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  • Wohnungen von Obdachlosen besetzt

Druck von der Straße

In der Habersaathstraße in Mitte kommt es erneut zur Besetzung durch wohnungslose Menschen - diesmal erfolgreich

  • Moritz Aschemeyer
  • Lesedauer: 4 Min.
Wohnungen von Obdachlosen besetzt: Druck von der Straße

«Die Wohnung, in der ich gerade bin, hat zwei Couches, Bettwäsche für drei, eine Mikrowelle und noch zwei Kleiderschränke», sagt Fabi. «Die ist eigentlich bezugsfertig, steht aber seit Jahren leer.» Der Aktivist, der seinen vollständigen Namen nicht in der Zeitung lesen möchte, hat am Samstagmittag gemeinsam mit Obdach- und Wohnungslosen mehrere Wohnungen in der Habersaathstraße 46 in Berlin-Mitte besetzt. Unterstützt wurden sie dabei von etwa 200 Teilnehmer*innen einer Kundgebung vor dem Haus, die sich für eine Duldung der Besetzung stark machten. «Ich denke, die meisten können nachvollziehen, dass sich die Leute den Wohnraum nehmen, den sie brauchen», meint Fabi. Schließlich hätten auch mehr als eine Million Menschen für die Enteignung großer Wohnungskonzerne gestimmt.

Es ist nicht die erste Besetzung in dem großteils leerstehenden DDR-Plattenbau gegenüber der Zentrale des Bundesnachrichtendienstes. Bereits vergangenen Herbst hatten Aktivist*innen mehrere Wohnungen besetzt, wurden jedoch nach einigen Stunden von der Polizei geräumt.

Dieses Mal kam es anders. Zwar mussten die Besetzer*innen die Wohnungen verlassen, Bezirksbürgermeister Stephan von Dassel (Grüne) hat jedoch mit der Eigentümerfirma Arcadia Estates eine Bleibeperspektive verhandelt und den Besetzer*innen eine schriftliche Zusage zur Unterbringung gegeben. Es ist vorgesehen, dass sich die Obdachlosen aus dem Umfeld der Besetzung am Montag beim Sozialamt des Bezirkes melden können. Anschließend sollen ihnen in der Habersaathstraße nach dem Allgemeinen Sicherheits- und Ordnungsgesetz (ASOG) Wohnungen zur Verfügung gestellt werden. Konkret geht es laut Angaben der Unterstützerinitiative «Leerstand Hab-ich-Saath» um mindestens dreißig Personen. Zum ersten Mal würde damit in Berlin leerstehender Wohnraum für die Unterbringung von Obdachlosen in Beschlag genommen.«

»Das ist ein totaler Erfolg« begrüßt Valentina Hauser von »Leerstand Hab-ich-Saath« gegenüber »nd« das Ergebnis der Verhandlungen. »Nun ist Tür und Tor für andere Bezirke geöffnet, ebenfalls kriminellen spekulativen Leerstand auf diese Weise zu beseitigen«, so Hauser.

»Die Zusage des Bezirksbürgermeisters, nach einer Besetzung möglicherweise Wohnungen zu beschlagnahmen, stellt einen wichtigen Präzedenzfall dar, der zeigt: politischer Druck und ziviler Ungehorsam wirken«, kommentiert Niklas Schenker im Gespräch mit »nd«. Der Mietenpolitiker sitzt für die Linksfraktion im Berliner Abgeordnetenhaus. »In Zeiten der Wohnungsnot ist es wichtig, dass wir den Kampf gegen spekulativ leerstehenden Wohnraum mit allen Rechtsmitteln angehen«, so Schenker weiter.

»Die politische Kritik an der Eigentümerin bleibt trotz deren heutiger Verhandlungsbereitschaft bestehen«, ergänzt Sozialpolitiker Taylan Kurt, Abgeordneter der Grünen für Moabit. »Hier wird durch bewussten Leerstand bezahlbarer Wohnraum in bester Lage vernichtet, während Leute im Winter frieren und täglich Menschen aus ihren Wohnungen zwangsgeräumt werden«.

Die nun in Aussicht gestellte Unterbringung von Obdachlosen wird nur temporären Charakter haben, da der Erhalt des Gebäudekomplexes ungewiss ist. Die Arcadia Estates plant seit 2018 den Abriss der Gebäude an der Habersaathstraße 40-48 und möchte dort Neubauwohnungen errichten. Die meisten Bewohner*innen haben ihre Wohnungen bereits verlassen, lediglich eine Handvoll wohnt weiterhin in dem fünfstöckigen Gebäude. Bisher hat sich das Bezirksamt unter der Berufung auf die Berliner Zweckentfremdungsverbotsverordnung gegen die Pläne von Arcadia gestellt, da sie das Gebäude als »schützenswerten Wohnraum« ansieht. In diesem Falle sieht die Verordnung vor, dass Ersatzwohnraum zu 7,92 Euro nettokalt geschaffen werden muss. Bisherige Verhandlungen vor dem Verwaltungsgericht hierzu blieben ohne Ergebnis.

In einem diesen Sommer formulierten Angebot der Eigentümerin an den Bezirk, welches »nd« vorliegt, schlägt diese eine Schaffung von 37 Sozialwohnungen mit einer Laufzeit von 10 Jahren bei insgesamt 123 Neubauwohnungen vor. Die Einschätzung des Wohnraums als »nicht schützenswert« zog die Eigentümerin zurück, von einer Mietobergrenze von 7,92 Euro war im Angebot jedoch nicht die Rede. In einem anderen Fall wurde diese bereits vom Verwaltungsgericht kassiert und liegt nun beim Oberverwaltungsgericht. Falls auch dieses die Obergrenze kippt, verlören die Bezirke ein scharfes Mittel im Kampf gegen die Zweckentfremdung von Wohnraum.

Die Aktivist*innen sind dennoch guter Dinge. »Heute haben wir gezeigt, dass es möglich ist, wohnungslosen Menschen ein Zuhause zu geben und die Leute von der Straße zu holen«, erklärt Valentina Hauser. »Wenn man in Betracht zieht, dass bis zu einer möglichen Abrissgenehmigung noch Jahre vergehen können, ist das ein wichtiger Etappensieg.«

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