Wohnen in der Blase

Deutsche Wohnen enteignen ist überall / Nicht nur in Berlin kämpft die Politik mit steigenden Immobilienpreisen

In Berlin wird um die Vergesellschaftung von Wohnungskonzernen gestritten. In China lässt die Quasi-Pleite eines Immobilienentwicklers Börsenkurse abstürzen. In den USA sind Häuser wieder deutlich teurer als am Vorabend der großen Finanzkrise. Die Spekulation mit Haus und Hof macht weltweit Wohnungen unerschwinglich, nährt die Angst vor wirtschaftlichen Krisen - und bringt eine Verteilungsfrage auf den Tisch.

Laut Industrieländerorganisation OECD geht es mit den Hauspreisen seit 2012 stetig bergauf, in einigen Ländern und Regionen stärker, in anderen schwächer. Auch in der Pandemie sind Immobilien immer teurer geworden, die OECD diagnostiziert hier die «stärksten Jahreswachstumsraten seit zwei Jahrzehnten». Und das, obwohl die Weltwirtschaft während Corona durch ihre schwerste Krise seit langem ging.

Der Boom hat zwei wesentliche Treiber. Zum einen ist das Angebot vielerorts knapp. Das verschärft die Konkurrenz der Käufer und Mieter um Wohnraum und ermöglicht den Eigentümern Preisaufschläge. Wichtiger aber ist das niedrige Zinsniveau: Wegen der Krise haben die Zentralbanken die Zinsen immer tiefer gedrückt, um die Konjunktur und die Verschuldungsfähigkeit der Staaten zu schützen. Das nützt Kreditnehmern, Kreditgeber dagegen machen mit dem Geldverleih kaum noch Rendite.

Nach den Gesetzen der Spekulation verlegen sich die Investoren daher auf andere Bereiche, wo mehr Gewinn winkt. Massen an Kapital fließen in Immobilien, aber auch in Aktien, Rohstoffe oder Kryptowährungen wie Bitcoin. «Die Welt ist eindeutig zu einer ›Spekulationsökonomie‹ geworden», kommentiert Patrick Artus von der französischen Bank Natixis. Gelder flössen in «sinnlose Verwendungen», was dort zu starken Schwankungen führe. Was Bitcoin und Aktien allerdings von Immobilien unterscheidet: Man braucht sie nicht unbedingt. Während der Börsenboom bloß Anleger erfreut, haben höhere Hauspreise soziale Folgen.

So ist der Häuserpreisindex in Deutschland im zweiten Quartal 2021 um knapp elf Prozent gestiegen und damit so stark wie noch nie seit Beginn der Zeitreihe im Jahr 2000, meldete am Freitag das Statistische Bundesamt. In Europa verteuerten sich Wohnimmobilien so schnell wie zuletzt 2006. Insbesondere in einigen Kernländern wie Deutschland, Österreich und den Niederlanden seien Wohnungen «inzwischen sehr hoch bewertet», warnt die Commerzbank. In den USA hatten die Hauspreise bereits 2016 ihren Gipfel aus der Immobilienblase 2006 überschritten. Zuletzt lag der nationale FHFA-Hauspreisindex fast 50 Prozent über dem Durchschnitt von 2006. Dies hat laut Commerzbank «dazu geführt, dass für die Amerikaner aktuell eher ein schlechter Zeitpunkt für den Immobilienkauf ist».

Damit wächst das Risiko einer Blase und einer Krise. Der US-Ökonom Hugh Rockoff hat die größten Bankpleiten in den Vereinigten Staaten seit dem Jahr 1819 untersucht und kommt zu dem Schluss: «Typischerweise war exzessives Investment in Immobilien die Quelle des Problems.» In China senden die Zahlungsschwierigkeiten des Immobilienentwicklers Evergrande bereits heute Schockwellen durch das globale Finanzsystem. In Australien «könnte der boomende Immobilienmarkt im Falle eines Schocks die Finanzstabilität auf eine harte Probe stellen, warnte dort die Notenbankerin Michelle Bullock. Das größte Risiko in Europa und andernorts sind steigende Zinsen. Denn bei einem höheren Zinsniveau »dürfte es immer weniger Käufer geben, die die aktuellen Preise stemmen können, sodass sich die Nachfrage merklich abschwächen dürfte«, erklärt die Commerzbank.

Vor einer Finanzkrise wird derzeit bloß gewarnt, die soziale Krise ist vielerorts schon da: Der Erwerb von Wohnungen und Häusern wird zunehmend unerschwinglich, insbesondere für die jüngere Generation, und die Mieten steigen. Denn höhere Immobilienpreise bedeuten für die Käufer einen höheren Kapitalvorschuss, der einen höheren Mietzins verlangt, damit die Rendite stimmt.

Das hat politische Auswirkungen: In Schweden brach im Juni die Regierung auseinander, nachdem sie angekündigt hatte, geltende Mietkontrollen außer Kraft zu setzen. In Südkorea erlitt die regierende Partei in Regionalwahlen deutliche Verluste - seit Regierungsantritt 2017 hatte sich der Durchschnittspreis für ein Apartment in der Hauptstadt Seoul fast verdoppelt. Anthony Breach vom britischen Denkfabrik CentreForCities sieht in »Wohnungsarmut« sogar einen wichtigen Grund, aus dem viele Briten für den Austritt aus der EU gestimmt haben.

Die Politik verfällt nun in Betriebsamkeit. Chinas Regierung hat die Spekulation im Immobiliensektor eingeschränkt. Dort wird es »für junge Familien zunehmend schwieriger, sich eigenen Wohnraum zu leisten und somit auch Kinder zu bekommen«, so die Commerzbank. Damit hierdurch die großen demografischen Herausforderungen nicht noch verstärkt würden, wolle die Regierung Wohnraum, Gesundheitsfürsorge und Bildung bezahlbar machen. Kanadas Regierung hat eine Sperre für ausländische Investoren versprochen. Andernorts werden Mietobergrenzen eingezogen oder leerstehende Büros in Wohnungen umgewandelt. Und in Berlin wird Vergesellschaftung gefordert.

Zwar profitieren auch kleine Hauseigentümer vom Preishoch. Zudem können sich Gutverdiener weiter Kauf und hohe Mieten leisten. Aber viele eben nicht. Laut Wirtschaftsforschungsinstitut DIW muss rund die Hälfte aller 8,4 Millionen Haushalte, die in Deutschlands Großstädten zur Miete wohnen, mehr als 30 Prozent ihres Nettoeinkommens ausgeben, um die Bruttowarm-Miete zu bezahlen. Angesichts der hohen Preise für Grund und Boden und der Renditeerwartungen der Investoren ist es unwahrscheinlich, dass der Markt das Problem, das er geschaffen hat, durch mehr Neubau lösen wird.

»Häuser und Aktien werden immer wertvoller«, schreibt FDP-Politiker Marco Buschmann auf Twitter und rät: »Daher mehr Wohneigentum und Aktiensparen für alle!« Das sagt sich so leicht. Denn im Grunde ist die Wohnungsfrage ein Teil einer umfassenden Verteilungsfrage. »Wer die Bindungskraft der Sozialen Marktwirtschaft ernsthaft wiederherstellen möchte«, schreibt der Wirtschaftshistoriker Uwe Fuhrmann auf dem Internet-Portal Makronom, »muss die Wirtschaft stärker an menschlichen Bedürfnissen ausrichten sowie den Fluss der Umverteilung von unten nach oben stoppen und umkehren - im Rentensystem, in der Lohnquote, im Steuersystem, in der Gewinnverteilung. Und eben auch im Mietensektor, indem Vergesellschaftungen die Profitorientierung ersetzen durch Orientierung am Gemeinwohl.«

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