Geißel der Menschheit

Margaret MacMillan berichtet, wie Konflikte und Kriege geschürt werden

  • Harald Loch
  • Lesedauer: 3 Min.

Es ist nur gut, dass der Krieg so schrecklich ist, wir würden sonst vielleicht Gefallen an ihm finden«, soll der Konföderiertengeneral Robert E. Lee in der Schlacht von Fredricksburg 1862 angesichts der vielen vergeblichen wie verlustreichen Angriffe der Unionstruppen bemerkt haben. Die kanadische Historikerin Margaret MacMillan zitiert dieses Aperçu aus dem US-amerikanischen Bürgerkrieg in ihrem weniger militär- als kulturgeschichtlichen Werk »Krieg«.

Die Autorin lehrte Neuere Geschichte in Oxford, wo sie auch dem renommierten St. Antony’s College vorstand. Mehr als zwei Jahrtausende sowie Völker und Gesellschaften aller Kontinente nimmt sie in den Blick. Ihr Buch ist nicht historisch, sondern thematisch gegliedert. Sie schreibt mit einer Sachkenntnis und Souveränität, die auf sensationsheischende Botschaften verzichten kann, ohne das monströse Wesen des Krieges zu verharmlosen. Sie erzählt mit historischer Genauigkeit über Kriegsbegeisterung wie über Opfer, sie prangert Kriegsverbrechen ohne Ansehen der jeweiligen Partei an, sie ist auf allen Schauplätzen zu allen Zeiten präsent, verwendet O-Töne, um authentisch zu bleiben, kennt sich in der internationalen Kriegs- und Antikriegsliteratur bestens aus und bezieht sich auch auf Belletristik - von Vergil und Homer über Shakespeare zu Remarque und Ernst Jünger oder Wassili Grossman. Sie zitiert mörderische Passagen aus dem Alten Testament oder aus einer Rede Himmlers vor SS-Kommandeuren in Posen. Ein solches Buch kommt ohne den so wohlfeilen flammenden Appell zum Frieden aus - das versteht sich von selbst.

In einem »Wie Krieger gemacht werden« überschriebenen Kapitel erzählt sie von der verheerenden Erziehung von jungen Menschen zu tapferen und mörderischen Kriegern, sie beschreibt die hohle Fairness ritterlicher Tugenden, aber auch die Feldweihnacht in Frankreich 1914 über Schützengräben hinweg. Die Autorin weiß von heldenhaften Kriegern wie von Söldnern zu berichten, sie prangert SS-Massaker in Oradour und anderswo an und klagt einen kanadischen General an, der seine Truppe im Ersten Weltkrieg einen von Deutschen gehaltenen Hügel stürmen ließ, der Tausende Gefallene in den eigenen Reihen in Kauf nahm und später als Held verehrt wurde, in jüngerer Zeit in Kanada jedoch nur noch als »Schlächter« bezeichnet wird. Die Entwicklung der Waffen von der Stein- und Bronzezeit bis hin zur Atombombe oder auch den kaum mehr von Menschen zu kontrollierenden vollautomatischen Angriffswaffen der Gegenwart und nahen Zukunft. Sie weiß vom zunehmenden Cyberkrieg und auch davon, dass in Afghanistan Aufständische, deren Funkverkehr von den Amerikanern abgehört wurde, zu Nachrichtenübermittlung durch Motorradfahrer übergingen.

Die ungeheuren wirtschaftlichen Anstrengungen kriegführender Länder, die Kosten von Wiederaufbau und Millionen von Toten finden einen eher nüchtern beschriebenen Platz in diesem Buch, das aber auch viele erschütternde Anekdoten enthält. Den vielfältigen völkerrechtlichen Vereinbarungen zur Ächtung von Kriegen und Massenvernichtungswaffen widmet sie viel Aufmerksamkeit. In Kontrast hierzu zitiert sie einen kanadischen Militär, der stolz auf einen von ihm befohlenen Giftgasangriff im industriell geführten Weltkrieg war. Und informiert, dass das Rote Kreuz auf einem blutgetränkten Schlachtfeld erfunden wurde.

Am Ende gibt es die Hoffnung, »die lange enge Verknüpfung von Krieg und Gesellschaft könnte an ihr Ende gelangen oder sollte dies - nicht, weil wir uns verändert haben, sondern weil die Technologie sich verändert. Angesichts neuer, noch schrecklicherer Waffen, der zunehmenden Bedeutung von künstlicher Intelligenz, von automatischen Tötungsmaschinen und von Cyberkrieg sind wir mit der Möglichkeit des Endes der Menschheit konfrontiert. Wir müssen über den Krieg nachdenken - mehr als je zuvor.«

Margaret MacMillan: Krieg. Wie Konflikte die Menschheit prägten. A. d. Amerik. v. Klaus-Dieter Schmidt. Propyläen, 381 S., geb., 30 €.

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