Nato übt den Massenmord

Bei der Militärübung »Steadfast Noon« trainieren Nato-Streitkräfte den Einsatz von Atombomben in Europa

  • René Heilig
  • Lesedauer: 4 Min.

Die Übung »Steadfast Noon«, die seit Montag vor allem über Südeuropa stattfindet, sei eine rein »routinemäßige Trainingsaktivität« und »nicht mit aktuellen Weltereignissen verbunden«. Das hört man aus dem Nato-Hauptquartier in Brüssel. Routine? Stimmt. Derartige Übungen finden alljährlich statt. Sie sollen, so betont man in Brüssel, dazu beitragen, dass die nukleare Abschreckung der Nato »wirksam bleibt«. Wer aber derzeit mit wem was übt, sagt die Nato nicht.

Sicher ist, dass ein Teil der Übung auf der deutschen Luftwaffenbasis in Büchel stattfindet. In der Eifel ist das Taktische Luftwaffengeschwader 33 stationiert. Weitere Aktivitäten konnte man im belgischen Brogel beobachten. An beiden Standorten sowie möglicherweise in italienischen und niederländischen Basen lagern die USA – obwohl das offiziell nie bestätigt wurde – Atombomben vom Typ B61. Auch in der Türkei waren solche Waffen stationiert, doch nach dem Putschversuch von 2016 hat man sie vermutlich auf andere Depots verteilt.

Die B61 ist eine sogenannte Freifallbombe aus den Zeiten des Kalten Krieges. Man hat sie in den vergangenen Jahren weiterentwickelt, ordnet den Typ aber weiter als »taktische« Waffe ein. Das ist angesichts der verheerenden Wirkung dieser Massenvernichtungsmittel eine absolute Verharmlosung. Dank GPS-Lenkung ist die B61 präziser und in ihrer Wirkung variabel. Verglichen mit dem herkömmlichen TNT-Sprengstoff hat sie eine Maximalwirkung von 170 Kilotonnen. Das ist mehr als achtmal stärker als die Bombe »Fat Man«, die von den USA 1945 auf die japanische Stadt Nagasaki abgeworfen wurde. Die geringste Wirkung der neuen B61 liegt bei 0,3 Kilotonnen. Was als »softe« Variante gepriesen wird, führt jedoch lediglich dazu, dass der Einsatz von Atomwaffen in einem möglichen Konflikt wahrscheinlicher wird.

Frankreich und das Vereinigte Königreich sind die einzigen Nato-Mitglieder mit eigenen A-Waffen-Arsenalen. Die US-Bomben in Europa kommen quasi als Ergänzung hinzu. Sie sollen in einem Spannungs- oder Kriegsfall – mit einem Code gesichert – an Kampfjets ausgesuchter Nato-Staaten gehängt werden. Deren Piloten sind im Rahmen der nuklearen Teilhabe der Nato für einen Massenmord ausgebildet. Wo mögliche Abwurfziele liegen, ist nicht schwer auszumachen. Die Nato verweist immer wieder auf eine angebliche Bedrohung durch russische Truppen. Moskau, so heißt es mit Hinweis auf die regelmäßigen »Sapad«-Manöver, betreibe einen immensen konventionellen Aufmarsch, der begleitet werde durch diverse Cyberangriffe und Tests mit nuklear bestückbaren Raketen und Marschflugkörpern.

Nach dem Ende des Kalten Krieges wurde auch in der Nato über den Abzug der US-Atomwaffen aus Europa gesprochen. Derartige Überlegungen legte man aber auf Eis, nachdem sich hochfliegende US-Pläne für ein Raketenabfangprogramm als Luftnummer erwiesen. So setzt die Nato also weiter auf die Androhung eigener Nuklearschläge.

Die noch bis zum Wochenende laufende Übung »Steadfast Noon« soll diese Fähigkeit belegen. In den vergangenen Tagen ließ sich feststellen, dass neben deutschen und italienischen »Tornados« auch F-15-Maschinen der US Air Force, die auf der britischen Basis Lakenheath stationiert sind, einbezogen sind. Hinzu kommen belgische, niederländische, türkische und polnische F-16-Kampfjets. Um die Übung realistisch zu gestalten, werden Abwehrkräfte der »anderen Seite« gebraucht. Dazu dienen vermutlich die »Gripen«-Maschinen der tschechischen Luftwaffe.

Im Vergleich zu früheren Machtdemonstrationen erweitert man seit einigen Jahren die Übungsszenarien. So wird neben Büchel auch der deutsche Luftwaffenstützpunkt Nörvenich in die Atomübung einbezogen. Beteiligt sind jedoch nicht nur Staaten, die Jagdbomber direkt für den Nukleareinsatz vorhalten. Auch der Transport der B61-Bomben an andere Standorte wird geübt. Um bis zu den jeweiligen Zielgebieten vordringen zu können, brauchen die Angreifer Partner, die den Luftraum freimachen und die gegnerische Luftabwehr mit elektronischen wie konventionellen Mitteln niederhalten. Tankflugzeuge erweitern die Reichweite der Bomber.

Protest gegen »Steadfast Noon« gibt es wenig. Die Androhung eines Atomschlages sei »das denkbar schlechteste Signal, wenn man die Beziehungen zwischen der NATO und Russland verbessern will«, betont die friedenspolitische Sprecherin der Linksfraktion Kathrin Vogler. Die Umweltschutzorganisation »Greepeace« fordert SPD, FDP und Grüne auf, in ihren Koalitionsverhandlungen auf den Abzug der US-Atombomben aus Deutschland und die Wiederaufnahme der Abrüstungsgespräche mit Russland zu drängen.

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