Wenn die Rechtsform zum Schlupfloch bei der Mitbestimmung wird

Rund ein Viertel der 40 Dax-Konzerne drückt sich bei Arbeitnehmer-Mitspracherechten in den Aufsichtsräten

  • Simon Poelchau
  • Lesedauer: 3 Min.

Wer wie viel im Betrieb zu sagen hat, ist schon immer eine Streitfrage. Seit seinem Bestehen setzt sich der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) für mehr Mitbestimmungsrechte der Arbeitnehmer ein. Mit dem Montanmitbestimmungsgesetz von 1951 erreichte er eine Arbeitgeber-Arbeitnehmer-Parität Kohle- und Stahlindustrie.

Diese Errungenschaft wollte der DGB auf die gesamte Wirtschaft ausweiten. Natürlich erhielt er dafür massiven Gegenwind von der Kapitalseite. Zwischen einer solchen Gesellschaftsordnung und dem Kommunismus gebe es keine Unterschiede mehr, wetterte sie. Da half es auch nur wenig, wenn der DGB beteuerte, dass die Mitbestimmung keine Waffe im Klassenkampf sei und Gewerkschafsvertreter in Aufsichtsräten stattdessen unerlässlich seien, um zu erreichen, »dass betriebsegoistische Aspekte in der Unternehmenspolitik zurücktreten, und zwar zugunsten von Branchen- oder sogar gesamtwirtschaftlichen Gesichtspunkten«.

Letztlich führte die rot-gelbe Bundesregierung unter Helmut Schmidt (SPD) 1976 das Mitbestimmungsgesetz ein. Es besagt, dass die Aufsichtsräte von Unternehmen mit über 2000 Angestellten paritätisch besetzt werden sollen, und gilt noch immer. Jedoch wird der Aufsichtsratsvorsitzende in der Regel von den Anteilseignern bestimmt und hat auch ein doppeltes Stimmrecht. Insofern hat im Zweifelsfall weiterhin das Kapital das Sagen. Nichtsdestotrotz konnte man sich dort nie so ganz mit der Mitbestimmung anfreunden und man versuchte immer wieder, das Gesetz zu unterlaufen. Eine Möglichkeit ist etwa, dem Konzern die Rechtsform einer Societas Europaea (SE) zu verpassen, weil diese nicht durch das Mitbestimmungsgesetz erfasst wird.

Der Linke-Bundestagsabgeordnete Pascal Meiser wollte deswegen wissen, wie viele der größten deutschen Konzerne sich derzeit an das Mitbestimmungsgesetz halten. Schließlich wurde der Deutsche Aktienindex (Dax), das wichtigste hiesige Börsenbarometer, kürzlich von 30 auf 40 Unternehmen erweitert. Da bietet sich eine Wasserstandsmeldung an, die Meiser abfragen wollte.

Die Antwort, die der Gewerkschaftspolitiker erhielt, war eher ernüchternd: »Es existiert keine amtliche Statistik, die die erbetenen Angaben enthält«, teilte ihm das Bundesarbeitsministerium mit. Die Dax-Unternehmen seien nicht verpflichtet, diesbezügliche Angaben zu melden. Für Meiser ist es »einfach nur peinlich, dass die aktuelle Bundesregierung die Augen davor zu verschließen scheint, in wie vielen Großunternehmen die viel gepriesene deutsche Unternehmensmitbestimmung überhaupt noch praktiziert wird«. Dabei sei es ein offenes Geheimnis, dass selbst zahlreiche große Dax-Unternehmen die Mitbestimmung umgehen oder schlichtweg ignorieren.

So hat sich das Beratungsunternehmen Russel Reynolds im Juli die Entwicklung in den Aufsichtsräten angeschaut. Laut der Studie gibt es in gut einem Viertel der 40 größten deutschen Aktiengesellschaften keine Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat. 2015 war lediglich ein Dax-Konzern ohne Parität gewesen. So ist Deutschlands größter Immobilienkonzern Vonovia eine SE und die Mitbestimmung deshalb ausgeklammert. Selbiges gilt etwa auch für den Nachrücker Hello Fresh. Airbus und der Industriekonzern Linde wiederum unterliegen nicht der Mitbestimmung, weil sie ihre Firmenzentrale im Ausland haben.

»Die künftige Bundesregierung darf der schleichenden Erosion der Unternehmensmitbestimmung nicht länger tatenlos zusehen«, fordert deshalb Meiser. Man brauche dringend ein Gesetz, das die bestehenden Schlupflöcher stopft und die wirtschaftliche Mitbestimmung der Beschäftigten auf Großunternehmen jedweder Rechtsformen ausweitet. Darüber hinaus fordert Meiser, dass die Schwelle für paritätische Mitbestimmung von 2000 auf 1000 Beschäftigte gesenkt und das doppelte Stimmrecht des Aufsichtsratsvorsitzenden gestrichen werden.

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