Jüdische Gemeinde gefährdet

Ein Großaufgebot der Polizei sicherte am Mittwochabend die Synagoge in Hagen

Im nordrhein-westfälischen Hagen wurde am Mittwochabend die Synagoge weiträumig abgesperrt. Ein 16-jähriger Syrer soll einen Anschlag angekündigt haben. Er wurde festgenommen.

Schwer bewaffnete Polizisten umstellten die Hagener Synagoge am Mittwochabend. Der für den Abend geplante Beginn der Jom-Kippur-Feierlichkeiten musste von der Jüdischen Gemeinde abgesagt werden. Stattdessen wird die Synagoge abgesperrt. Im Inneren werden Sprengstoffhunde eingesetzt. Nach Informationen des »Spiegel« gab es Hinweise eines ausländischen Geheimdienstes über einen möglichen Anschlag. Ein 16-jähriger Syrer soll in Chats darüber gesprochen haben, das Gotteshaus mit einem Sprengsatz zu attackieren. Ein islamistisches Motiv soll vorliegen. Bis tief in die Nacht bleibt das Gebiet um die Synagoge abgesperrt. Anwohner müssen sich bei den eingesetzten Polizisten identifizieren. Am Donnerstagmorgen gibt es vier Festnahmen. Ziel der Festnahmen sei es, »einen Tatverdacht zu erhärten oder auszuräumen«, wie es in einer Mitteilung der Polizei heißt. Eine »konkrete Gefährdung« sei durch den Polizeieinsatz verhindert worden. Bislang ermittelt die Generalstaatsanwaltschaft Düsseldorf wegen des Verdachts einer »schweren staatsgefährdenden Straftat«. Auch der Generalbundesanwalt soll sich in die Ermittlungen eingeschaltet haben.

Mittwochabend, das war der Vorabend von Jom Kippur, dem höchsten jüdischen Feiertag. Vor zwei Jahren wählte der rechte Verschwörungstheoretiker Stephan B. Jom Kippur, um einen Anschlag auf die dortige Synagoge zu begehen. Er scheiterte an deren Tür, tötete stattdessen eine Passantin und einen Kunden eines Döner-Imbisses. Es ist nur schwer vorstellbar, dass es ein Zufall ist, dass die Anschlagsdrohung gegen die Hagener Synagoge ausgerechnet an Jom Kippur erfolgte. Auch Bundesjustizministerin Christine Lamprecht (SPD) fühlte sich an den Anschlag von Halle erinnert. »Der Vorfall in Hagen weckt entsetzliche Erinnerungen an den Anschlag auf die Synagoge in Halle vor zwei Jahren«, sagte sie. Es sei unerträglich, dass Jüdinnen und Juden »erneut einer so schrecklichen Bedrohungslage ausgesetzt sind und den Beginn ihres höchsten Festes nicht friedlich gemeinsam feiern konnten«. Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, Antisemitismus-Beauftragte von NRW, sprach der Polizei in einem Tweet ihren Dank für das schnelle Eingreifen aus. Die Anschlagsdrohung an Jom Kippur bezeichnete die FDP-Politikerin als »besonders verwerflich«.

»Es bestand die Gefahr eines Anschlags auf die Synagoge in Hagen«, sagte Nordrhein-Westfalens Innenminister Herbert Reul. Der CDU-Politiker erklärte, der Hinweis auf die geplante Tat habe Tatzeit, Tatort und Täter konkret benannt. Die Polizei habe den Objektschutz an der Synagoge sofort intensiviert. Ministerpräsident Armin Laschet forderte, wer »terroristische Taten plant«, müsse »des Landes verbracht werden«. Wer sich integriere, könne in Deutschland bleiben, so der Kanzlerkandidat der Union. Laschet erklärte, man müsse für alle Arten von »Extremismus« sensibel sein: »In Halle waren es die Rechtsradikalen, die einen Anschlag verübt haben. Anderswo sind es Islamisten. Am dritten Ort haben wir Linksextremisten. Alle Extreme müssen wir ohne Scheu, ohne blind auf einem Auge zu sein, bekämpfen.«

Antisemitische Vorfälle sind in Hagen nichts Neues. Im Mai wurde ein Mann, der eine Israel-Flagge bei sich trug, in der Innenstadt bespuckt und beschimpft. Eine 50-köpfige Menschentraube hatte sich um ihn gebildet. Nach Angaben der Polizei sind auch antisemitische Beleidigungen gefallen. Wenige Tage zuvor hatte die Stadt Hagen für Schlagzeilen gesorgt. Eine Israel-Flagge, die an die Aufnahme der Beziehungen zwischen Deutschland und Israel erinnern sollte, war wieder abgehängt worden, um nicht zu provozieren, wie es hieß. Wegen des Krieges zwischen Israel und der Hamas hatte die Hagener Polizei befürchtet, dass die Flagge zu einer Eskalation beitragen könne. Während Kriegen in Nahost war es in Hagen in den vergangenen Jahren mehrfach zu Demonstrationen mit antisemitischen Äußerungen gekommen.

Terrorverdacht in Hagen: Hass ist kein Wahlkampfthema

Hagen wurde auch mehrfach von Neonazis als Bühne für ihren Antisemitismus genutzt. Ein besonders heftiges Beispiel war die Demonstration im Jahr 2003 gegen eine Lesung von Paul Spiegel, der damals Vorsitzender des Zentralrats der Juden war. Spiegel kommentierte den rechten Aufmarsch damals in der lokalen »Westfalenpost« mit folgenden Worten: »Wenn diesen Demonstranten das System in Deutschland nicht passt, dann sollen sie gehen – wir Juden werden nicht aus Deutschland fortgehen!«
Die Jüdische Gemeinde in Hagen hatte in der Vergangenheit mehrfach ihre Sorge vor antisemitischen Attacken geäußert. In Folge der Ereignisse vom Mittwochabend wurde der Polizeischutz auch an anderen jüdischen Einrichtungen erhöht.

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