Wir wissen zu wenig über die Szene

Reichsbürger und Rechtsextremisten horten unter den Augen der Behörden legal Waffen

Wie erklären Sie sich den hohen Anteil von Waffenbesitzern unter Reichsbürgern und Rechtsextremisten?
Da gibt es eine lange Tradition. Es handelt sich um eine Mischszene, von der oft auch bei den Sicherheitsbehörden gar nicht klar ist, welcher Verdachtsfall eigentlich wie gezählt werden muss. Es gibt Rechtsextremisten aus der Neonaziszene, die dann irgendwann als Reichsbürger geführt werden. Sind das dann keine Neonazis mehr? Es ist einfach völlig unklar, wie diese Personen zu kategorisieren sind.

Ungeachtet dessen spielten - historisch betrachtet - Waffen in der extremen Rechten schon immer eine große Rolle. Neonazis und Reichsbürgern geht es um den Wechsel des Systems - ein gewaltsamer Umsturz wird dabei mit einkalkuliert. Wir haben die Zahlen ja schon länger abgefragt. Von 2018 zu 2020 gab es einen sehr starken Anstieg auch unter denen, die Waffen besitzen. Ob diese Menschen sich die Waffen neu besorgt haben oder ob einfach nur langjährige Waffenbesitzer als rechtsextrem eingestuft worden sind, sagen uns die Zahlen nicht. Mich beunruhigen aber auch gewisse Überschneidungen der Sicherheitsbehörden mit der Szene.

Gibt es eine größere Schießsportszene, die die Zahlen von Waffenbesitzern erklärt?
Wir haben das bislang nicht in Relation setzen können. Im Komplex Nordkreuz sind natürlich der Schießstand in Güstrow und die dort gefundenen Verbindungen ins Auge gefallen. Auch andere Schießstände sind bekannt, an denen Rechtsextremisten trainieren. Und dennoch: Über die Reichsbürgerszene wissen wir zu wenig. Bis zum tödlichen Angriff eines Reichsbürgers auf einen Polizisten 2016 im bayerischen Georgensgmünd wurde das Gefahrenpotenzial dieser Szene oftmals durch die Behörden unterschätzt.

Michael Noetzel (Die Linke) ist Mitglied des Landtags Mecklenburg-Vorpommern. Zu seinen Schwerpunktthemen gehören Rechtsradikalismus und rechte Umtriebe in Polizei und anderen Sicherheitsbehörden.
Daniel Lücking sprach mit ihm über die hohe Zahl von Neonazis und Personen aus dem Reichbürgermilieu, die im Norden legal Waffen horten dürfen.
Michael Noetzel (Die Linke) ist Mitglied des Landtags Mecklenburg-Vorpommern. Zu seinen Schwerpunktthemen gehören Rechtsradikalismus und rechte Umtriebe in Polizei und anderen Sicherheitsbehörden. Daniel Lücking sprach mit ihm über die hohe Zahl von Neonazis und Personen aus dem Reichbürgermilieu, die im Norden legal Waffen horten dürfen.

Sehen Sie Rechtsmittel, die gegen bewaffnete Reichsbürger anwendbar sind?
Beim Thema Waffenbesitz haben wir auf jeden Fall Möglichkeiten! Da geht es besonders um die waffenrechtliche Zuverlässigkeit und die Frage, wie sehr die Menschen auf dem Boden des Grundgesetzes stehen. Da sind Zweifel natürlich berechtigt. Was die Behörden aber mit den vorliegenden Hinweisen machen und ob diese entsprechend an die zuständigen Kreisämter übermittelt werden, damit diese tätig werden können, teilt uns niemand mit. Eine rechtliche Handhabe gibt es aber sehr wohl!

Wird das Problem in Mecklenburg-Vorpommern hinreichend ernst genommen?
Kürzlich teilten uns die Behörden die aktuellen Zahlen mit. Während es sonst immer Fluktuationen gab, ist der jetzige Stand identisch mit den Zahlen vom Januar 2021. Wir sind skeptisch, ob das wirklich aktuelle Zahlen sind. Ich habe den Eindruck, das Thema hat nicht die Priorität, die es eigentlich haben müsste. Ich befürchte auch, dass bei der waffenrechtlichen Zuverlässigkeit nicht mit Nachdruck geprüft wird.

Hat sich seit dem Rücktritt des CDU-Innenministers Lorenz Caffier, der wegen eines Waffenkaufs ging, etwas geändert?
Wir sehen das nicht. Torsten Renz (CDU) hat Reformvorschläge, die es nach rechtsradikalen Vorkommnissen rund um das SEK gab, nicht umgesetzt. Auch sind oder waren Teile des Personals, die Lorenz Caffier 15 Jahre lang begleitet haben, Teil des Problems.

Wie lief es nach der Entlassung von Verfassungsschutzchef Reinhard Müller in der Abteilung weiter?
Der neue Leiter der Verfassungsschutzabteilung ist sehr ambitioniert gestartet. Doch ob die im Fall Anis Amri und der eingelagerten Waffen nötigen Nachbesserungen umgesetzt wurden, wissen wir nicht. Dabei wurden all diese Probleme öffentlich im Bundestag in Berlin besprochen.

Im Landtag war das nicht möglich. Da wurde das Thema in die geheimen Sitzungen der parlamentarischen Kontrollkommission gegeben. Das Parlament konnte darüber nicht debattieren. Deswegen haben wir uns im Koalitionsvertrag darauf verständigt, dass der Verfassungsschutz eine stärkere demokratische Kontrolle braucht.

Was braucht es zur Neuaufstellung ?
Die Reformvorschläge der Expertenkommission sind klar benannt. Dazu zählt, dass der Verfassungsschutz Mecklenburg-Vorpommern zu viele Personen aus dem Polizeidienst anstellt. Wir brauchen gelernte Geheimdienstler, keine umgeschulten Polizisten. Das ist ein Problem. Über die weiteren Ergebnisse der Kommission darf leider nicht gesprochen werden, denn sie sind geheim. Auch ich kenne diese Inhalte nicht. Die Feststellungen in der letzten Legislaturperiode waren verheerend.

Zudem müssen wir für mehr Offenheit gegenüber der Zivilgesellschaft und der Wissenschaft sorgen, die oft einen anderen Blick auf die Gefahren für ein demokratisches Zusammenleben haben. Nötig ist auch, dass über offenkundige Verfehlungen, wie im Fall Anis Amri, auch öffentlich im Landtag geredet werden darf. Die Geheimhaltungsvorschriften werden aber so ausgelegt, dass das nicht möglich ist. Wie wir das auf den Weg bringen können, besprechen wir gerade mit unserem Koalitionspartner.

Zeigt die Landeschefin Manuela Schwesig (SPD) das nötige Problembewusstsein?
Ich denke, die Koalitionspartner haben bislang deutlich gemacht, dass sie das nötige Problembewusstsein haben. Neben der verstärkten parlamentarischen Kontrolle des Geheimdienstes wollen wir einen Sonderbeauftragten einsetzen, um Missstände innerhalb der Behörde zu entdecken und abzustellen.

Gedeiht Rechtsextremismus in Mecklenburg-Vorpommern besonders gut?
Die Akzeptanz rechter Positionen ist generell zu hoch. Und das zeigt sich ja deutschlandweit. 20 bis 25 Prozent der Bevölkerung haben, wie das soziologische Studien zeigen, ein rassistisches Weltbild. Mecklenburg-Vorpommern sticht da nicht hervor.

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