»Wir wollen ein konkretes Angebot«

Die Verdi-Verhandlungsführerin Meike Jäger sieht die Arbeitgeber von Vivantes und Charité in der Pflicht

  • Jörg Meyer
  • Lesedauer: 4 Min.

Vivantes hatte in der Auseinandersetzung um den Entlastungstarifvertrag ein Angebot vorgelegt. Der Streik geht weiter. Ist das Angebot nicht verhandelbar?

Das würde ich nicht sagen, aber eine Forderung der Arbeitgeber ist, dass wir den Streik aussetzen, damit Verhandlungen über den Tarifvertrag Entlastung wieder aufgenommen werden können. Das können wir so nicht machen. Die Arbeitgeberseite hat 120 Tage nicht mit uns gesprochen. Aufgrund des politischen Drucks sucht sie jetzt das Gespräch mit uns, und das Erste was die sagen, ist, dass wir aufhören sollen zu streiken, damit sie mit uns reden. Das finden die Kolleg*innen ziemlich vermessen. Und das Angebot ist noch nicht sehr detailliert.

Interview

Meike Jäger ist die Verhandlungsführerin von Verdi bei der Aushandlung des Tarifvertrags Entlastung bei Charité und Vivantes. Über den laufenden Arbeitskampf, die gewerkschaftlichen Forderungen und die Entlastung der Krankenhausbeschäftigten sprach mit ihr für »nd« Jörg Meyer.

Was heißt das?

Beispielsweise schlagen sie das Ende vom Arbeitskräfteleasing vor. Das begrüßen wir, denn das bedeutet weniger Stress für die Beschäftigten, weil sie nicht ständig mit neuen Leuten auf Station zu tun haben. Andererseits fehlen dann eben die Arbeitskräfte und die Gefahr droht, dass die Kolleg*innen noch mehr zwischen den Stationen springen müssen. Zudem steht einfach drin, »Arbeitsbedingungen verbessern« und etwas zu den Auszubildenden, ohne es zu konkretisieren, was das in Bezug auf unsere Forderung nach mehr und besserer Praxisanleitung bedeutet. Wir wollen ein konkreteres Angebot, bevor wir den Streik aussetzen. Sonst würden wir ja die Katze im Sack kaufen. Was in dem Angebot steht, ist ja im Prinzip nicht alles schlecht, hat aber nur bedingt etwas mit unseren Forderungen zu tun: Eine Mindestbesetzung an Personal, und wenn das nicht umgesetzt werden kann, muss überprüft werden, ob Belastung vorliegt, und wenn Belastung da ist, fordern wir einen Ausgleich.

Das andere Thema ist die Angleichung der Tochterunternehmen an die Einkommen und Bedingungen bei Vivantes und Charité. Auch da haben die Arbeitgeber ein Angebot vorgelegt, was beinhaltet es?

Sie haben uns angeboten, dass man bis 2028 die Angleichung erreicht haben will, und dass dabei die wirtschaftliche Situation der Häuser berücksichtigt werden muss, wenn der Senat das Geld nicht zur Verfügung stellt. Da ist die Absichtserklärung schon zu erkennen, aber die wird sehr stark relativiert. Und es geht um eine sehr lange Zeit. Wir hätten uns an der Stelle gewünscht, dass man konkret sagt: Bis dahin soll die Angleichung ganz real geschafft sein. Zudem fehlt auch hier die Konkretisierung. Wie hoch sollen denn Zulagen, Zuschläge, Weihnachtsgeld zukünftig sein? Oder auch: wie hoch sollen die Angleichungsschritte in der Tabelle sein - die übrigens ziemlich weit weg ist vom TVöD. Wenn wir das alles nicht wissen, dann können wir das nicht bewerten. Die Kolleg*innen waren am Freitag enttäuscht, weil sie sich einerseits über das Angebot gefreut haben, aber eben nichts Konkretes in der Hand haben.

Am Samstag soll aber nun doch verhandelt werden, nachdem Vivantes nachgebessert hat?

Leider wurde auch dieses Angebot wenig konkretisiert. Dennoch bietet unsere Tarifkommission an, am Samstag außerhalb des Streiks mit der Arbeitgeber-Seite Verhandlungen aufzunehmen und auch am Montag den Streik auszusetzen, wenn man am Samstag vorwärtskommt.

Wie fällt Ihre Bilanz des Streiks bisher aus?

Positiv. Wir haben nach Beginn des unbefristeten Streiks noch täglich neue Streikmeldungen von verschiedenen Standorten bekommen. Es haben sich bei beiden Arbeitgebern mehr Kolleg*innen beteiligt als wir erwartet hätten. Allerdings müssen wir auch viele Kolleg*innen wieder auf die Stationen und in die Bereiche schicken, weil noch immer Patienten dort sind beziehungsweise immer wieder neue aufgenommen werden. Bei der Charité läuft es ein bisschen routinierter. Dort konnten wir über die Erfahrungen der letzten Jahre auch mehr Streikerfahrungen sammeln. Vivantes neigt zudem dazu, die Situation stellenweise zu eskalieren.

Was heißt das?

Vivantes sammelt Daten und Beispiele, mit denen sie zeigen wollen, dass wir mit der Notdienstabsicherung zu lax umgehen. Aber das stimmt überhaupt nicht. Wenn auf Station eine zusätzliche Kollegin gebraucht wird, dann wird die auch für die ganze Schicht reingeschickt. Die Frage ist aber doch eher, wieso kann man das in der Clearingstelle nicht vorher klären, damit solche Situationen gar nicht erst entstehen? Dafür wollten wir die Notdienstvereinbarung, aber der Arbeitgeber hat sich geweigert, die zu unterzeichnen.

Es muss sich niemand in Berlin sorgen, bei Notfall im Krankenhaus nicht versorgt zu werden?

Natürlich nicht. Das war in der Vergangenheit nicht so, und das ist auch jetzt nicht so. Was es an Engpässen gibt, hat mit dem Streik nichts zu tun. Wir können belegen, wie oft verschiedene Rettungsstellen in den letzten Wochen wegen Personalmangel abgemeldet wurden. Und jetzt wird da überdramatisiert und gesagt, wir würden die Notfallversorgung der Stadt gefährden. Das ist völlig überzogen.

Erwarten Sie, dass die Berliner Landesregierung vor der Wahl noch tätig wird und im Wahlkampf noch riskiert, eine Welle zu schlagen?

Wir denken, mit dem Streik haben wir gezeigt, wie ernst die Situation ist und auch noch werden kann. Wir erwarten selbstverständlich, dass die verantwortlichen Politiker vor der Wahl noch reagieren und die Weichen in Richtung guter Tarifverträge stellen.

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