Wie hält es die ÖVP mit Dollfuß?

SPÖ und Neos fordern den Rücktritt des österreichischen Innenministers wegen seines ambivalenten Verhältnisses zum 1934 erschossenen faschistischen Kanzler

  • Stefan Schocher, Wien
  • Lesedauer: 4 Min.

Nach dem Rückzug von Sebastian Kurz ist Karl Nehammer Österreichs neuer Kanzler - zuvor war er Innenminister. Und ihm rückte nun ein Mann nach, der gleich einen kleinen Kulturkampf über die Deutung der jüngeren österreichischen Geschichte vom Zaun gebrochen hat: Gerhard Karner. Die Jüdische HochschülerInnenschaft in Österreich fordert in Allianz mit zahlreichen Unterstützern aus Kultur und Politik den Rücktritt Karners als Innenminister. Ähnliche Forderungen kommen aus der SPÖ sowie seitens der Neos. Der Grund: Die Bedienung antisemitischer Ressentiments im Landtagswahlkampf durch Karner sowie vor allem auch eine zumindest fragwürdige Haltung zu einer sensiblen Phase in der österreichischen Geschichte.

»Antisemitische Rhetorik«

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»Als junge österreichische Jüdinnen und Juden kannten wir geschichtsvergessene ÖVP-Politiker bisher nur als Phänomen des vorherigen Jahrtausends«, so Sashi Turkof, Präsidentin der Jüdischen österreichischen Hochschüler*innen (JöH). »Fassungslos« sei man, »dass Karner, der sich antisemitischer Rhetorik bediente und zudem ein Dollfuß-Museum betreibt, nun als Innenminister für unsere Sicherheit verantwortlich sein soll.«

Gerhard Karner war bis zuletzt Landespolitiker der ÖVP in Niederösterreich, und bei ihm war man fest der Ansicht, er würde es sein Lebtag lang bleiben. Und in Landtagswahlkämpfen hatte er der Sozialdemokratischen Partei Niederösterreichs vorgeworfen, mit »Herren aus Amerika und Israel gegen das Land gearbeitet« zu haben und diese als »Klimavergifter« bezeichnet.

Karner ist zugleich aber auch Bürgermeister in Texingtal, einer Gemeinde mit 1648 Einwohnern nahe Melk. Texingtal ist der Geburtsort von Engelbert Dollfuß. Ihm, dem österreichischen Pendant zu Mussolini und zugleich Hitler-Rivalen, ist dort ein Museum gewidmet - eines, das kritische Zeithistoriker eher als Gedenkstätte denn als Ort historischer Aufarbeitung bezeichnen. Engelbert Dollfuß ist der Begründer des Austrofaschismus und errichtete in Österreich ein klerikal-faschistisches, antisemitisches, ständestaatliches System unter dem Kruckenkreuz. Dollfuß, das ist der »Kanzler«, der die Opposition abschaffte, das Parlament ausschaltete, das Bundesheer im Februar 1934 anwies, sozialistische Wohnbauten in Wien mit schwerer Artillerie zu beschießen, und im Juli 1934 bei einem nationalsozialistischen Putschversuch der in Österreich illegalen NSDAP von einem deutschnationalen Kommando erschossen wurde. Gewählt worden war Dollfuß auf der Liste der Christlichsozialen Partei, der Vorgängerpartei der ÖVP.

Und die tut sich bis heute schwer in der Deutung, wer Dollfuß war, welche seiner Taten zeitlichen Zwängen unterlegen waren. Fest steht: Österreich war damals ein Staat, der von der NSDAP zusehends unterwandert war, und in dem keine politische Partei ohne bewaffneten Arm auskam. Ein Staat, der im Zuge des Ersten Weltkriegs von einer europäischen Zentralmacht auf einen Mini-Staat reduziert worden war - und dem quer durch alle politischen Lager die Existenzunfähigkeit beschieden wurde. Sozialdemokraten und Kommunisten forderten damals ebenso wie Nationalsozialisten den Anschluss an Deutschland - freilich unter unterschiedlichen Vorzeichen. Nicht so allerdings die Christlichsoziale Partei.

»Kanzlerdiktatur« Dollfuß

Im Parlamentsklub der ÖVP hing so auch bis 2017 ein Porträt Dollfuß’. Das Bild wurde dann angesichts der Parlamentssanierung und des zwischenzeitlichen Umzugs der Klubräume nicht übersiedelt, sondern dem niederösterreichischen Landesmuseum als Leihgabe vermacht. Kanzler Nehammer sagte zu der Thematik nun: Man habe sich intensiv mit der »Kanzlerdiktatur« Dollfuß und ihren Folgen auseinandergesetzt. Für die ÖVP ist das eine durchaus scharfe Wortwahl. Auf die Frage, ob das Dollfuß-Porträt nach der abgeschlossenen Sanierung des Parlaments wieder in die Fraktionsräume der ÖVP zurückgebracht würde, sagte Nehammer: Das Bild befinde sich derzeit in einem Museum. Und dort sei es auch gut aufgehoben. Karner selbst hatte lange geschwiegen zu den Vorwürfen, gestand nun aber Versäumnisse im Zusammenhang mit dem Museum ein. Die Ausstellung soll zudem überarbeitet werden.

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