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Eisern industriell

Berliner Gewerkschaften fordern mehr Augenmerk für Produktion von designierter Regierender Bürgermeisterin

  • Jörg Meyer
  • Lesedauer: 4 Min.

»Die Industrie schafft den Wohlstand in diesem Land. Deshalb brauchen wir mehr Industrie in der Stadt«, sagte Jan Otto, Erster Bevollmächtigter der IG Metall Berlin. Gemeinsam mit der Chemiegewerkschaft IG BCE und dem Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB) fordert die größte der Industriegewerkschaften eine »Dekade der Industriellen Erneuerung«, so Stephanie Albrecht-Suliak, die Stellvertretende Leiterin des IG BCE-Landesbezirks Nordost.

Das heißt: Die beiden großen Industriegewerkschaften in der Hauptstadt wollen, dass der neue Senat die Rahmenbedingungen für Ansiedlungen verbessert. Drei der für die neue Allianz aus IG Metall und IG BCE wichtigen Punkte sind: Für die Industrie müssen erstens ausreichend Flächen zur Verfügung stehen - ohne dass aber Wohnungs- und Industriepolitik gegeneinander ausgespielt werden. So müssten Industrieflächen auch solche bleiben und dürften nicht für den Wohnungsbau umgewidmet werden. »Wir benötigen eindeutig mehr industrielle Wertschöpfung in der Stadt«, so Otto. Betriebe dürften nicht immer nur im Umland angesiedelt werden.

Zweitens müsste eine aktive Industriepolitik vermehrt die Forschungs-, Bildungs- und Weiterbildungsangebote nutzen, die Berlin bietet. »Jedes Jahr stellt sich wieder die Frage, wo die qualifizierten Fachkräfte herkommen«, sagte der DGB-Bezirksvorsitzende Berlin-Brandenburg, Christian Hoßbach. Es gebe beispielsweise zu wenig unternehmerische Forschung. Denn ohne gut ausgebildete Fachkräfte funktioniert keine Industrie.

Drittens solle die Industriepolitik ein sektorübergreifendes Thema in allen Ressorts des neuen Senats werden. Aus Sicht der Gewerkschaften hat nicht nur Wirtschaftspolitik mit einer guten Industriepolitik zu tun, sondern auch die Verkehrs-, Bildungs- oder Gesundheitspolitik.

An der Stelle ergäben sich Synergien zwischen IG BCE und IG Metall, sagte Jan Otto zur Begründung der neu geschmiedeten Allianz. Besonders in der Arzneimittel- und beispielsweise der Batterieproduktion gebe es Synergien zwischen den beiden Gewerkschaften: Die Produktion von Batterien liegt bei der Chemiegewerkschaft, das Recycling bei den Metallern.

Während der DGB bei der Pressekonferenz am Dienstag konkret in erster Linie auf die Aus- und Weiterbildung verwies, fordert die IG BCE als konkrete Maßnahme vom neuen Senat eine Machbarkeitsstudie zur Wasserstoffproduktion. Das geht aber »nur gemeinsam für Berlin und Brandenburg«, sagte Albrecht-Suliak. Man müsse sektorübergreifend, also von der Produktion über den Handel bis zur Dienstleistung, prüfen, wo der Einsatz von Wasserstofftechnologien sinnvoll sei und dann gucken, ob und wie man eine heimische Produktion aufbauen kann.

Die kleinste Industriegewerkschaft, die Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG), fehlt in der neu geschmiedeten Allianz und sitzt nicht mit im Steuerungskreis - auch wenn in Berlin mehrere Tausend Menschen in der Ernährungs- und Genussmittelindustrie arbeiten. Gefragt, warum das so ist, sagte der Vorsitzende des NGG-Landesbezirks Ost zu »nd«: »Oft ist es unseren Mitgliedern, die in der Ernährungsindustrie arbeiten, noch nicht ganz klar, dass Marmelade in ein Glas füllen ebenso industrielle Produktion ist, wie das Abfüllen von Tabletten.« In der NGG wird traditionell eher von der Ernährungswirtschaft und weniger von Ernährungsindustrie gesprochen.

165 000 Menschen arbeiten in der Berliner Industrie. Knapp 35 000 von ihnen sind in der IG Metall organisiert, rund 7000 in der IG BCE. Zu wenig Industrie, und die ist zu wenig sichtbar, findet Jan Otto. »Es kann ja nicht sein, dass wir immer erst auf die Straße gehen müssen, um als Gewerkschaften und als Sozialpartner wahrgenommen zu werden.«

Die Gewerkschaften fordern nicht zuletzt eine Fortführung des Steuerungskreises Industriepolitik, der 2010 gegründet wurde. Dort hatten sich in den letzten Jahren beim scheidenden Regierenden Bürgermeister Michael Müller Vertreter*innen aus Industrie, Wirtschaft und Gewerkschaften getroffen. Die designierte neue Regierende Franziska Giffey (beide SPD) müsse diesen Kreis fortführen, die Industriepolitik von der Chefsache zur Chefinnensache werden.

Die Gewerkschaften wollen, dass dieser Steuerungskreis zum einen fortgeführt und zum anderen in einen »Beirat Transformation« umgewandelt wird, in dem die »erfolgreiche Zusammenarbeit von Senat, Wirtschaft, Wissenschaft und Gewerkschaften« fortgesetzt werden müsse, hieß es in der gemeinsamen Mitteilung am Dienstag. Denn die industrielle Transformation und die Klimawende würden die Arbeits- und Lebensweisen der Berliner*innen »fundamental verändern«. »Hier erweitern wir unser Mandat und werden diesen Wandel mitgestalten«, sagte Jan Otto. Durch die Transformation veränderten sich nicht nur die nachgefragten Produkte, sondern auch die Art und Weise, wie sie produziert werden - und damit die Bedingungen der Arbeit. »Darauf wollen wir sozialverträgliche Antworten geben«, so Albrecht-Suliak.

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