Streik bekommt große Bühne

Berliner Krankenhausbewegung wirbt zusammen mit Künstlern der Volksbühne um mehr Aufmerksamkeit

  • Claudia Krieg
  • Lesedauer: 4 Min.
Saskia Potze, Christina Husmann und Silvia Habekost von Vivantes erklären zusammen mit Isabel Janke und Volksbühne-Autorin Luise Meier (von links) die Gründe für den Klinikstreik.
Saskia Potze, Christina Husmann und Silvia Habekost von Vivantes erklären zusammen mit Isabel Janke und Volksbühne-Autorin Luise Meier (von links) die Gründe für den Klinikstreik.

Ganz untheatralisch steht René Pollesch, Intendant der Berliner Volksbühne, am Dienstag vor den zahlreichen Besucher*innen der Pressekonferenz der Berliner Krankenhausbewegung in seinem Haus. Draußen haben sich bei strömendem Regen etwa 150 Streikende der landeseigenen Kliniken eingefunden, die deren Übertragung auf einer riesigen LED-Leinwand verfolgen.

Gerade noch haben die Musiker Jens Friebe und Dirk von Lowtzow (Tocotronic) ihren Soundcheck für das anschließende Konzert absolviert, als Verdi-Verhandlungsführer Ivo Garbe den sich unter Regenschirmen duckenden Arbeitskämpfer*innen ermunternde Worte zuruft: »Der Himmel weint, weil die Krankenhausbeschäftigten der Berliner Kliniken immer noch keinen Tarifvertrag haben.«

Fast vier Wochen streiken organisierte Mitarbeiter*innen der Vivantes-Tochterunternehmen und Angestellte von Charité und Vivantes für einen Tarifvertrag des Öffentlichen Dienstes beziehungsweise einen Tarifvertrag Entlastung.

»Die Belegschaft der Volksbühne steht hinter euch, ihr habt unsere volle Solidarität«, versichert drinnen im Trockenen der Regisseur den ungewöhnlichen »Hauptdarstellerinnen« eingangs im Roten Salon: Neben drei Vivantes-Beschäftigten sitzt dort auch Isabel Janke, deren Mutter als Patientin in einem Vivantes-Krankenhaus verstorben ist – unter Bedingungen, die ein weiteres Mal verdeutlichen, wie sich die Personalnot in den Kliniken zulasten der Patient*innen auswirkt.

Jankes Bericht ist erschütternd: Ihre 70-Jährige Mutter, »eine bis dahin eigenständige Frau«, fand sich nach einem Schlaganfall in einer Vivantes-Notaufnahme wieder. Nicht nur musste sie dort acht Stunden warten, bis sie überhaupt einen Arzt sehen konnte. Die folgenden zwei Wochen habe sie zu weiten Teilen an Händen und auch Füßen ans Bett fixiert über sich ergehen lassen müssen, weil das sogenannte Delir, eine Schlaganfall-Folgeerscheinung, immer wieder dazu führte, dass sie sich aus dem Bett begeben wollte. Dies bringt größte Sturzgefahr mit sich. Aber eine Sitzwache im Zimmer von Jankes Mutter sei angesichts der Personalsituation auf der Station nicht zu rechtfertigen gewesen, habe es geheißen.

»Eine Fixierung im Delir erhöht das Sterberisiko«, sagt die Berlinerin, deren Mutter schließlich auf eine Station verlegt wird, auf der in der Nacht zwei Pflegekräfte für 30 Patient*innen zuständig sind. Die alte Dame versucht dort erneut, ihre Situation zu verlassen und stürzt zweimal. Ihre Tochter beschreibt, wie sie sie kurz darauf auf dem Weg zur Computertomographie bei einem Erstickungsanfall mitten auf dem Boden des Krankenhausflurs selbst versuchen muss, zu beatmen: »Viele rannten vorbei, keiner hatte Zeit, um zu helfen«, erinnert sich Isabel Janke. Kurz darauf verstirbt ihre Mutter.
»Ich möchte, dass die Berliner Bevölkerung begreift, dass diese Situation uns alle angeht«, erklärt Janke. »Ich glaube der Vivantes-Leitung nicht, wenn sie sagt, sie sei in Sorge um die Patienten. Wenn dem so wäre, würde sie nicht von einem ›gefühlten Notstand‹ sprechen«, sagt die Musiklehrerin. Das Ausgebranntsein, die Krankenstände, die Berufsflucht, die Abbrecherquote bei den Auszubildenden seien nichts »Gefühltes«, sondern messbare Faktoren.

Auch die Physiotherapeutinnen Christina Husmann und Saskia Potze, Beschäftigte bei Vivantes Reha, einer Tochter des Konzerns, erklären noch einmal, wie sehr die Situation in allen Klinikbereichen auch zulasten der Patient*innen geht. »Die Nachsorge ist sehr wichtig, aber viele sitzen länger und warten auf Behandlung, als dass sie Therapie haben«, sagt Husmann. »Unspezifische Gruppentherapien« würden den Behandlungsbedürfnissen der Kranken nicht gerecht. Immer mehr Mitarbeiter*innen würden den Bereich verlassen. »Vor vier Jahren waren wir deutschlandweit unter den besten vier Rehas, 2020 waren wir unter den letzten vier«, berichtet die junge Physiotherapeutin. »Wir sind nicht schlechter geworden, aber zu wenige.« Sie selbst gerate zunehmend an ihre Grenzen, so Husmann.

»Kündigt nicht, kämpft«, sagt dazu Sultan Yolulu. 31 Jahre Berufserfahrung hat die Intensivpflegerin von der Charité vorzuweisen, die auf der Bühne des Roten Salons sagt: Ihren eigenen Vater würde sie nicht in die Klinik gehen lassen, aus Angst, dass er dort nicht gut versorgt würde. »Wir haben uns in die Hände von Bürokraten begeben, die keine Ahnung von meinem Job haben«, kritisiert sie die Strategien der Klinikbetreiber, sich aus vorgeblich finanziellen Gründen auf keine klaren Regelungen bei der Personal-Patient*innen-Quote einlassen zu wollen.

»Der Markt hat keine Mutter«, hatte Isabel Janke zuvor gesagt. Man sollte meinen, die Unternehmensführung der Kliniken hätten sie schon. So wie alle anderen Berliner*innen auch, auf deren Einsatz die Streikenden umso mehr hoffen, seit der Tarifkonflikt über die Wahlen am 26. September hinaus verschleppt wurde. »Wir brauchen euch als Öffentlichkeit«, sagt Silvia Habekost von der Verdi-Tarifkommission bei Vivantes. Für den kommenden Samstag ruft die Krankenhausbewegung daher zu einer Großdemonstration der gesamten Bevölkerung auf, die um 12 Uhr am Hermannplatz in Neukölln startet.

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