Die Nato hat ihr Wort gebrochen

Die Situation an der russisch-ukrainischen Grenze ist brenzlig. Ralph Urban meint: Die Staaten der Nato tragen große Verantwortung für die Eskalation.

  • Ralph Urban
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Die aktuellen Spannungen zwischen Russland, der Ukraine und den Mitgliedsstaaten der NATO haben einen gefährlichen Höhepunkt erreicht. Mittlerweile wird vor der Gefahr eines Krieges gewarnt – auch wir als IPPNW haben das bereits getan. Russland hat langfristige Sicherheitsgarantien und ein Ende der Nato-Osterweiterung gefordert. Doch der Videogipfel zwischen US-Präsident Joe Biden und Wladimir Putin brachte keinerlei Annäherung.

Die Verschlechterung der Beziehungen zwischen Russland und der Nato begann nicht erst 2014 mit der Krim-Annektion durch Moskau, sondern mit der Nato-Osterweiterung. Diese wurde unter Bruch mündlicher Zusagen gegenüber der damaligen sowjetischen Regierung unter Präsident Michail Gorbatschow umgesetzt. Der Bonner Außenminister Hans-Dietrich Genscher hatte 1990 in einer Rede in Tutzing »eine Ausdehnung des Nato-Territoriums nach Osten, das heißt näher an die Grenzen der Sowjetunion heran« ausgeschlossen. Der US-Außenminister James Baker erklärte, die Nato würde sich »nicht einen Inch weiter nach Osten ausdehnen«. Bereits 1997 wurden Verhandlungen mit Polen, Tschechien und Ungarn aufgenommen, 1999 traten die Staaten der Nato bei, 2004 folgten sieben weitere Länder, 2009 Albanien und Kroatien. 2008 stand die Aufnahme von Georgien und der Ukraine auf der Tagesordnung des Nato-Gipfels in Bukarest – sie wurde aber abgelehnt, unter anderem aufgrund der Intervention von Kanzlerin Angela Merkel. Den Ländern wurde ersatzweise die Mitgliedschaft als Perspektive in Aussicht gestellt. »Die Nato hätte mit der Rücknahme ihrer Gipfelentscheidung von 2008, auch noch der Ukraine die Option auf eine Mitgliedschaft zu eröffnen, in den letzten Jahren längst ein wichtiges Deeskalationssignal nach Moskau schicken können«, schrieb jüngst der UNO-Korrespondent Andreas Zumach.

Ralph Urban
Ralph Urban ist Vorstandmitglied der deutschen Sektion der Internationalen Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges (IPPNW).

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Die Zeit ist reif, einen Paradigmenwechsel in der Sicherheitspolitik mit Russland einzuleiten. Es gilt, den Dialog mit dem Ziel des Aufbaus von Vertrauen zwischen Russland und den USA neu zu ebnen und das Konzept der »Gemeinsamen Sicherheit« des ehemaligen schwedischen Ministerpräsidenten Olof Palme wieder aufzugreifen. Dafür müsste die Nato zunächst anerkennen, dass ihre bisherige Osterweiterung russische Sicherheitsinteressen massiv berührt. Manöver der Nato und russische Aufmärsche an der ukrainischen Grenze können durch fortgesetzte Friedensdiplomatie zwischen den Beteiligten genauso beendet werden, wie sie begonnen wurden. Weder mehr Truppenaufmärsche noch weitere Waffenlieferungen können den Konflikt zwischen Russland und der Nato lösen.

Notwendig ist eine zivile statt einer militärisch gestützten Sicherheitspolitik. Zivil meint in diesem Zusammenhang, dass Sicherheitspolitik vom Frieden her gedacht und konzipiert werden muss. Bereits in der Präambel des Grundgesetzes ist die zentrale Verpflichtung des Staates zum Frieden enthalten. Das prinzipielle Friedensgebot korrespondiert mit Artikel 1 der Verfassung: »Das deutsche Volk bekennt sich darum zu unverletzlichen und unveräußerlichen Menschenrechten als Grundlage jeder menschlichen Gemeinschaft, des Friedens und der Gerechtigkeit in der Welt.« Der ehemalige Bundesverfassungsrichter Helmut Simon mahnte, es sei versäumt worden, das Friedensgebot des Grundgesetzes »ähnlich konkret herauszuarbeiten wie etwa das Sozialstaatsgebot oder das Rechtsstaatsgebot«.

Im Zeitalter von andauernder Klimakrise, Globalisierung und fortgesetztem atomaren Wettrüsten stellt sich die Frage, wie Frieden und Sicherheit heute erreicht werden können. Militär und Rüstungsindustrie als angebliche Garanten für Sicherheit und Wohlstand sind dabei nicht Teil der Lösung, sondern Teil des Problems: Sie drehen die Aufrüstungsspirale weiter. Abrüstung, national wie international, muss wieder auf die Tagesordnung kommen, wie auch UN-Generalsekretär António Guterres es fordert. Dadurch können geopolitische Spannungen abgebaut und Friedensdiplomatie gestärkt werden.

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