Justiz sieht keinen rechten Terror

Die Ermittlungen zu Brandanschlägen auf linke Zentren im Rhein-Main-Gebiet wurden eingestellt

  • Peter Nowak
  • Lesedauer: 3 Min.

Zwischen September 2018 und Juli 2019 sorgten zwölf Brandanschläge auf linke Zentren und Hausprojekte im Rhein-Main-Gebiet für Unsicherheit unter den Nutzer*innen und Bewohner*innen. Betroffen davon waren unter anderem das linke »Café Exzess« in Frankfurt-Bockenheim und die alternativen Wohnprojekte »Au« und »Assenland« in Rödelheim. Es waren auch die Nutzer*innen der Projekte, die den Verdächtigten bei einer Brandstiftung im Hanauer Kulturprojekt Metzgerstraße auf frischer Tat ertappten und der Polizei übergaben. Daher ist die Empörung im Kreis der linken Projekte groß, als sie aus der Presse erfuhren, dass gegen den Verdächtigten Joachim S. nicht mehr ermittelt wird.

Nadja Niesen, die Sprecherin der Frankfurter Staatsanwaltschaft, sagte der »Frankfurter Rundschau«, dass die Ermittlungen gegen den Hauptverdächtigen bereits im vergangenen April eingestellt worden seien, ohne dass die Öffentlichkeit davon erfahren habe. Es habe sich kein hinreichender Tatverdacht ergeben, begründete Niesen die Einstellung.
»Dass die Frankfurter Staatsanwaltschaft es weder für notwendig gehalten hat, wenigstens uns als Betroffene über unsere Anwält*innen über die Einstellung des Verfahrens zu informieren, noch die Öffentlichkeit in Kenntnis zu setzen, macht mich fassungslos und wütend«, erklärte Anita Conrad, die in einem der von den Brandstiftungen betroffenen Projekte wohnt. Verwundert ist Conrad allerdings über die Einstellung unter Ausschluss der Öffentlichkeit nicht. »Vielmehr passt es allzu gut ins Bild, das wir uns von der Arbeit von Polizei und Justiz bereits während der Anschlagsserie machen konnten«, moniert Conrad.

Schon während der Anschlagsserie hatten Betroffene immer wieder die Arbeit der Behörden kritisiert. »Die Beamt*innen hatten es, nachdem der Täter auf frischer Tat ertappt wurde, nicht einmal für notwendig gehalten, bei anderen zuvor betroffenen Projekten nachzufragen, ob er dort schon in Erscheinung getreten war«, kritisieren die Betroffenen. Sie mussten also selber recherchieren.

Linke recherchierten selber

Die Nachforschungen des Miethäusersyndikats, einem Zusammenschluss von bundesweit mehr als 150 Wohnprojekten, ergaben, dass S. bereits ab 2015 bundesweit linke und feministische Projekte unter anderem wegen Formfehlern in öffentlich einsehbaren Bilanzen bei Behörden denunziert und so zu schädigen versucht hatte.

Zwischen November 2020 und Januar 2021 wurde vor der 4. Großen Strafkammer des Landgerichts in Frankfurt gegen S. verhandelt. Allerdings wurden hier nur zwei der Brandanschläge verhandelt, die sich gegen Wohn- und Kulturprojekte richteten und bei denen er auf frischer Tat ertappt worden war. Hinzu kamen 14 weitere, teils schwere Brandstiftungen, die der Täter zwischen Juli und Dezember 2019 begangen hatte und bei denen es keine Indizien für einen politischen Hintergrund gab. Daher stufte die Staatsanwaltschaft die Taten als nicht politisch motiviert ein. Dafür wurde S. zu einer hohen Haftstrafe verurteilt. »Die Feuer an linken Zentren hatten vor Gericht bis auf zwei Ausnahmen keine Rolle gespielt, ebenso wie eine mögliche politische Tatmotivation von Joachim S.«, schreibt die »Frankfurter Rundschau«.

Prozessbeobachter Tom Schmitz kritisiert, dass »die Justiz offensichtlich nicht Willens oder nicht in der Lage ist, die Taten von Joachim S. als das zu sehen, was sie sind: rechter Terror«. So seien bereits in den ersten Prozesstagen fast alle Anschläge, die sich gegen linke und feministische Projekte richteten, aus dem Verfahren ausgeklammert worden. Die Betroffenen verweisen auf Chatprotokolle und Bilder, die auf dem Smartphone von S. gefunden wurden. Sie belegen nach Ansicht für die Betroffenen den Hass auf Linke und zeigen seine antifeministische und homofeindliche Weltsicht offen. Noch im August 2018, wenige Wochen vor dem ersten Brandanschlag, habe S. die AfD mit einer Spende von knapp 1700 Euro unterstützt.

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