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  • Gewerkschaften zur Bundestagswahl

Nicht ohne die SPD

In Anbetracht der gegenwärtigen Kräfteverhältnisse wäre eine Ampel-Koalition für die Gewerkschaften das kleinere Übel

  • Simon Poelchau
  • Lesedauer: 4 Min.

Die Gewerkschaften machen keinen Hehl daraus, welche Koalition sie angesichts des Wahlausganges am Liebsten hätten: »Wir wollen eine Koalition, die progressive Politik möglich macht, die Zukunftsinvestitionen und schlüssige Konzepte für den Umbau hin zu einer klimafreundlichen Industrie vorantreibt und dabei gleichzeitig immer Sicherheit und Perspektiven für die Beschäftigten im Blick hat«, sagte IG-Metall-Chef Jörg Hofmann dem Redaktionsnetzwerk Deutschland nach der Wahl. Es gebe drei Parteien, die ordentliche Zugewinne verzeichnen konnten, denen offenbar die Wählerinnen und Wähler »diese gewaltige Zukunftsaufgabe« am ehesten zutrauen. Da die Union an Stimmen verloren, während SPD, Grüne und FDP hinzugewonnen haben, ist eindeutig, dass Hofmann eine Ampel-Koalition bevorzugt.

Das verwundert nicht, denn Rot-Rot-Grün ist nicht möglich, und mit einer Ampel wäre zwar die FDP mit an Bord, die für eine unternehmerfreundliche Politik steht. Was die Gewerkschaftspolitik angeht, wäre sie aber in der Koalition mit SPD und Grünen in der Minderheit. So besteht die Chance, dass das eine oder andere, was auf der Wunschliste der Gewerkschaften steht, bei einer Ampel-Koalition auch umgesetzt wird.

»Wir brauchen ein Jahrzehnt der Investitionen in Klimaschutz, gute Arbeit und einen starken Sozialstaat – Zukunft gibt es nicht zum Nulltarif«, forderte der Chef der Dienstleistungsgewerkschaft Verdi, Frank Werneke, am Montag. Ganz oben auf seiner Wunschliste steht ein Mindestlohn von zwölf Euro, mehr Tarifschutz, die Abschaffung des Befristungsmissbrauchs in der Arbeitswelt, ein Rentenniveau von mehr als 48 Prozent und der sozial-ökologische Umbau.

Mehr Tarifschutz und die Abschaffung von Befristungsmissbrauch werden mit der FDP zwar schwer zu machen sein. Dafür versprachen aber SPD und Grüne im Wahlkampf einen höheren Mindestlohn. Und insbesondere was die Mitbestimmung angeht, zeigten sich die Grünen zuletzt sehr gewerkschaftsfreundlich. »Wir wollen, dass Tarifverträge und starke Mitbestimmung wieder für mehr anstatt für immer weniger Beschäftigte und Betriebe gelten«, heißt es im Wahlprogramm. Tarifflucht dürfe sich nicht lohnen.

Auch weitgehend einig mit SPD und Grünen ist man sich beim Thema Investitionen und Reform der Schuldenbremse. Bei der IG Metall beziffert man den öffentlichen Investitionsbedarf auf 500 Milliarden Euro bis 2030. Die SPD schreibt in ihrem Wahlprogramm von mindestens 50 Milliarden Euro pro Jahr.

Zwar wird es zur Finanzierung mit der FDP keine Steuererhöhungen für Besserverdienende und Vermögende geben, doch gibt es eine Alternative, die auch die Gewerkschaften in Betracht ziehen. So heißt es aus dem Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung, dass die Investitionen nur »mit einem rationalen Umgang mit öffentlichen Schulden« zu bewerkstelligen seien. Will heißen: eine Reform der Schuldenbremse. Und deswegen die Koalition platzen lassen wird die FDP nicht. Schließlich gibt es auch im Arbeitgeberlager Befürworter einer Reform der Schuldenbremse. So arbeitete das IMK bei diesem Thema in der Vergangenheit bereits mit dem arbeitgebernahen Institut der deutschen Wirtschaft zusammen.

Was aber vor allem aus Sicht der Gewerkschaften für eine Ampel spricht: Da eine Neuauflage der Großen Koalition unwahrscheinlich ist, wäre bei den gegenwärtigen Kräfteverhältnissen ein Jamaika-Bündnis aus Union, Grünen und FDP die Alternative. Dann wäre der größte Verbündete der Gewerkschaften, die SPD, nicht mit in der Regierung. So haben wichtige Gewerkschaftsfunktionäre wie Verdi-Chef Werneke, IG-Metall-Chef Hofmann und DGB-Chef Reiner Hoffmann ein SPD-Parteibuch. Allein aus diesem Grund haben sie ein Interesse an einer Regierungsbeteiligung der SPD, welche die FDP mit ihren neoliberalen Plänen einhegt.

Insbesondere bei den Renten gibt es ansonsten Befürchtungen. »Die Menschen verlangen sichere Jobperspektiven und die Aussicht auf eine verlässliche, umlagefinanzierte Rente, die keinesfalls unter 48 Prozent fallen darf und die nicht den Risiken der Kapitalmärkte ausgesetzt werden darf«, so DGB-Chef Hoffmann. Er wandte sich damit direkt gegen die FDP-Pläne einer Aktienrente als kapitalgedeckte Altersversorgung.

Damit ihre Anliegen auch umgesetzt werden, will die IG Metall am 29. Oktober bundesweit auf die Straße gehen. »Die Beschäftigten brauchen eine stabile Regierung, die für Sicherheit im Wandel und für Investitionen in die Zukunft sorgen kann«, heißt es seitens der Industriegewerkschaft.

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