Weiter so?

Nach der Wiederwahl der Fraktionschefs bleibt die Frage, welche Veränderungen die Linke einläuten will

  • Max Zeising
  • Lesedauer: 4 Min.

Die Linksfraktion im Bundestag begab sich am Mittwoch für zwei Tage ins »Weltall«. In nach Himmelskörpern wie »Neptun« und »Jupiter« benannten Tagungsräumen des Hotels »Radisson Blu« am Augustusplatz in Leipzig kam die nach der Bundestagswahl auf 39 Abgeordnete geschrumpfte Fraktion zusammen, um über inhaltliche Positionierung und strukturelle Aufstellung in der kommenden Legislaturperiode zu beraten, sowie – nach der Wiederwahl der beiden Fraktionsvorsitzenden Dietmar Bartsch und Amira Mohamed Ali – den übrigen Fraktionsvorstand und die Leiter der Arbeitskreise zu wählen. Mit Blick auf den Leipziger Ring, wo bei den Montagsdemonstrationen des Jahres 1989 der Aufbruch in Ostdeutschland eingeläutet wurde, ringen die Genossen um einen ebensolchen in ihrer Partei.

Nach dem desaströsen Ergebnis bei der Wahl am 26. September, bei der die Linke mit 4,9 Prozent das schlechteste Resultat seit 2002 erzielt hatte und nur aufgrund von drei Direktmandaten über die Grundmandatsklausel in den Bundestag eingezogen war, erscheinen die Bemühungen mehr als notwendig – zumal die alten parteiinternen Gräben in den Tagen und Wochen nach dem Wahldebakel nur tiefer geworden zu sein scheinen. In zentralen Konfliktfeldern wie Klimapolitik, Auslandseinsätze der Bundeswehr und Haltung zu Russland sind die verschiedenen Strömungen – im Wesentlichen die Reformer um Fraktionschef Dietmar Bartsch, die aufstrebende Bewegungslinke und die Anhänger der umstrittenen Ex-Fraktionschefin Sahra Wagenknecht – von einer gemeinsamen Linie noch weit entfernt.

Zugleich hat sich das einst aus taktischen Gründen geschmiedete Bündnis aus Reformern und Wagenknecht-Anhängern seine Macht noch einmal gesichert. Ein im Parteivorstand verhandelter Antrag auf Abberufung von Bartsch und der Wagenknecht-Nachfolgerin Amira Mohamed Ali aus der Fraktionsspitze scheiterte. Auch in der Fraktionssitzung am Montag kamen die beiden Chefs mit einem blauen Auge davon und wurden mit 76,9 Prozent in ihren Ämtern bestätigt. Das sogenannte »Hufeisen-Bündnis« war nach dem Abtritt von Gregor Gysi aus der ersten Reihe gebildet worden, um die beiden divergierenden Flügel zusammenzuführen und ihnen Macht zu sichern. Mit ihren umstrittenen Äußerungen und Bestrebungen hat Wagenknecht jedoch in letzter Zeit vermehrt den Unmut des Bartsch-Lagers auf sich gezogen. Zugleich müssen sich beide Lager des wachsenden Drucks aus der Bewegungslinken erwehren.

Wagenknecht will keine Spitzenposition

Am Mittwochmittag begann die Fraktionsklausur hinter verschlossenen Türen. Für Donnerstag ist eine Pressekonferenz angesetzt. Auf den Gängen werden zwischen Schnittchen und Kaffeeautomat verschiedene Signale gesendet: einerseits der Wunsch nach Aufbruch – andererseits das Bedürfnis, dass nach den aufreibenden vergangenen Wochen wieder Ruhe einkehre.

Doch welche Botschaft soll von dieser Wiederwahl ausgehen? Etwa die, die Thorsten Zopf am Montagabend in den sozialen Medien verbreitete? Der als »dem Dietmar sein Fahrer« berühmt gewordene Bartsch-Chauffeur postete nach der Fraktionssitzung ein Foto bei Instagram, versehen mit dem Kommentar: »Weiter geht’s«. Einfach weiter so? Unklar bleibt, welche Veränderungen die Linke jetzt tatsächlich einläuten will.

Zunächst einmal sind Bartsch und Mohamed Ali für weitere zwei Jahre gewählt. Danach könnte theoretisch eine Veränderung anstehen. Möglich wäre auch, dass Bartsch deutlich früher vom Hof geht und Minister in einer rot-roten Regierung in Mecklenburg-Vorpommern unter der SPD-Politikerin Manuela Schwesig wird. Der alte und neue Fraktionschef, dem nicht erst seit dieser Woche eine gewisse Dickfelligkeit nachgesagt wird, wurde bei der Pressekonferenz nach seiner Wiederwahl von einem Journalisten auf eine mögliche Rückkehr in seinen Landesverband angesprochen. Bartsch musste lachen. »Das ist eine interessante Frage.« Er sagte, Personalfragen würden zum Schluss geklärt – explizit ausgeschlossen hat er den Weg in den Nordosten aber nicht. »Ich bin im Verhandlungsteam und werde versuchen, meinen Beitrag zu leisten. Mecklenburg-Vorpommern steht auf einem anderen Blatt.«

Mit Spannung erwartet wurden bei der Fraktionsklausur in Leipzig vor allem die Wahlen zum restlichen Fraktionsvorstand (nach Redaktionsschluss). Mehrere ehemalige Vorstandsmitglieder, etwa Fabio De Masi und Heike Hänsel, sind nicht mehr im Bundestag vertreten. Klar ist: Sahra Wagenknecht wird keine Funktion im Fraktionsvorstand anstreben, wie sie im Gespräch mit »nd« vor der Klausur mitteilte.

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