Ein Haus mit 200 Geschäftsführern

Das mitarbeitergeführte Krankenhaus in Spremberg ist bundesweit einmalig: Der hohe Personalschlüssel macht die Einrichtung für die Beschäftigten zu einem angenehmen Arbeitsplatz

nd: Das Krankenhaus Spremberg ist ein selbstverwaltetes Krankenhaus in der Hand der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Wie wirkt sich das im betrieblichen Alltag aus?

Manka: Wir arbeiten so, wie wir auch vorher gearbeitet haben. Es gibt lediglich die Besonderheit, dass wir einen höheren Personalschlüssel haben und dadurch unsere Arbeit etwas ruhiger abläuft. So können wir uns mit mehr Empathie den Patienten widmen.

Interview
Sabine Manka ist Chefärztin am Krankenhaus Spremberg. Die Fachärztin für Gynäkologie und Geburtshilfe leitet den Vorstand des Fördervereins der Klinik. Sie ist der Meinung, dass ein Gesundheitswesen in staatliche Hand gehört, weil es Pflicht des Staates ist, dafür zu sorgen, dass seine Bürger ordentlich versorgt werden. Die Fragen stellten Niels Seibert und Rupay Dahm.

Wie sind die Arbeitsbedingungen im Vergleich zu privatisierten Krankenhäusern?

Da alles am Personalschlüssel hängt, gibt es einen großen Unterschied. Denn wenn die Zeit fehlt, um die Pflege ordentlich zu realisieren, dann verschlechtert sich das Betriebsklima, dann rennen die Mitarbeiter weg, dann gibt es eine große Fluktuation in der Belegschaft. Bei uns gibt es auch nicht die ständige Angst vor Umstrukturierung, dass Abteilungen wegfallen und Personal reduziert wird. Alle Mitarbeiter und Fachabteilungen können mitentscheiden, wie sich Strukturen entwickeln sollen. Das macht viel aus und das merken auch alle, die unser Haus betreten. Immer wieder erhalten wir die Rückmeldung: Hier ist alles so ruhig und gelassen, alle sind so nett, das sind wir aus anderen Häusern gar nicht gewöhnt.

Gibt es auch Nachteile?

Ja, durchaus. Da wir mitarbeitergeführt sind, 51 Prozent uns selbst gehören, haben wir das Problem, dass wir manchmal 200 Geschäftsführer haben. Jeder weiß es besser und jeder denkt, er hat den Stein der Weisen gefunden und meint direkt mitentscheiden zu können. Wir haben also auch unsere Probleme, mit unserer eigenen Selbstverwaltung umzugehen.

Und wie lösen Sie die?

Indem wir viel miteinander reden. Indem unser Vorstand, der aus Mitarbeitern aus jeder Arbeitswelt besteht, mit unseren Mitarbeitern und Kollegen über die gesundheitspolitische Situation, gesellschaftliche Umwälzungen, Zwänge unter Corona und so weiter spricht und wir das Ganze so transparent halten, dass die Mitarbeiter imstande sind, auch manchmal unbequeme Entscheidungen nachzuvollziehen und mitzutragen. Das Wichtigste ist Transparenz, Kommunikation, reden, reden, reden und einfach da sein.

49 Prozent des Krankenhauses gehören der Stadt. Wie groß ist deren Einfluss?

Der Tenor der Stadt ist: Ihr habt den Sachverstand, wie ein Krankenhaus geführt wird, ihr habt den Auftrag für die regionale Versorgung der Bevölkerung, ihr müsst das entscheiden. Die Stadt spricht mit bei politischen Entscheidungen und hilft uns auf schwierigen Wegen, zum Beispiel als wir politische Entscheidungen nicht ganz nachvollziehen konnten, als wir ein Veto hatten, als wir zum Ministerium gefahren sind. Da wurden wir immer von der Stadt und von der Bürgermeisterin unterstützt. Aber die Tagesentscheidungen, die taktischen Entscheidungen, die übernehmen wir selbst und legen die bei jeder Gesellschafterversammlung unserem Mitgesellschafter vor. Aber es gab noch nie einen Grund zu Streitigkeiten. Also wir sind unsere eigenen Herren hier.

Wann gab es Anlass zu einem Veto?

Die Knie-Endoprothetik wurde uns vom Ministerium mit fadenscheiniger Begründung entzogen. Darum haben wir lange gekämpft und sitzen auch noch auf einer Million ausstehender Erlöse, die uns nicht ausfinanziert werden. Vor vielen Jahren war im Gespräch, die Gynäkologie oder die Chirurgie zu schließen, da mussten wir uns mächtig dafür einsetzen, dass das nicht passiert - übrigens mit riesiger Unterstützung der Bevölkerung und der Kommunalpolitiker. Das meine ich mit Unterstützung. Die stehen absolut hinter uns, und wenn unser Krankenhaus angegriffen wird, brauchen wir nur mit dem Finger schnipsen, dann steht unser ganzer Hof voll mit Spremberger Bevölkerung.

Ist die Lohnhöhe eine andere als in anderen Kliniken?

Ja, weil unser Personalschlüssel höher ist, haben wir einen Haustarifvertrag, der nicht eins zu eins mit dem Tarifvertrag für den Öffentlichen Dienst übereinstimmt. Wir verdienen eindeutig weniger. Außerdem kann man uns als Chefärzte in diesem Krankenhaus nicht mit Chefärzten einer etwas größeren Klinik oder in einer Privatklinik vergleichen. Horrende Gehälter und goldene Nasen gibt es hier nicht.

In vielen Krankenhäusern wird auch Personal outgesourct, um Lohnkosten zu senken. Wie ist das bei Ihnen?

Wir standen natürlich unter dem gleichen Zwang und haben als erstes unser Labor outgesourct. Seitdem haben wir kein eigenes Laborpersonal. Dann haben wir für unser Servicepersonal eine Klinikversorgungsgesellschaft gegründet, die mit dem Medizinischen Versorgungszentrum (MVZ), Tageskliniken und unserer Gesundheits-Kita zu unserer GmbH und unserer Gesellschafterstruktur gehört. Alle unter einem Dach und alle sozusagen direkt im Blick.

Als Argument für die Privatisierung von Krankenhäusern wird die Beschaffung von großen Kapitalmengen, zum Beispiel für Investitionen über den Aktienmarkt, genannt. Leidet das Krankenhaus Spremberg an Kapitalmangel, weil es keine Aktiengesellschaft ist?

Prinzipiell nicht. Es gibt Investitionspauschalen, die jedem Krankenhaus zustehen. Über diese Mittel vom Land werden Anschaffungen getätigt. Natürlich müssen wir uns gut überlegen, was wir uns anschaffen. Wir können uns hier natürlich nicht gleich ein MRT hinstellen und das aus der Portokasse bezahlen. Dafür arbeiten wir mit einer radiologischen Praxis am Krankenhaus zusammen und gemeinsam haben wir ein MRT finanziert. Wir führen Prioritätenlisten, was angeschafft werden muss, was zwingend ist, was Zeit hat. Bisher sind wir damit gut hingekommen. Obwohl man sagen muss, dass die Investitionspauschalen letztlich nie ausreichend sind.

Wie kam es denn zu dieser Gründungsidee, hatten Sie Vorbilder?

Nein, wir sind bundesweit die Einzigen, die es probiert haben. Das war nach der Wende eine absolute Notsituation. Zuvor waren wir ein Kreiskrankenhaus, 1992 wurden wir zur Spremberger Krankenhausgesellschaft und 1997 wurde die Stadt unser alleiniger Gesellschafter. Aber welche Stadt will sich schon ein Krankenhaus leisten? Deshalb haben wir überlegt, ob wir uns einem Klinikverbund anschließen sollen, wo wir fremdbestimmt sind, wo sich innerhalb kürzester Zeit unsere Strukturen komplett verändern können, wo wir nicht mehr Grundversorger sind. Das wollten wir nicht, also haben wir nach Alternativen gesucht.

Wir wussten ja alle, wie ein Krankenhaus funktioniert. Wir hatten eine gute Geschäftsführung - damals hieß das noch Ökonomischer Leiter und Finanzleiter. Da haben wir uns überlegt, wir gründen einen Verein und werden mit diesem zum Gesellschafter. Und das haben wir einfach gemacht. Von der Politik wurde lange gezögert, dem zuzustimmen. Aber wir haben einen ordentlichen Plan vorgelegt, wie das Ganze klappen kann, und dass wir die pflegerischen und die ärztlichen Kompetenzen haben. Und damit sind wir in den Kampf gezogen.

Was spricht heute gegen die Übertragung des Spremberger Modells auf andere Krankenhäuser?

Die gesellschaftliche Situation, die Probleme mit den Kassen, die Erlösunsicherheit, die Bürokratie und aktuell auch die Corona-Situation, durch die die Einweisungen bundesweit und auch bei uns um circa 10 bis 15 Prozent eingebrochen sind. Wir haben überhaupt keine Sicherheiten. Die Corona-Unterstützungszahlungen, die Ausgleichszahlungen für Mindererlöse sind ausgelaufen, die Budgetverhandlungen sind seit 2020 storniert. Wir arbeiten ins Ungewisse hinein und wissen nicht, ob unsere Erlöse, die wir erzielen, weiter dafür ausreichen, unser Personal zu bezahlen. Im Moment ist es eine ganz schlimme Situation, für alle Häuser.

Bei uns haben damals alle für unser Krankenhaus gebrannt. Es sollte weitergehen. Das war eine besondere Situation. Ich weiß nicht, ob man das heute mit einem anderen Krankenhaus noch mal hinkriegen könnte.

Förderverein Krankenhaus Spremberg e.V.

Auf Initiative des Betriebsrats und der Mitarbeiter des Krankenhauses Spremberg im brandenburgischen Landkreis Spree-Neiße wurde 1997 der Förderverein gegründet, der die Mehrheitsanteile an der Spremberger Krankenhausgesellschaft trägt. Heute sind dort etwa 90 Prozent der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aus allen Arbeitsbereichen Mitglied.

Philosophie des Hauses ist, sich einen höheren Personalschlüssel zu leisten, um eine würdige Betreuung zu gewährleisten. In Spremberg gibt es pro Pflegekraft zwischen sechs und sieben Patienten. Der Bundesdurchschnitt liegt bei eins zu 10,3.

Flache Hierarchien - es gibt beispielsweise keine Pflegedienstleitung mehr, sondern Bereichsleitungen - führen zu einer engeren Zusammenarbeit und kürzeren Wegen zwischen den Mitarbeitern, womit vieles auch etwas schneller geht. Chefärzte und Geschäftsführer müssen über die Gesellschafterversammlung bestätigt werden.

Mehrerlöse der gemeinnützigen GmbH werden als Jahresendprämie ausgezahlt bzw. investiert. Alle Einnahmen in der Fördervereinskasse werden für das Krankenhaus genutzt, beispielsweise für Weiterbildungsmaßnahmen und Ausbildung, für patientennahe Maßnahmen wie Verschönerungen und Bereitstellung von Literatur. nd

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