»Mieter, spürt eure Macht«

Tausende demonstrieren für radikalen Kurswechsel in der Wohnungspolitik

  • Yannic Walther
  • Lesedauer: 5 Min.

An der Karl-Liebknecht-Straße auf der Höhe des Alexanderplatzes parkt der Bus von Deutsche Wohnen und Co enteignen. Oben auf dem Dach schwenken Aktivisten die lila-gelben Fahnen der Initiative. Auf der Seitenfläche des Busses steht in großen Buchstaben: »Am 26.09. mit Ja! Stimmen.« Von der Straße kommt Applaus. Zahlreiche Berliner, aber auch Menschen aus anderen Städten sind zum deutschlandweiten Mietenprotest auf den Alexanderplatz gekommen. Von hier ziehen sie über die Straße Unter den Linden bis zum Großen Stern. Die Veranstalter sprechen von 20.000 Teilnehmern, die Polizei von einer vierstelligen Teilnehmerzahl.

Die Berliner Enteignungsinitiative ist nur eine von vielen, die zur Teilnahme aufgerufen hat. Vertreter großer Organisationen vom Deutschen Mieterbund über den Paritätischen Gesamtverband bis zur IG Metall reihen sich wie auch kleine stadtpolitische Gruppen in den Demozug ein. Doch die Augen waren am Samstag vor allem auf jene gerichtet, die über mehrere Monate Unterschriften gesammelt haben, damit die Berliner in zwei Wochen in einem Volksentscheid über die Enteignung von privaten Immobilienunternehmen in Berlin mit mehr als 3000 Wohnungen abstimmen können.

Ein Sprecher des Berliner Bündnisses gegen Verdrängung und Mietenwahnsinn forderte in seiner Rede, dass bundesweit alle Mietkonzerne enteignet werden müssten. Wohnraum dürfe nicht an die Börse. »Wir von unserem Aktionsbündnis fordern einen bundesweiten Mietendeckel von der neuen Bundesregierung.«

Die Gruppe will einen Kurswechsel in der Mieten- und Wohnungspolitik: Mietenstopp, keine Umwandlungen in Eigentum und keine Eigenbedarfskündigungen, keine Räumungen, Enteignungen großer Immobilienkonzerne, einen bundesweiten Mietendeckel. Entsprechend war auf Transparenten bei der Kundgebung zu lesen: »Für eine Stadt mit bezahlbaren Mieten für alle« und »Mieter, spürt eure Macht«.

»Wir steuern auf ein historisches Datum zu, an dem wir uns unsere Häuser zurückholen«, ruft Alexandra Meier von Deutsche Wohnen und Co enteignen vom Lautsprecherwagen. Das sei das politische Projekt, das ihr wie kein anders Hoffnung gegeben hätte. Seit zwölf Jahren wohnt sie in Berlin, hätte Glück gehabt, noch eine bezahlbare Wohnung zu finden. Doch im eigenen Umfeld erlebe sie die Folgen des Mietenwahnsinns, erzählt Meier. Da seien die Freundinnen, die sich fragen, ob sie ein Kind bekommen können, weil es aussichtslos erscheint, eine bezahlbare größere Wohnung im Kiez zu finden. Die Nachbarin, die meint, nach Brandenburg ziehen zu wollen, weil sie sich die Miete hier nicht mehr leisten könne. Oder die Bekannte, die im öffentlichen Dienst arbeitet und mehr als die Hälfte ihres Einkommens für eine Ein-Zimmer-Wohnung ausgebe.

»Mit wem wollt ihr die Stadt eigentlich machen, wenn es sich nicht mal mehr die eigenen Beschäftigten hier leisten können?«, fragt Meier unter Beifall in Richtung der Landespolitik. Ein gewonnener Volksentscheid würde den Grundstein für eine Wende in der Wohnungspolitik legen, ist sie sich sicher. Nicht zuletzt würde eine Enteignung auch bedeuten, wie Meier für die Deutsche Wohnen vorrechnet, dass monatlich nicht länger durchschnittlich 190 Euro der Miete pro Wohnung an die Aktionäre des Immobilienkonzerns fließen. »Jeder Cent ist einer zu viel«, so die Aktivistin. Geld, das Mietern fehle beim Ersatz der kaputten Waschmaschine, dem Kauf von Schulsachen für die Kinder oder bei der Kinokarte.

Nicht zuletzt jenen, die sowieso wenig haben: Rentner, prekär Beschäftigte, ebenso auch viele Studierende. Als der Demozug auf der Straße Unter den Linden am Hauptgebäude der Humboldt-Universität vorbeikommt, tritt Josi von der Landes-Asten-Konferenz, einem Zusammenschluss der Berliner Studierenden, ans Mikrofon. Nächsten Monat ist Semesterstart. Und wie jedes Jahr bedeutet das für viele junge Menschen Wohnungs- und Zimmersuche im zeitlichen Umfang eines Nebenjobs, Zwischenmietverhältnisse und reichlich Stress. »Gerade zu Studienbeginn ist der Druck, eine Wohnung zu finden, enorm hoch. Die Studierendenwohnheime bieten da keine Abhilfe. Dort wartet man anderthalb Jahre auf ein Zimmer«, kritisiert Josi. Immer öfter würden Studierende deshalb auf überteuerte private Wohnheime ausweichen. Vor allem jene aus dem Ausland würden dort »ausgenommen« werden, erzählt sie. Am Freitag fand auf dem Tempelhofer Feld ein Aktionstag zum studentischen Wohnen statt. Eine Forderung, die Josi von dort mitgebracht hat, ist: »Keine Baugenehmigungen mehr für profitorientierte Wohnheime!«

Auch Vertreter von Parteien sind vor Ort. Der prominenteste unter ihnen: Linke-Spitzenkandidat und Kultursenator Klaus Lederer. Er spricht sich aus »für ein Dach über dem Kopf, das sich jede*r leisten kann«. Auch Landesparteichefin Katina Schubert und Fraktionschef Carsten Schatz sind da. Prominent sind auch die Grünen vertreten, unter anderem die Friedrichshain-Kreuzberger Bürgermeisterin Monika Herrmann nebst Baustadtrat Florian Schmidt sowie sein Neuköllner Amtskollege Jochen Biedermann zeigen sich. Die SPD zeigt sich eher spärlich, am bekanntesten ist die einstige Juso-Landeschefin und Bundestagskandidatin Annika Klose.

Auf der Abschlusskundgebung am großen Stern, wo die Demonstration am Nachmittag mit Livemusik endet, werde auch ganz allgemeine Fragen gestellt. Zum Beispiel, warum man überhaupt Miete zahlen muss. Wenn sich die Häuser längst amortisiert haben, wozu dann mehr Geld zahlen, als für die Instandhaltung nötig? »Wer keine Träume mehr hat für seine Stadt, dem bleibt nur der Mietenwahnsinn«, heißt es frei nach Heiner Müller von den Mietaktivisten. Träume für die Stadt, die haben sie auf der Demonstration reichlich. Am 26. September könnten sie zumindest einem ein ganzes Stück näher kommen: der Enteignung der Immobilienkonzerne in Berlin.

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