Der Krieg vor dem Krieg gegen den Terror

Die US-Truppen waren bereits am 19. September 2001 in einer Geheimmission in Afghanistan

  • René Heilig
  • Lesedauer: 3 Min.

Am 30. August 2021 verließ - ein Nachtlichtfoto belegt es - Generalmajor Christopher Donahue Kabul. Er war nach fast zwei Jahrzehnten Krieg der letzte US-Soldat auf afghanischen Boden. Die Frage, wer beim Überfall auf das Land zuerst seinen Stiefel auf afghanischen Boden setzte, ist nicht so leicht zu beantworten. Obwohl es auch davon ein Foto gibt. Es zeigt schwer bewaffnete Männer in Kampfmontur. Sie sitzen mit Seilen gesichert auf Munitionskisten im offenen Heck eines in Russland gebauten Mi-17-Hubschraubers. Doch die Gesichter der Männer wurden unkenntlich gemacht.

Zum Verständnis gehören weitere Fakten. Am 11. September 2001 verübten islamistische Fanatiker bis dahin unvorstellbare Flugzeugattentate in den USA, bei denen Tausende Menschen starben. Präsident George W. Bush kündigte Vergeltung an und nahm zum ersten Mal in der Geschichte der Nato alle Allianzmitglieder in die Pflicht. Nachdem sich die damals in Afghanistan regierenden Taliban weigerten, Al-Qaida-Chef Osama bin Laden, den mutmaßlichen Drahtzieher der Attentate, auszuliefern, schickte die US-Regierung am 7. Oktober 2001 ihre Truppen los.

Teller und Rand - der Podcast zu internationaler Politik

Teller und Rand ist der neue ndPodcast zu internationaler Politik. Andreas Krämer und Rob Wessel servieren jeden Monat aktuelle politische Ereignisse aus der ganzen Welt und tischen dabei auf, was sich abseits der medialen Aufmerksamkeit abspielt. Links, kritisch, antikolonialistisch.

Das Foto mit den Männern im Helikopter entstand aber bereits am 19. September 2001. Ein Irrtum? Nein, das Bild verweist nur auf den noch immer geheim gehaltenen, weil früheren Beginn des von Bush ausgerufenen »Kreuzzug gegen das Böse«. Speerspitze war die Central Intelligence Agency (CIA). Sie entsandte auf direkten Befehl des Präsidenten ein kleines Team in das afghanische Pandschirtal. Sie nutzten zur Täuschung einen russischen Hubschrauber. Der sah nicht nur exakt so aus wie die Maschinen, die die Taliban-Streitkräfte flogen. Er konnte auch - was die damaligen US-Maschinen nicht vermochten - hohe Gebirgsketten überwinden. Gary Schroen war Planer und der Chef der Truppe. Der Mann, der bei der Agency noch immer als »eine lebende Legende und Inspiration für jeden CIA-Offizier« gelobt wird, äußerte sich Jahre später stolz über seinen damaligen Job: »Wir hatten wirklich Glück, weil wir die ersten Amerikaner waren, die den Kampf zurück zu bin Laden trugen.«

In geheimer Mission

»Wir«, das waren sieben CIA-Offiziere, drei Piloten und zwei afghanische Helfer. Was sie im Rahmen der Operation »Jawbreaker« trieben, ist nach wie vor geheim. Sicher ist, dass die Truppe ihrem Hubschrauber die Kennung 91101 auf den Heckausleger malte und am 21. September 2001 zu einem Treffen mit zehn Führern der sogenannten Nordallianz starteten. Dieser lose Zusammenschluss von Warlords sollte zur Trumpfkarte der beabsichtigten US-Militäraktion gegen Afghanistan werden. Schroen kannte die Personen aus Zeiten, in denen man zusammen gegen die sowjetischen Truppen kämpfte. Nun waren die in Kabul residierenden Taliban der gemeinsame Gegner.

Im Gepäck hatten die CIA-Abgesandten drei Pappkartons. Einer enthielt 350 000 Dollar in bar. Mit dem Geld sollten die Kriegsfürsten ihren Kämpfern warme Kleidung und Stiefel kaufen, denn sie waren als Fußvolk der kommenden US-Okkupation eingeplant und die Winter in Afghanistans Bergen sind hart. Spätestens im Dezember - so lautete die Order aus Washington - musste es mit dem Sieg der Nordallianz über die Taliban klappen. Man ahnte wohl, dass die Warlords nicht nur auf die Zusage wuchtiger US-Luftschläge vertrauen wollten. Also stärkte man die Motivation der neuen Verbündeten - mit dem Inhalt der beiden anderen Pappkartons. Die darin enthaltenen 2,5 Millionen US-Dollar waren ein nachhaltiges Argument.

Der russische Hubschrauber flog weiter über Afghanistan. Mindestens bis 2012. Zudem ergänzte man die CIA-Luftflotte mit weiteren Maschinen dieses Typs. Welche Geheimoperationen mit ihnen geflogen wurden, erfährt man nicht. Nur aus einer kleinen Notiz der »USA Today« weiß man, dass die Mi 17 mit der Nummer 91101 am Rumpf in einer felsigen Landschaft zwischen schützenden Bäumen abgestellt ist. Das Gelände gehört zum CIA-Hauptquartiers in Langley (Virginia). Der Hubschrauber ist Teil des wohl spannendsten Museums der Welt. In dessen Afghanistan-Abteilung kann man mehr über den Krieg vor dem Krieg erfahren - wenn man eine CIA-Dienstmarke vorweisen kann. Für den Rest der Welt ist die Sammlung tabu.

Abonniere das »nd«
Linkssein ist kompliziert.
Wir behalten den Überblick!

Mit unserem Digital-Aktionsabo kannst Du alle Ausgaben von »nd« digital (nd.App oder nd.Epaper) für wenig Geld zu Hause oder unterwegs lesen.
Jetzt abonnieren!

Linken, unabhängigen Journalismus stärken!

Mehr und mehr Menschen lesen digital und sehr gern kostenfrei. Wir stehen mit unserem freiwilligen Bezahlmodell dafür ein, dass uns auch diejenigen lesen können, deren Einkommen für ein Abonnement nicht ausreicht. Damit wir weiterhin Journalismus mit dem Anspruch machen können, marginalisierte Stimmen zu Wort kommen zu lassen, Themen zu recherchieren, die in den großen bürgerlichen Medien nicht vor- oder zu kurz kommen, und aktuelle Themen aus linker Perspektive zu beleuchten, brauchen wir eure Unterstützung.

Hilf mit bei einer solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl.

Unterstützen über:
  • PayPal