Im Trabant zu den Sternen

Zweitakt-Fans haben ein ruinöses Exemplar des DDR-Autos entdeckt, das die Archenhold-Sternwarte vor fast 30 Jahren als Dienstwagen nutzte

  • Tomas Morgenstern
  • Lesedauer: 6 Min.

Der einst »champagnergelbe« Lack ist ausgeblichen und matt, der linke Scheinwerfer blind und die hellblaue Fahrertür ein Gebrauchtteil. Zu allem Übel ist auch die Heckklappe schlimm verrostet. Denn ausgerechnet die war beim beliebten Kombimodell des Trabis, der wegen seiner Duroplast-Karosserie verbreitet »Rennpappe« genannt wurde, aus Stahlblech. So also sieht ein Trabant 601 S »Universal« aus, wenn er gut 16 Jahre ungeschützt im Freien stand. Schrottreif, bestenfalls als Ersatzteilspender zu gebrauchen.

Selbst Michael Kaiser, der Vorsitzende des Trabant-Clubs Berlin e. V., hätte diesen Wagen längst abgeschrieben. Ein Hönower hatte ihn verschenken wollen, wenn man ihn nur selbst abhole. Dessen Frau hatte den Zweitakter, der 1988 vom Band gelaufen war, zuletzt gefahren, irgendwann aber auf dem Grundstück abgestellt und sich selbst überlassen. Kaiser sagt dem »nd«, dass ihm damals, im März 2019, Club-Mitglieder dringend geraten hätten, das Auto zu verschrotten. Und zu Hause in Berlin-Wilhelmshagen habe auch seine Frau die Stirn gerunzelt, denn dort parken bereits drei Trabis. Doch in den Papieren habe er den Vermerk »Letzter Halter: Archenhold-Sternwarte, 1183 Berlin« gefunden, beglaubigt vom Einwohnermeldeamt am 20. Februar 1992. »Ich habe den Wagen nicht weggegeben, weil ich das bei dieser Vergangenheit einfach nicht konnte«, sagt er.

Also hat der Clubchef einen befreundeten Sachverständigen angerufen. Stefan Koch, der eine auf das automobile Erbe der DDR spezialisierte Werkstatt betreibt, hat das Wrack abgeholt und inspiziert. Ein Wiederaufbau sei eigentlich zu teuer, habe Koch ihm gesagt. Immerhin sei der Motor nach all den Jahren angesprungen. Koch hat den Trabi bei Ebay angeboten. »Das Fahrzeug muss restauriert werden und ist nicht fahrbereit. Der Motor läuft und das Getriebe schaltet problemlos«, heißt es in der Anzeige und: »Der Kombi ist das letzte Dienstfahrzeug der Archenhold-Sternwarte in Berlin.«

Dass sich dann kurze Zeit später ein leitender Mitarbeiter der Sternwarte bei ihnen gemeldet und lebhaftes Interesse an einem Rückkauf des Autos bekundet hat, lässt die beiden Männer noch heute staunen. »Er weiß, dass sich das Auto in einem schlechten Zustand befindet, wirkte aber entschlossen«, erinnert sich Stefan Koch. Bestätigt habe er, dass der Wagen tatsächlich der Sternwarte gehörte und die letzte Nutzerin eine Mitarbeiterin war. Da hat Koch die Anzeige zurückgezogen und den 601er erst mal sichergestellt. Nun harren sie der Dinge, die kommen.

Der Firmenname »IFA Service - Stefan Koch« ist eine Untertreibung. Denn der Inhaber hat sich praktisch allen Vehikeln verschrieben, mit denen die Leute in der DDR so unterwegs waren. Ganz gleich, ob sie zwei, drei oder vier Räder haben. »Von Simson-Mopeds bis zu Barkas und Multicar«, schränkt er ein. Hinter seiner Werkstatt, die er im alten LPG-Kuhstall in Gölsdorf bei Jüterbog betreibt, finden sich vom Leben gezeichnete Wartburgs, Trabants und Škodas. Auch ein ausgeweideter Wolga M21 aus den 60ern wartet auf Zuwendung. Ami-Fahrzeuge wie etwa von Jeep hat er aufgegeben, nur dem großen GMC-Van bleibt er treu, der sei unbezahlbar, wenn er mit Werkzeug und Ersatzteilen auf Achse ist.

»Im Prinzip interessieren mich vor allem Autos und Motorräder aus dem Ostblock«, sagt Koch, der eigentlich aus Berlin-Prenzlauer Berg kommt und gelernter Biologie-Laborant ist. Auf seiner Website schreibt er: »Ich restauriere seit vielen Jahren so ziemlich jedes Fahrzeug, welches in dieser Epoche gebaut wurde.« Was an den Fahrzeugen gemacht werden soll, bestimme der Kunde, aber er liefere keinen Pfusch ab. Der 38-Jährige hat mit 18 die Fahrerlaubnis gemacht und sich auf alten Simson-Mopeds mit dem »Zweitakt-Virus« infiziert. Auf der Suche nach einem erschwinglichen Gewerbeobjekt ist Koch in Gölsdorf gelandet, hat sich dort 2010 mit seiner Kfz-Werkstatt selbstständig gemacht. »Mein erstes eigenes Auto war übrigens der Trabant, dessen Front heute die Hausfassade neben dem Firmenschild ziert«, erklärt er.

An Arbeit mangelt es nicht, im Halbdunkel der Halle lagern jede Menge Motoren und Getriebe, an den Wänden lehnen Karosserieteile. Dicht gedrängt stehen MZ- und AWO-Motorräder, russische Ural-Gespanne und etliche DDR-Pkw - vom komplett zerlegten Ersatzteilspender bis zum sorgsam restaurierten Sammlerstück. Dass sich darunter gleich mehrere Trabis finden, ist wenig verwunderlich - der oft verlachte DDR-Kleinwagen ist immer noch recht verbreitet und daher relativ günstig zu haben. Zudem ist er reparaturfreundlich, und Teile gibt es 30 Jahre nach Produktionsende in jeder Preislage.

Es versteht sich, dass Kaiser mit dem eigenen Trabi gekommen ist, einem 1.1 »Last Edition« aus der letzten Serie von 444 Stück, die in einem Zollhafen in der Türkei gestanden hatten und 1995 zurückgekauft wurden. »Der hat schon den Viertakt-Motor aus dem VW Polo«, räumt er ein, »eine ›Mumie mit Herzschrittmacher‹.« Sein eigentliches Schmuckstück ist nichts für Matschwetter - ein Trabant 601, Baujahr 1968, mit damals noch 23 PS. Der 59-Jährige hat in der DDR Tischler gelernt; 1980 ist er mit den Eltern in den Westen gegangen, wo er sich zum Werkzeugmacher ausbilden ließ. Ihm ist wichtig, sein Auto weitgehend im Originalzustand zu erhalten, mit 6-Volt-Elektrik und Mittelwellen-Radioempfänger. »Die frühen Jahrgänge waren qualitativ besser - gegen Ende der DDR wurde überall gespart, was man am schlecht verarbeiteten Material und am fehlenden Korrosionsschutz merkt.«

Mehr als jedes andere Auto hat der Trabant die DDR-Bürger mobil gemacht und 33 Jahre lang - technisch im Grunde beinahe unverändert - zuverlässig in Bewegung gehalten. Ein Ministerratsbeschluss von 1954 hatte die Entwicklung eines vollwertigen, preisgünstigen, robusten Kleinwagens mit Duroplast-Karosserie und Platz für eine vierköpfige Familie auf den Weg gebracht. Zum 40. Jahrestag der russischen Oktoberrevolution am 7. November 1957 lief im VEB Automobilwerk Zwickau (AWZ) - später Sachsenring - die Nullserie des ersten Trabant-Modells P50 an. Mit luftgekühltem Zweizylinder-Zweitaktmotor und anfangs 18 PS - ein Antriebskonzept, das selbst beim ab 1964 gebauten und später auf 26 PS erstarkten Nachfolger P601 bis zum Produktionsende im Juli 1990 beibehalten wurde. Das Zweitakt-Knattern und der Gestank der blauen Abgasfahne prägten den Straßenverkehr im Osten noch viele Jahre. Der von Mai 1990 bis April 1991 gebaute IFA Trabant 1.1 mit VW-Viertakter war viel teurer, schien äußerlich aber fast der Alte - ein Anachronismus, den keiner mehr kaufte.

Insgesamt sind fast 3,1 Millionen Trabants aller Produktionsreihen und Ausführungen gebaut worden; neben Limousine, Kombi/Universal und Kübelwagen/Tramp gab es zeitweise eine Camping-Version und einen Lieferwagen. Ende 2020 waren nach Angaben des Kraftfahrzeugbundesamtes noch 38.173 der Autos mit dem Sachsenring-S auf deutschen Straßen zugelassen, 3000 mehr (!) als zehn Jahren zuvor.

Michael Kaiser und Stefan Koch sind gespannt, wie die Geschichte mit dem letzten Dienst-Trabant der Archenhold-Sternwarte wohl ausgeht. Dort herrscht derzeit Funkstille. Dabei wäre es gerade für den Trabant-Club Berlin e. V. ein schöner Erfolg, wenn er die Heimkehr des fast vergessenen Autos in die Hände einer in der Hauptstadt so bekannten Institution öffentlichkeitswirksam vermitteln könnte. Und was könnte dabei besser passen als ein Auto, dessen Name »Trabant« einst die aufkommende Raumfahrt feierte. Im Oktober 1957 hatte die Sowjetunion erstmals einen künstlichen Satelliten ins All geschossen - das russische »Sputnik« lässt sich mit »Trabant« (Begleiter) übersetzen.

Bei seiner Gründung 1993 hatte der Verein 178 Mitglieder, fünf Jahre später, als Michael Kaiser eintrat, waren davon noch 80 aktiv. 2005 wählten ihn die verbliebenen Mitglieder zum Vorsitzenden. »Die Einführung der Umweltzone im Jahr 2008 hat uns 50 Mitglieder gekostet«, sagt er. Obwohl sie seither mit Zweitaktern nicht mehr in die Innenstadt dürfen, hat sich der Club wieder gefangen und »für die gesamte IFA-Familie« geöffnet. Unter den aktuell 22 Mitgliedern sind auch junge Leute. Sie unternehmen regelmäßig Ausfahrten ins Umland, feiern gemeinsam und halten Kontakt zu den zahlreichen Trabant-Clubs im In- und Ausland. In Berlin ist der Trabant-Club der einzig verbliebene Verein in der Szene.

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