Hochfliegende Pläne

Mit Milliardeninvestitionen stampft Indien in den kommenden Jahren neue Airports aus dem Boden

  • Thomas Berger
  • Lesedauer: 5 Min.

Am 25. November ist in Noida unweit von Delhi feierlich der Grundstein für einen neuen internationalen Flughafen gelegt worden. Wenn er in Betrieb geht, wird er der fünfte im bevölkerungsreichsten Unionsstaat Uttar Pradesh sein, der Verbindungen bis auf andere Kontinente anbietet - das sind mehr als in jeder anderen Region. Doch auch in vielen der übrigen 28 Teilgebiete des Landes stehen Airport-Projekte unterschiedlicher Größenordnung mitunter schon in den Startlöchern oder auf der Agenda.

Am Rande einer Zeremonie am 20. November hatte Vijay Kumar Singh sogar von 220 Flughafenprojekten in nächster Zeit gesprochen. Er muss es wissen: Der 70-jährige Viersternegeneral a.D. und ehemalige Generalstabschef, mittlerweile in die Politik gewechselt, ist Staatsminister und damit die Nummer zwei im Verkehrsministerium. Das will, offenbar mit dem Rückhalt des gesamten Kabinetts von Premier Narendra Modi, in Sachen Luftverkehrs-Verbindungswege nicht kleckern, sondern klotzen. Selbst kleinere Provinzstädte, von denen im fernen Europa kaum jemand schon gehört haben mag und deren Namen selbst Indienkennern nicht auf Anhieb etwas sagen, sollen demnächst mit einer Start- und Landebahn sowie einem bescheidenen Terminal bestückt werden. Bei den größten Metropolen wie Delhi und Mumbai geht es perspektivisch um drei internationale Flughäfen, andere urbane Zentren sollen einen zweiten Airport bekommen.

Singhs Chef ist der mit 50 Jahren vergleichsweise jung-dynamische Jyotiraditya Scindia, der erst im Juli bei einer Kabinettsumbildung zum Minister für Luftfahrt gemacht wurde. Der Politiker, Enkel des letzten Maharajas im Fürstentum Gwalior, war erst ein Jahr zuvor von der oppositionellen Kongresspartei (INC) in die regierende Bharatiya Janata Party (BJP) gewechselt, wo er schnell weiter Karriere machte. Schon sein Vater Madhavrao Scindia hatte dereinst von 1991 bis 1993 als Luftfahrtminister gewirkt.

Sein Sohn hat im Einklang mit den Spitzen von Partei und Regierung nun wahrhaft hochfliegende Pläne: Allein binnen der ersten 100 Tage seit seinem Amtsantritt, also bis Ende Oktober, wollte er fünf begonnene Flughafenprojekte bis zur Betriebsaufnahme fertiggestellt sehen. Jede Menge weitere Pläne liegen bei seinem Ministerium schon in den Schubladen, die jüngste Grundsteinlegung in Noida ist nur eine von vielen Etappen auf dem Weg, »jeden Winkel des Landes« im wachsenden Airport-Netz zu erschließen. Weitere schon laufende Bauprojekte gibt es unter anderem in Dehradun und Agartala, den Hauptstädten der Bundesstaaten Uttarakhand und Tripura, sowie in Kushinagar (Uttar Pradesh). In Dehradun soll ein neues Terminal die Abfertigungskapazitäten von 250 auf 1800 Passagiere stündlich vervielfachen, ähnlich sieht es in Agartala aus. Gleich ein komplett neuer Airport soll in Kushinagar aus dem Boden gestampft werden - Kostenschätzung 300 Milliarden Rupien, also rund 3,6 Milliarden Euro. Das ist für eine bescheidene Provinzstadt in den Weiten Nordindiens etwa halb so teuer wie der nach jahrelangen Skandalen und Bauverzögerungen doch fertig gewordene BER.

Unbestritten ist: Will Indien im internationalen Reiseflugverkehr mit anderen Schritt halten, sind kostspielige Modernisierungen unvermeidlich, und es müssen auch die aktuellen Kapazitäten ausgebaut werden. Schon der erst vor einigen Jahren erneuerte Chhatrapati Shivaji Maharaj International Airport in der 25-Millionen-Metropole Mumbai stößt längst wieder an seine Grenzen. Zwar hat die Corona-Pandemie dem Luftdrehkreuz vorübergehend einen großen Teil seiner ausländischen Passagiere genommen. Von insgesamt nur 400 000 im August 2020 hat sich die Zahl bis zum gleichen Monat dieses Jahres aber schon wieder auf 1,6 Millionen in einem Monat erholt - und sie wächst mit der Wiederaufnahme zeitweise eingestellter Verbindungen stetig weiter. Künftig soll nun noch Navi Mumbai, die etwas abgelegene Stadthälfte auf der anderen Seite der Bucht, einen eigenen Airport mit ebenfalls weltweiter Anbindung erhalten. Nur der Indira Gandhi Airport in der Hauptstadt Delhi mit 69 Millionen Passagieren pro Jahr vor Corona ist schon jetzt noch etwas größer. Doch auch im mittleren Norden reicht das längst nicht, weshalb nun eben zwischen Noida und Jewar, kaum 70 Kilometer entfernt, an einem neuen Airport gebaut wird. Nach Fertigstellung soll dieser fünf Start- und Landebahnen haben. Das sind mehr als der bestehende Hauptstadt-Airport mit drei Runways, auch wenn einer davon der längste des Landes ist.

Der Inlandsflugverkehr sei inzwischen wieder bei 90 Prozent seiner Vor-Corona-Zahlen angelangt, verkündete Minister Scindia kürzlich. Die Auslastung der Maschinen liege bei 85 Prozent. Vision 2040 heißt das Strategiepapier für die nächsten zwei Jahrzehnte, an dem er sich weiter orientiert - unter der Maßgabe, das geplante Tempo bei den Neubauten und Erweiterungen eher noch zu erhöhen, zumindest aber möglichst keine Projektverzögerungen zuzulassen. Zur langen Liste gehören jeweils ein zweiter internationaler Airport in Chennai und in Pune. Zudem soll Arunachal Pradesh, bisher einziger Unionsstaat ohne direkte Anbindung auf dem Luftweg, nahe seiner Hauptstadt Itanagar einen hochmodernen Flughafen auf 320 Hektar erhalten - Kostenpunkt dort 120 Milliarden Rupien, also gut 4,2 Milliarden Euro. An Geld für die Pläne mangelt es nicht. Neben der reinen Infrastruktur am Boden, die bis 2040 in der Lage sein soll, insgesamt 1,1 Milliarden Passagiere jährlich abzufertigen, wird sich auch die Zahl der zwischen den alten und neuen Airports fliegenden Maschinen deutlich erhöhen. 600 bis 700 Flugzeuge waren das vor Corona, in zwei Jahrzehnten könnten es laut der Prognose fast 2400 sein.

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