Am Klima scheiden sich die Geister

Linke-Chefinnen legen Papier zur Aufarbeitung der Wahlniederlage vor. Vorstand streitet über Personalie

Es sollte endlich nach vorn diskutiert werden in der Sitzung des Linke-Bundesvorstands am Wochenende. Grundlage sollte das von den Vorsitzenden Janine Wissler und Susanne Hennig-Wellsow verfasste Strategiepapier »Den Kompass neu ausrichten. Aufgaben für Die Linke nach der Bundestagswahl« sein, das am Wochenende auf der Parteiwebseite veröffentlicht wurde. Die elfseitige Stellungnahme bewegte das Gremium dann aber weniger als ein neu aufgeflammter Streit. Der hatte sich an der möglichen, aber noch nicht in der Bundestagsfraktion beschlossenen Besetzung des Vorsitzes des Bundestagsausschusses für Wirtschaft und Energie, auch Klimaausschuss genannt, mit dem ehemaligen Linke-Bundesvorsitzenden Klaus Ernst entzündet.

Inzwischen haben Klimaaktivisten und Mitglieder der Linken wie angekündigt einen offenen Brief an die Linksfraktion vorgelegt, in dem sie an diese appellieren, den einzigen und inhaltlich brisanten Ausschussvorsitz nicht an den früheren Gewerkschafter der IG Metall zu vergeben.

Vom "Arbeiterkampf" zu "ak"

Jan Ole Arps ist Redakteur und Co-Geschäftsführer der linken Monatszeitung »Analyse & Kritik« (»ak«), die in diesem Jahr ihren 50. Geburtstag feiert. Die meisten sagen der »ak«, denn früher war dies - groß geschrieben -  die Abkürzung für »Arbeiterkampf«.

Es war die Zeitung des Kommunistischen Bundes (KB), ebenfalls 1971 in Hamburg gegründet. Unter den westdeutschen K-Gruppen war der KB am wenigsten dogmatisch, ein »Trüffelschwein«, wie ihn Georg Fülberth nannte: Stets auf der Suche nach Möglichkeiten der politischen Einflussnahme – in der Ökologie-, Friedens-, Frauenbewegung. Das wurde in der Zeitung offen diskutiert, was sie zu einem sehr interessanten Produkt machte, zu einer Art »Spiegel« der Linksradikalen. Deshalb hat die Zeitung die Auflösung des KB 1991 überstanden, ohne zu einem Nostalgieheft zu werden. Ganz im Gegenteil: Die Zeitung hat sich verändert, verjüngt und verflottet, aber nicht verdummt. Zum Glück!

Die Unterzeichner äußern ihr Unverständnis darüber, dass die Fraktion den Ausschussvorsitz ausgerechnet einem Mann übertragen wolle, der »selbst die legitimen Proteste von Klimaaktivist*innen gegen die Automobilmesse IAA in München« verurteilt habe. Dabei habe Die Linke ein besonders ambitioniertes Programm für den sozial-ökologischen Wandel der Gesellschaft vorgelegt. Sollte der 67-Jährige tatsächlich das Amt übernehmen, würde das die Partei aus Sicht der Unterzeichner »massiv Glaubwürdigkeit kosten - innerhalb und außerhalb der Partei«.

Zu den Erstunterzeichnenden des Briefes unter der Überschrift »Nicht Euer Ernst« gehören einerseits Aktive der Bewegung »Fridays for Future« wie Carla Reemtsma und Luisa Neubauer, aber auch Ferat Koçak, Mitglied der Linksfraktion im Berliner Abgeordnetenhaus. Außerdem haben den Appell auch einige Mitglieder des Bundesvorstands unterschrieben, unter ihnen der Klimaexperte Lorenz Gösta Beutin, dem bei der Wahl im September der Wiedereinzug in den Bundestag nicht gelang. Mit dabei ist auch Maximilian Becker, der sich in der Klimabewegung engagiert, und Thies Gleiss. Unter den bis Montagnachmittag mehr als 2300 Unterzeichnenden sind zudem viele weitere Linke-Mitglieder und Aktive aus Landesvorständen.

Die Beteiligung an der Unterschriftenaktion kritisierte die Linke-Kovorsitzende Susanne Hennig-Wellsow am Montag deutlich. Es sei nicht gut, Personaldebatten öffentlich zu führen, rügte sie am Montag in Berlin. Der Vorsitz im Klimaausschuss solle an eine Persönlichkeit gehen, die sich bereits in Energie- und Klimafragen profiliert habe, sagte Hennig-Wellsow. Die Frage, ob sie diese Bedingung durch Ernst erfüllt sehe, beantwortete die Politikerin auf ihrer Pressekonferenz jedoch nicht. Janine Wissler und sie selbst seien aber »gegen diese Form der politischen Auseinandersetzung«, betonte sie.

Im Gespräch für den Posten ist unterdessen weiterhin der ehemalige Linke-Vorsitzende Bernd Riexinger. Er setzt sich seit Jahren für eine sozial gerechte Klimawende ein. 2020 legte er ein ausführliches Konzept unter dem Titel »System Change. Plädoyer für einen linken Green New Deal« vor.

Der Chef der Thüringer Staatskanzlei, Benjamin-Immanuel Hoff, äußerte den Wunsch, die Fraktion möge den aus dem Freistaat stammenden Bundestagsabgeordneten Ralph Lenkert zum Ausschussvorsitzenden machen. Der könne als Umwelt- und Energieexperte »diese Aufgabe hervorragend ausfüllen« und würde »zusätzlich den Osten repräsentieren«, schrieb Hoff am Sonntag auf Twitter. Das Kriterium der Repräsentanz Ostdeutschlands würde auch der Leipziger Abgeordnete Sören Pellmann erfüllen, den Vorstandsmitglied Maximilian Becker für den Posten vorschlägt. Pellmann hatte eins der drei Direktmandate gewonnen, die der Linken trotz des Wahlergebnisses von nur 4,9 Prozent den Wiedereinzug in den Bundestag in Fraktionsstärke sicherten.

Bleibt abzuwarten, ob die Fraktion auf die vielen Stimmen aus der Partei hören wird. Ihr Parlamentarischer Geschäftsführer Jan Korte jedenfalls zeigte sich wenig begeistert vom offenen Brief. Er kritisierte die Aktion auf Twitter mit drastischen Worten: In der Ampelkoalition sei nichts mehr von grüner Klimapolitik zu erkennen, »aber weil Klaus möglicherweise Ausschussvorsitzender werden soll, startet Ihr eine Unterschriftenkampagne? Lack gesoffen?«. Viele Genoss*innen verteidigten demgegenüber ihre Unterstützung für den Aufruf. Vorstandsmitglied Thies Gleiss erklärte auf Facebook, die Fraktion müsse »jetzt klug entscheiden«. Er hält es für »gut und wünschenswert, dass sich die realen politischen Bewegungen sehr laut und direkt in das Geschehen in unserer Partei einmischen«. Gleiss weiter: »Das ist die Art von Liebe, die eine linke Partei braucht und die auch mal weh tun kann.«

Scharfe Kritik am offenen Brief kam dagegen von der parteiinternen Plattform »Sozialistische Linke« (SL), die der Partei bereits zuvor eine zu starke Fokussierung auf ökologische Themen und eine Vernachlässigung sozialer Forderungen vorgeworfen hatte. Die SL erklärte am Sonntag, einige in der Partei hätten den »Ernst der Lage ganz offensichtlich nicht begriffen«. Man könne zwar »über die eine oder andere Äußerung oder Position von Klaus Ernst« streiten. Doch: »Wir sind es leid, dass interne Machtkämpfe über die Medien ausgetragen werden. Dass wichtige und verdiente GenossInnen aus den eigenen Reihen derart angegriffen werden.«

Die beiden Linke-Vorsitzenden beschwören derweil in ihrem Strategiepapier Zusammenhalt der Partei und eine »produktive Geschlossenheit«. Eine »plurale Partei« sei zwar ein »unverzichtbarer Wert«, schreiben die Vorsitzenden. Man müsse sich aber in wichtigen Fragen ergänzen, statt »zu einer Vieldeutigkeit zu werden«.

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