um unsere Schwerpunkte.

Die wären?

DAS Kernthema ist Wohnen und Mieten, das Zuhause der Berliner*innen, zudem wollen wir den sozialen Zusammenhalt stärken, aber ebenso die Umwelt- und Verkehrswende voranbringen. Keine Partei, und erst recht keine linke Partei, kann heute die Klimaveränderung ignorieren. Es gibt Verbände im Umweltbereich, die sagen, dass wir ehrgeiziger sind als die Grünen. Ein sehr wichtiger Punkt für mich sind die öffentlichen Dienstleistungen und Investitionen. Die Pandemie hat gezeigt, wo die wunden Punkte der Infrastrukturen in Berlin sind.

In der nächsten Legislatur geht es darum, wer zahlt die Zeche für die Krise. Sie haben selber im Kulturbereich Hilfsprogramme aufgelegt. Wer finanziert das?

Wir haben im Senat gerade den Doppelhaushalt für 2022/23 beschlossen, der dann im neuen Abgeordnetenhaus verabschiedet werden muss. Da schaffen wir es mit geringfügigen Steigerungen weiterhin auf dem Niveau Finanzpolitik zu machen, wie wir es in den vergangenen Jahren gemacht haben. Für 2024/25 klafft allerdings eine Finanzlücke.

Das heißt, die Investitionen werden dann nicht so fortgeführt werden können? Was ist dann mit der Schulbauoffensive in Zukunft?

Das ist der zentrale Punkt, wir müssen uns die Frage stellen, wie eine Kreditaufnahme - und ich fordere die nach der Wahl pandemiebedingt! - möglich ist. Es macht keinen Sinn, in die Krise hineinzusparen. Stichwort öffentliches Gesundheitswesen, man sieht die Investitionsnotwendigkeiten deutlicher denn je. Da das Geld nicht sprudelt, setzen wir Schwerpunkte. Ich staune, dass die Spitzenkandidaten von SPD und CDU im Augenblick durch die Stadt rennen und allen alles versprechen. Das ist für mich keine seriöse Politik. Und ja - wir werden auch die Hilfe des Bundes brauchen.

Sie sprachen Ihre Mitbewerberin Franziska Giffey an. Sie verteilt nicht nur Herzchen, sondern zieht rote Linien für eine Neuauflage von Rot-Rot-Grün. Stichwort: Enteignungen sind abzulehnen. Politik per Ansage. Was löst das bei Ihnen aus?

Ob hier in Berlin die Vergesellschaftung von Wohnungsbeständen angegangen wird oder nicht, entscheiden die Berlinerinnen und Berliner. Und deswegen werbe ich auch dafür, dass möglichst viele beim Volksentscheid mit Ja stimmen, es braucht ein starkes Signal. Jede Koalition nach der Wahl muss sich dann damit auseinandersetzen. Deshalb halte ich das nicht für ein Thema von Koalitionsverhandlungen. Über Ressorts und eine Koalition entscheidet im Übrigen nicht eine Spitzenkandidatin.

Frau Giffey blinkt kräftig nach rechts, ist das nur Taktik, um die Mitte zu gewinnen und die CDU und FDP kleinzuhalten am Wahltag?

Natürlich nehme ich zur Kenntnis, dass die inhaltlichen Signale, die Franziska Giffey sendet, eher etwas mit CDU- und FDP-Politik zu tun haben als mit - nach meinem Verständnis - sozialdemokratischer Politik. So gesehen müssen wir genau das tun, was wir seit Wochen tun: Kämpfen für eine starke Linke! Denn das ist die Garantie dafür, dass die Diskussion über ein progressives Bündnis für die Stadtpolitik Thema bleibt.

Haben Sie auch selber rote Haltelinien?

Sicher: Die Rückkehr zur pauschalen Minderausgabe als Leitmotiv der Finanzpolitik kann und wird es mit der Linken nicht geben. Eine Politik, die sagt, der Markt regelt das alles, und die Politik beschränkt sich auf das Durchschneiden roter Bänder, wird es mit der Linken nicht geben. Eine Politik, die sich auf große Überschriften fokussiert, ohne die mit den Berlinerinnen und Berlinern gemeinsam zu entwickeln, wird es mit der Linken nicht geben. Berlin kann man mit Basta-Politik nicht regieren. (Basta!)

Heftig diskutiert wird auch die Verkehrspolitik. Es geht um Stillstand oder Fortschritt sagen die Grünen. Auch Die Linke hat bei ihrem Kleinen Parteitag auf Attacke umgeschaltet. Geht es jetzt am 26. September um eine Richtungswahl?

Ganz klar. Die SPD trägt seit Jahrzehnten politische Verantwortung in dieser Stadt. Zwischen 2011 und 2016 lag das Feld für eine soziale Stadtpolitik nahezu vollständig brach. Durch pures Nichtstun wurde der Start von Rot-Rot-Grün mit einem großen, schweren Rucksack belastet. Das war in fünf Jahren alles überhaupt nicht zu erledigen. Ein Beispiel: Das Ziel, 2040 klimaneutral zu werden, schaffen wir nicht, wenn wir erst 2026 oder 2027 damit anfangen. Und die SPD, insbesondere die Spitzenkandidatin, die überall sagt, Veränderungen machen nur Probleme, macht euch keine Sorgen, ich regle das alles, macht es wie das Sandmännchen: Sie erzählt schöne Geschichten, sie streut den Leuten Sand in die Augen und hofft, dass sie danach gut schlafen. Ich hoffe, dass die Berlinerinnen und Berliner sehr, sehr wach sind.

Wie ist ihre Strategie? Möglichst wenig Fehler machen oder angreifen, wie Sie es eben vorgemacht haben?

Was die inhaltlichen Fragen angeht, waren wir immer auf Attacke. Wir sind bei aller Attacke jedoch berechenbar. Am wichtigsten ist der direkte Kontakt mit den Berlinerinnen und Berlinern. Zwar kann ich nicht alle 3,7 Millionen Menschen innerhalb von vier, sechs Wochen direkt erreichen. Dafür braucht es die Mitglieder unseres Landesverbandes, die das unheimlich toll machen.

Zuletzt gab es eine Unterstützungsanzeige von Kulturschaffenden.

Das hatte ich nicht erwartet. Dass 100 Kulturleute so eine Unterstützungsadresse formuliert haben, das macht mich stolz. Das zeigt: Es gibt in der Stadt einen Resonanzraum für linke Politik, für linke Kulturpolitik. Ich könnte mir die zugespitzte Wahlkampfauseinandersetzung sparen, wenn alle Messen schon gesungen wären. Mir fällt auf: Die Zahl der Unentschiedenen, die noch nicht wissen, wen wählen, hat massiv zugenommen. Andererseits hat die Zahl der Briefwählerinnen und Briefwähler, die weit vor dem Wahltag ihre Stimme abgeben, stark zugenommen. Im Rahmen dieses Feldes bewegen wir uns. Und wir müssen einfach jeden Tag und jede Minute und jede Gelegenheit nutzen, mit unseren Inhalten an die Menschen zu kommen. Alles ist möglich.

Die Konkurrenz unkt, der Klaus Lederer will ja nur Kultursenator bleiben. Was entgegnen Sie? Sie wollen ja eigentlich Regierender Bürgermeister werden?

Wenn ich Regierender werden würde, wäre das für die Kultur mit Sicherheit auch gut. Deshalb kämpfe ich um jede Stimme. Wahr ist, anders als die anderen Kandidatinnen und Kandidaten für das Amt leite ich noch ein Ressort - mit großer Freude übrigens.

Ist es im Wahlkampf ein Nachteil, noch Vizesenatschef zu sein, der unter anderem mit Krisenmanagement befasst ist?

Das ist so. Und ich habe, ohne dass ich damit öffentlich hausieren gegangen bin, in diesem Senat auch versucht, die strategisch weiterdenkende Dimension in die Debatten um das Corona-Krisenmanagement einzubringen. Wir dürfen nicht vergessen, die Pandemie ist immer noch da. Ich habe immer noch damit zu tun, mit Nothilfeprogrammen, mit Hygienekonzepten und Öffnungsszenarien.

Zurück zur Wahl. Wir können uns nicht erinnern, dass eine linke Kampagne so stark auf eine Person zugespitzt wurde wie bei Ihnen. Haben Sie Angst, dass Sie am Ende, wenn es schlecht laufen sollte, für alles verantwortlich gemacht zu werden?

Es ist ein komisches Gefühl, wenn ich diese großen Plakate sehe. Der Landesverband hat entschieden, auf Personalisierung zu setzen. Das hätte die Partei nicht gemacht, wenn meine Bilanz so gewesen wäre, dass man sich damit verstecken muss. Wir sind mit einer guten Arbeitsteilung und sehr geschlossen in die Wahlvorbereitungen gegangen. Da haben wir in den vergangenen 15 Jahren im Landesverband eine große Lernkurve hinter uns gebracht.

In der Linken beschweren sich einige, dass trotz der personellen Zuspitzung die Partei zu wenig in den Medien vorkommt. Sehen Sie das auch so?

Damit müssen wir umgehen, statt zu klagen. Ich punkte damit, dass ich der Einzige bin, der über Jahre hinweg reale Erfahrung beim Umgang mit den Problemen dieser Stadt gesammelt hat. Und gerade in den vergangenen anderthalb Jahren auch Krisenmanagement leisten musste.

Der Slogan »Mit euch mach ich das«, was heißt das?

Das Schöne an offenen Formulierungen ist, dass sie sehr viel Interpretationsraum zulassen. Ich habe schon sehr, sehr witzige Interpretationen gehört, die ich an dieser Stelle nicht wiedergeben will. Aber in erster Linie soll es eines ausdrücken: Dass Die Linke Politik mit den Leuten und für die Leute macht, eben nicht über ihre Köpfe hinweg. Uns geht es nicht darum, von oben herab von der Kanzel mit erzieherischem Duktus den Leuten zu erklären, was gut für sie ist.

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