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  • Rechte Gewalt vor Gericht

Angeblich alles rechtschaffen

In Mühlhausen wurde der Prozess gegen zwei Männer wegen eines brutalen Neonazi-Überfalls auf Journalisten eröffnet

  • Joachim F. Tornau, Mühlhausen
  • Lesedauer: 4 Min.

Wäre da nicht die Farbe der Hemden, man könnte Nordulf H. und Gianluca B. kaum auseinanderhalten. Beide betreten den Gerichtssaal am Landgericht Mühlhausen am Dienstag ganz in Schwarz, tragen die gleiche Basecap, die gleiche Sonnenbrille, die gleiche dunkle Jacke. Akkurat könnte man ihre nahezu identische Haartracht nennen. Oder ordentlich, das würde wohl besser zu ihrem Weltbild passen: Die beiden Männer, der eine im weißen Hemd, der andere im blau-weiß-karierten, sind militante Neonazis.

Die Staatsanwaltschaft wirft H., 22 Jahre alt, und B., 27, gemeinschaftliche gefährliche Körperverletzung, schweren Raub und Sachbeschädigung vor. Sie sollen zwei Göttinger Journalisten, die auf Recherchen über die rechte Szene spezialisiert sind, angegriffen, schwer verletzt und ihnen die rund 1500 Euro teure Fotoausrüstung geraubt haben.

Nordulf H. ist der älteste Sohn von Thorsten Heise, einem der wichtigsten Drahtzieher der extremen Rechten in Thüringen, und Gianluca B. gilt als Heises Ziehsohn. Beide leben in dem thüringischen Dorf Fretterode nahe der Grenze zu Hessen und Niedersachsen. Heise, dem ehemaligen NPD-Bundesvorstandsmitglied, Gründer der rechten »Kameradschaft Northeim«, Rechtsrockhändler und Konzertveranstalter, gehört seit rund 20 Jahren das mächtige Gutshaus mitten im Ort. Es ist ein wichtiger Treffpunkt der militanten Rechten.

Am 29. April 2018 waren die beiden Journalisten nach Fretterode gefahren, weil sie von einem größeren Neonazitreffen im Hause Heise gehört hatten. Sie fotografierten, wurden bemerkt, traten in ihrem Auto die Flucht an. Was dann folgte, klingt in der Anklage wie eine Menschenjagd: Nordulf H. und Gianluca B. hätten die Journalisten mit Heises Pkw so lange verfolgt, bis der Wagen ihrer Opfer in einem Straßengraben landete. Worauf die beiden Neonazis zum brutalen Angriff übergegangen seien. Mit einem rund 60 Zentimeter langen Schraubenschlüssel, einem Messer, einem Baseballschläger und Reizgas. Am Ende hatte einer der Journalisten einen gebrochenen Schädel, der andere eine Stichverletzung im Bein. Ihr Auto war völlig zerstört, die Scheiben eingeschlagen, die Reifen zerstochenen. Und ihre Kamera war weg - nicht aber der Speicherchip mit den Fotos. Den hatten sie noch rechtzeitig verstecken können. Eines der Fotos, mittlerweile vielfach veröffentlicht, zeigt den vermummten Nordulf H., wie er mit dem Schraubenschlüssel in der Hand auf den Fotografen zurennt.

Bislang hatten die Angeklagten zu den Vorwürfen geschwiegen. Beim Prozessauftakt präsentieren sie nun über ihre Verteidiger Wolfram Nahrath und Klaus Kunze - beide bekannte Szene-Anwälte - eine eigene Version der Ereignisse. Besonnen und rechtschaffen geben sie sich darin, als die eigentlichen Opfer, unschuldig heimgesucht von Männern, die für sie keine Journalisten, sondern gewaltbereite Antifa-Aktivisten sind.

»Es tut mir leid, dass ich an dem Auto Scheiben und Rücklichter eingeschlagen habe«, trägt Nahrath für seinen Mandanten Nordulf H. vor. Mehr aber habe er nicht getan. Nicht zugeschlagen, nicht zugestochen - und schon gar nicht habe er die Fotoausrüstung geraubt. »Ich habe in meinem Leben noch nie etwas gestohlen oder weggenommen.« Gleich zweimal, behauptet H., hätten ihn die Göttinger bei ihrer Flucht überfahren wollen. »Wäre ich nicht weggesprungen, wäre ich schwer verletzt oder tot.« Auch der Angriff mit Baseballschläger, Reizgas und Metallstange sei allein von ihnen ausgegangen.

Aber warum dann die Verfolgung? Nur um das Autokennzeichen feststellen zu können, betont der Heise-Sohn: »Für die Polizei.« Und um die Löschung der Fotos zu erreichen, aus Angst, dass sie sonst auf »Fahndungsplakaten der Antifa« landen könnten. Glaubt man H., dann fand auf dem Heise’schen Anwesen in Fretterode an jenem Frühlingstag auch kein Neonazitreffen statt. Sondern es stand, wie jeden Sonntag, das gemeinsame Familienessen an. »Mein Opa hatte einen Tisch für die ganze Familie in einer Gaststätte reserviert.«

Alles gutbürgerlich, alles ordentlich - das soll die Botschaft sein, die Rechtsanwalt Kunze auch für Gianluca B. unterstreicht. Nicht einmal eine wirkliche Verfolgungsjagd hat es demnach gegeben. »Meinerseits war es ein Hinterherfahren«, heißt es in der von Kunze verlesenen Erklärung von B. »Ich wollte mein Auto nicht gefährden und kein Straßenrennen veranstalten.« Eine Darstellung, die Fragen aufwirft. Wenn der Prozess am Donnerstag weitergeht, sollen sie gestellt werden.

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