Die Vergangenheit ist niemals tot

In ihrem Roman »Dunkelblum« rechnet Eva Menasse mit der österreichischen Verdrängung des Faschismus ab

  • Matthias Reichelt
  • Lesedauer: 4 Min.

Dunkelblum ist ein kleiner Ort im Burgenland, dicht an der ungarischen Grenze. Erfunden - angelehnt an den tatsächlichen Ort Rechnitz - hat ihn Eva Menasse und ihn zum titelgebenden Schauplatz ihres neuen und grandiosen Romans gemacht. Dunkelblum klingt mysteriös und geheimnisvoll. Es ist ein lautmalerischer Symbolismus und steht gleichsam für eine verleugnete und übertünchte Vergangenheit, die allgemein beschwiegen wird.

Die Handlung spielt während der Hundstage im Sommer 1989. Jenseits der österreichischen Grenze warten DDR-Bürger in Ungarn auf ihre Ausreise. Aber nicht nur im kollabierenden Realsozialismus sind die Verhältnisse in Bewegung geraten, sondern auch in Dunkelblum. Denn zeitgleich legen dort junge Aktivisten den überwucherten jüdischen Friedhof frei, richten die umgekippten Grabsteine auf und wecken damit bei manchen Bewohnern Erinnerungen an verdrängte Ereignisse. Dass diese bislang nicht an die Oberfläche drangen, ist einem netzwerkartigen Geflecht gegenseitiger Abhängigkeiten zu verdanken, In Dunkelblum wäscht eine Hand die andere, auch wenn manchmal die Interessen gegenläufig sein mögen, sie werden doch zugunsten gemeinsamer scheinbarer Vorteile ausbalanciert.

Aktuell aber hat sich die Dorfbevölkerung zerstritten über die Frage der zukünftigen Wasserversorgung. Reichen die örtlichen Wasserquellen? Probebohrungen könnten Unerwünschtes zutage fördern, da könnte es besser sein, sich an den Wasserverband zu binden, was einige zu intensiver Lobbyarbeit beflügelt. Ganz vorne mit dabei der erkrankte Bürgermeister und sein Stellvertreter.

Eva Menasse verwebt diese thematischen Stränge gekonnt zu einem spannenden Heimatthriller. Vor den Augen der Leserinnen und Leser lässt sie ein Histo-, Sozio- und Psychogramm eines Ortes entstehen, in dem alles engmaschig und scheinbar undurchdringlich miteinander verbunden scheint. Nur Unbeteiligte, von außen Zugereiste wie die jungen Aktivisten haben überhaupt eine Chance, etwas Licht in die dunklen Verhältnisse zu bringen.

So argwöhnisch sie auch betrachtet werden, sie stellen die richtigen Fragen und legen die Finger in die nur oberflächlich verheilten Wunden. Da ist Flocke, die kluge, sympathische und eigenwillige Tochter von Leonore Malnitz und ihres Mannes Toni. Ob Flocke, die nur den Sommerurlaub bei ihren Eltern verbringt, allerdings wirklich das Produkt dieser Ehe ist, scheint fraglich, denn im Ort kursieren so manche Gerüchte. Auf jeden Fall ist sie längst nicht mehr so verwurzelt im Ort, ebenso wie Lowetz, der nur zurückgekehrt ist, um das Haus der kürzlich verstorbenen Mutter aufzulösen.

Hinzu gesellen sich der Reisebüroinhaber und Hobbyhistoriker Rehberg sowie der aus den USA angereiste ominöse Dr. Gellért, der auf der Suche nach den Gräbern ermordeter Zwangsarbeiter ist, um diese endlich würdig zu bestatten. Nein, die Vergangenheit ist eben nicht tot, sie ist nicht einmal vergangen, wie es Faulkner formulierte. »Das ist nicht das Ende der Geschichte«, lautet auch der letzte Satz des Romans, als ob Menasse nochmals Francis Fukuyama widerlegen müsse, denn der prophezeite 1989 fälschlicherweise genau ein solches Ende.

Dass der Ostblock, wie man im Westen sagte, als Folge des Zurückwerfens der deutschen Faschisten und ihrer Helfershelfer durch die Rote Armee entstanden war, wurde in bürgerlichen Kreisen gerne vergessen. Dessen Erosion verknüpft Menasse mit dem Lüften des Geheimnisses um ermordete Zwangsarbeiter in Dunkelblum. Bis heute sind weder die NS-Verbrechen restlos aufgeklärt worden noch konnte die blockbedingte Spaltung Europas überwunden werden. 1989 war das entscheidende Jahr, in dem Geschichte einer turbulenten Revision unterzogen wurde, ohne dass bis heute ein Ende abzusehen wäre.

Menasse schreibt stilistisch in ganz anderer Sprache als der ebenfalls österreichische Hans Lebert, vor 60 Jahren seinen Roman »Wolfshaut« mit einer durchgängig düsteren Atmosphäre versah. Darin ging es ebenfalls um ungesühnte NS-Morde in einem Dorf mit dem bedeutungsreichen Namen »Schweigen«.

Auf jeder Seite von »Dunkelblum« ist Menasse eine große Fabulierfreude anzumerken. So grausam die Geschichte der Ermordeten und ihrer Mörder, die aus Niedertracht, Habgier und Opportunismus handelten, auch ist, Menasse gelingt ein sehr kommensurabler Ton, da sie Ironie und Sarkasmus nicht scheut, was die spannende Lektüre zu einem Lesevergnügen macht. In guter Erinnerung bleiben auch die vielen »Austriazismen« (im Anhang glossarisch aufgelistet), wie zum Beispiel das schnell zu sprechende »Gschisti-Gschasti« für Schnickschnack, das zum Lieblingsbegriff des Rezensenten wurde.

Eva Menasse: Dunkelblum. Kiepenheuer und Witsch,524 S., geb., 25 €.

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