Humanitäre Krise droht in Grenzregion

Lage der über Belarus kommenden Flüchtlinge verschlechtert sich – Zivilgesellschaft ruft zum Handeln auf

  • Sebastian Bähr
  • Lesedauer: 3 Min.

Die Lage der Geflüchteten an der polnisch-belarussischen und der deutsch-polnischen Grenze ist anhaltend kritisch. Politiker, soziale Bewegungen sowie die UN drängen auf rasche Unterstützung der Menschen, sonst drohe eine humanitäre Katastrophe. »Die verzweifelte Lage von Schutzsuchenden an der Grenze zwischen Belarus und der EU wurde wiederholt ignoriert, während sich die Situation weiter verschlechterte«, erklärte das Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen in einer Mitteilung. Es brauche nun »sofortiges Handeln, um Leben zu retten und weiteres Leid zu verhindern«.

Die Bewegung Seebrücke nimmt dafür auch die neue Bundesregierung in Verantwortung. »Wir fordern die Bundesregierung und die Ampel-Koalition als zukünftige Regierung dazu auf, eine direkte Aufnahme der Menschen von der polnisch-belarussischen Grenze in Deutschland sofort zu ermöglichen. Den Menschen muss ein Zugang zu rechtsstaatlichen Verfahren gewährleistet werden«, erklärte Jan Behrends, Sprecher der Bewegung Seebrücke. »Die illegalen Pushbacks an der polnisch-belarussischen Grenze müssen sofort beendet werden«, forderte zudem Mariella Hettich, ebenfalls Sprecherin der Initiative.

Die Seebrücke hatte jüngst eine Online-Petiton gestartet, in der sie Zugang für Ärzte, Hilfsorganisationen, Anwälte und Journalisten in die Grenzgebiete fordert. Speziell die polnische Regierung, aber auch die anderen EU-Staaten werden zudem zur Einhaltung der Menschenrechte und des Völkerrechts aufgerufen – worunter auch fällt, Flüchtlinge nicht mit Gewalt zurückzudrängen. Die Bundesregierung und andere EU-Länder sollten nach Ansicht der Aktivisten Polen und Litauen unterstützen, Schutzsuchende zu registrieren und ihnen Zugang zu einem fairen Asylverfahren zu gewähren. Die Petition wurde bis zum Montag von rund 1200 Menschen unterschrieben.

Die geplante schnellere Verteilung von Menschen, die momentan ohne Papiere über Belarus und Polen nach Deutschland kommen, soll derweil voraussichtlich in der ersten Novemberwoche starten. Ein Sprecher der Bundespolizeidirektion Berlin sagte am Montag, dies sei aktuell in Vorbereitung. Die Beamten sollen dabei mit dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge zusammenarbeiten, die die Verteilung der Menschen auf andere Bundesländer übernehmen.

Derzeit werden Menschen, die über Belarus und Polen nach Brandenburg kommen, zunächst in der Erstaufnahmeeinrichtung in Eisenhüttenstadt registriert. Dabei geht es um eine Sicherheitsprüfung, einen Corona-Test und die erste Versorgung. Erst später erfolgt eine Verteilung auf andere Bundesländer. Um die Erstaufnahme in Brandenburg zu entlasten, hatte Landesinnenminister Michael Stübgen (CDU) nach eigenen Angaben mit Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) vereinbart, dass die Registrierung verbessert wird, sodass in Brandenburg nur Flüchtlinge aufgenommen werden, die dort bleiben.

Die selbstorganisierten Patrouillen von Neonazis an der brandenburgisch-polnischen Grenze vom Wochenende sorgen indes für weitere politische Reaktionen. Das Bundesinnenministerium hatte die Aktionen ebenfalls scharf verurteilt. »Die Position ist ganz klar: Das Gewaltmonopol liegt beim Staat«, sagte ein Sprecher des Ministeriums am Montag in Berlin. »Für Selbstjustiz oder amtsanmaßendes Verhalten von Privaten besteht in unserem Rechtsstaat kein Raum. Grenzschutz ist allein Aufgabe des Staates.« Die Polizei vor Ort habe die Lage im Griff. Die Beamten spürten in der Nacht von Samstag auf Sonntag rund 50 Verdächtige auf, die nach Polizeiangaben einem Aufruf der Neonazi-Kleinstpartei »III. Weg« gefolgt waren.

Seit Jahresbeginn registrierte die Bundespolizei über 6100 irreguläre Einreisen über die Belarus-Route. Der belarussische Machthaber Alexander Lukaschenko hatte im Frühjahr als Reaktion auf westliche Sanktionen erklärt, er werde Schutzsuchende auf dem Weg in die EU nicht mehr aufhalten. Nach Schätzung der Menschenrechtsorganisation Human Constanta sollen sich in Belarus noch etwa 15 000 Flüchtlinge aufhalten – teils unter katastrophalen Bedingungen. Videos in sozialen Netzwerken zeigen zahlreiche erschöpfte und frierende Menschen in den Wäldern der Grenzgebiete. Mit Agenturen

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