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»Wenn dein Kind dich morgen fragt«

Heinz Rudolf Kunze schrieb den besten Kirchentagssong - und jetzt zum 40. Bühnenjubiläum auch seine Autobiografie: »Werdegang«

  • Jens Buchholz
  • Lesedauer: 5 Min.

Sein 40. Bühnenjubiläum feiert Heinz Rudolf Kunze mit einem Best-of-Album und einer Autobiografie. Heinz Rudolf Kunze? Das ist der Sänger, der 1985 mit dem Song »Dein ist mein ganzes Herz« einen riesigen Erfolg hatte, an den er bis in die 2010er Jahre hinein anknüpfen konnte.

Aber es ist eine komplizierte Geschichte mit Kunze. Ist er Liedermacher? Ist er Dichter? Rockrebell im Strebergewand? Streber im Rockrebellengewand? Mal ist er dies, mal ist er das. Man weiß nie im Voraus, was einen bei Kunze erwartet. Er ist für Menschenrechte, aber gegen das Gendern. Er ist Fan angloamerikanischer Popmusik, aber für eine Deutschquote im Radio. Ein humanistischer Intellektueller alter Schule. Nicht rechts, nicht links. Widersprüchlich, wie Menschen halt so sind.

Im Oktober hat er seine Autobiografie »Werdegang« veröffentlicht. Die Zeit war reif, schließlich feiert Kunze dieses Jahr sein 40. Bühnenjubiläum. 1981 veröffentlichte er sein erstes Album »Reine Nervensache«. Eigentlich hatte der Musterschüler und Einser-Abiturient Gymnasiallehrer werden wollen. Aber dank eines Talentwettbewerbes ergatterte er einen Plattenvertrag bei der WEA. Die Zeichen standen damals auf »Deutsch« - die Neue Deutsche Welle rauschte heran. Mit der hatte der damals eher in der Liedermacher-Tradition stehende Kunze aber eigentlich nichts am Hut. Der Hit kam auch erst vier Jahre und vier Alben später.

1985 etablierte sich Kunze dann mit dem unfassbar guten Popsong »Dein ist mein ganzes Herz« als der intellektuelle Romantiker der deutschen Popszene. Damit reihte er sich Mitte der 80er hinter dem Ruhrgebietsromantiker Herbert Grönemeyer (»Bochum«), dem Sozialromantiker Klaus Lage (»Faust auf Faust«, »Monopoly«) und dem Köln-Romantiker Wolfgang Niedecken (»Verdamp lang her«) ein. Und er blieb bis heute.

Mit seinem letzten und sehr gelungenen Album »Der Wahrheit die Ehre« schaffte Kunze Platz 3 der Albumcharts. Auf dieser sehr politischen, aber auch sehr poppigen Platte wettert er gegen Populismus (»Der Prediger«) und gegen die Zurückweisung von Geflüchteten an den Grenzen der Europäischen Union (»Mit welchem Recht«).

Everybodys Darling war Kunze nie. Aber bis weit in die 2010er brachte er mit Alben wie »Brille« oder »Draufgänger« brillante Popmusik mit Texten auf höchstem Niveau heraus. Und er hatte damit großen Erfolg. Mitte der 90er begannen seine Verkaufszahlen zu stagnieren. Der Qualität seiner Alben schadete das nicht.

Auf Perlen wie »Alter Ego« klingt er, als hätte er die Byrds als Begleitband engagiert. Mit »Rückenwind« versuchte er sich ohne seinen Langzeitpartner Heiner Lürig und ohne Erfolg am Popmainstream der frühen 2000er. Die Rückkehr zu Lürig im Jahr 2005 führte zu seinem letzten großen Album »Das Original«. Darauf auch der beste Kirchentagssong aller Zeiten: »Wenn dein Kind dich morgen fragt«.

Im stärksten Teil seiner Autobiografie beschreibt der 1956 in Ostwestfalen geborene Kunze seine Kindheit und Jugend in den 60er und 70er Jahren. Da ist die Mutter, die lange auf die Rückkehr ihres Mannes aus der Kriegsgefangenschaft wartet. Und tatsächlich kehrt der ehemalige SS-Mann auch zurück. Für Kunze ist er ein liebevoller, aber von düsteren Kriegsgeheimnissen umwitterter Mann. Ein Mann, der ihn zum Konzert von The Who fährt und den Lärm der Band mit dem Schlachtenlärm des Krieges vergleicht - das war von ihm freundlich gemeint.

Sehr ausführlich berichtet Kunze dann über seine ersten Alben und seine Konzerterfahrungen. Vor allem auch über die bittere Trennung von seinem ersten musikalischen Partner und Kumpel Mick Franke. Als Kunze Mitte der 80er Jahre immer professioneller wurde, konnte Franke nicht mehr mithalten und wurde aus der Band geworfen. Kunze erklärt lang und breit, wie es dazu kommen konnte und dass er sich mit dem Rest der Band einig war. Die Karriere war ihm wichtiger als der Kumpel. Und Kunze hat keine Scheu, sich von dieser unsympathischen Seite zu zeigen.

Der Erfolg gab ihm recht. Mit Franke-Nachfolger Heiner Lürig schrieb Kunze seine großen Hits. Doch auch Lürig wird von Kunze nicht besonders sympathisch beschrieben. Ein straighter Workaholic, dem musikalische Qualität wichtiger ist als alles andere. Wussten Sie eigentlich, dass Kunze »Les Miserables« und weitere Musicals ins Deutsche übersetzte und mit Heiner Lürig auch selber erfolgreich ein Shakespeare-Musical geschrieben hat?

In den 2000ern ging Kunzes Popkarriere ein bisschen die Luft aus. Mit Musik Geld zu verdienen wurde immer schwieriger. Aufwendige Tourneen waren für ihn zu teuer. Freimütig gesteht Kunze ein, dass er mit schlageresken Songs wie »Hunderttausend Rosen« versucht habe, sich neue Zielgruppen zu erschließen. Was nicht funktioniert habe. Seine Teilnahme an »Wer singt für Deutschland?« ist ihm keine Erwähnung wert. Beim Vorentscheid für den »Eurovision Song Contest« wurde Kunze mit seinem gar nicht mal so schlechten Song »Die Welt ist Pop« Letzter. Was aber sehr gut funktioniert, sind seine Soloauftritte. Nur er, seine Gitarre und ein oder zwei Mitmusiker. Sich von seinen Fans vorschreiben lassen, wie er sein soll, will er nicht. Er bleibt unberechenbar.

Die Autobiografie hätte gerne ausführlicher sein können. So ausführlich er seine Kindheit und den Beginn seiner Karriere beschreibt, so schwammig wird er, wenn er sich der Gegenwart nähert. Über die Arbeit an seinen weiteren Alben erfährt man nichts mehr. Dabei wäre auch das hochinteressant gewesen. Aber hier kann man als Fan auf den Kunze-Podcast »Kunze über Kunze« hoffen, in dem er sämtliche Alben seiner Karriere chronologisch bespricht.

Das Jubiläumsalbum »Werdegang« ist ein zwiespältiger Genuss. Einerseits hat Kunze seine Fans die Songs der Kompilation wählen lassen. Gute Sache. Andererseits hat er sie anschließend neu eingespielt. Neueinspielungen durch den Originalinterpreten tun Klassikern selten gut. Der Max-Giesinger-Sound steht Songs wie »Finden Sie Mabel« oder »Meine eigenen Wege« nicht wirklich. Dafür sind sie vom Songwriting her viel zu sehr im 80er-Pop verwurzelt. Hätte er doch lieber mit den Toten Hosen oder den Ärzten gearbeitet. Oder die Songs von anderen Künstlern neu interpretieren lassen.

Heinz Rudolf Kunze wird seinen Hörern noch eine Weile erhalten bleiben. Ein Ende ist nicht abzusehen. Was er als Nächstes macht, das weiß er wahrscheinlich selber noch nicht. Wege entstehen ja erst beim Gehen.

Heinz Rudolf Kunze/Oliver Kobold: Werdegang. Die Autobiographie. Reclam, 288 S., geb., 28 €
Heinz Rudolf Kunze: »Werdegang« (Meadow Lake Music/Rough Trade).
Buch und Doppel-CD gibt es auch im Paket für 54 € bei Rough Trade.

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