Der Kampf um die Köpfe

Die politische Linke war mal gegen Religion, heute ist sie merkwürdig freundlich gestimmt

  • Frank Jöricke
  • Lesedauer: 7 Min.

Jesses Maria, jetzt wird’s knifflig: Von welchem CSU-Parteichef stammt das Zitat »Mein Idol ist Jesus«? Welche führende CDU-Politikerin war jahrelang Vorsitzende der Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland? Und welche christdemokratische Arbeitsgemeinschaft stellte fest, »dass religiöser Glaube Gläubigen Freude, Gewissheit und Hoffnung vermittelt«?

Die Antworten werden Sie überraschen: Es war niemand aus den C-Parteien. Ich gebe zu, ich habe Sie aufs Glatteis geführt. Es war die SPD-Vorsitzende Andrea Nahles, die ihr politisches Handeln mit Jesus begründete. Es war die Grünen-Bundestagsvizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt, die zur Führungsriege der Evangelischen Kirche gehörte. Und es war die PDS, die 1990 die »sinnstiftenden, gesellschafts- und lebensgestaltenden Potenzen« der Religionen lobte. Heute gehen ihre Nachfolgerin Die Linke und deren Bundesarbeitsgemeinschaft Linke Christinnen und Christen noch einen Schritt weiter, wenn diese pastoral verkündet: »Linke Christinnen und Christen haben eine Vision.«

Spaß und Verantwortung

Olga Hohmann versteht nicht, was Arbeit ist und versucht, es täglich herauszufinden. In ihrem ortlosen Office sitzend, erkundet sie ihre Biografie und amüsiert sich über die eigenen Neurosen. dasnd.de/hohmann

Links sein und auch noch religiös? Spurensuche in Trier: Diese Stadt hat nicht nur Karl Marx hervorgebracht, sondern auch den Jesuiten Oswald von Nell-Breuning, Begründer der katholischen Soziallehre. Beides ist kein Zufall. Karl Marx, geboren in Trier 1818, wuchs an einem Ort auf, in dem die Volksfrömmigkeit tief verwurzelt war. Täglich konnte er miterleben, wie Menschen - in der Hoffnung auf ein besseres Leben im Jenseits - noch die unerträglichste Gegenwart erduldeten. Marx erkannte in der Religion den »Seufzer der bedrängten Kreatur, das Gemüt einer herzlosen Welt, wie sie der Geist geistloser Zustände ist. Sie ist das Opium des Volks.« Und solange die Massen von den Opiumdealern - den Geistlichen - immer wieder narkotisiert wurden, war jede Revolution schon im Vorfeld zum Scheitern verurteilt. Die Religion verhinderte, dass Menschen gegen Elend und Willkür aufbegehrten.

Toleranz gegenüber dem Klerus war daher fehl am Platz. Marx ließ keinen Zweifel daran, was zu tun war: »Der Kampf gegen die Religion ist (...) der Kampf gegen jene Welt, deren geistiges Aroma die Religion ist. (...) Die Aufhebung der Religion als des illusorischen Glücks des Volkes ist die Forderung seines wirklichen Glücks. Die Forderung, die Illusionen über seinen Zustand aufzugeben, ist die Forderung, einen Zustand aufzugeben, der der Illusionen bedarf.«

Damit schuf Marx klare Fronten. Wer an den Kommunismus glaubte, war nicht länger bereit, betend niederzuknien. Und wer sich in die Arbeiterbewegung einreihte, war für die Kirche als Schäfchen verloren. Das konnte einem klugen Katholiken wie Oswald von Nell-Breuning natürlich nicht gefallen. Die Biografie dieses Jesuitenpaters weist einige Parallelen zu der von Karl Marx auf. Von Nell-Breuning wurde 1890 in der konservativen Bischofsstadt Trier geboren, legte an derselben Schule das Abitur ab und beschäftigte sich seit den 1920er Jahren mit politischer Ökonomie.

Die Jesuiten - das sollte man noch einmal besonders erwähnen - waren im 16. und 17. Jahrhundert die intellektuelle Speerspitze der katholischen Kirche. In der Gegenreformation hatten sie sich als machtvolle missionarische Waffe erwiesen. Ihre Stärke bestand darin, dass sie als moralische Erneuerer auftraten. Sie agierten als die anständigeren und besseren Katholiken, die die übelsten Missstände anprangerten, wie die Selbstbedienungsmentalität vieler Geistlicher (Pfründemissbrauch). Dadurch überzeugten sie die von der Traditionskirche enttäuschten Gläubigen - und holten sie in die Herde zurück.

Der Jesuit Oswald von Nell-Breuning bediente sich im 20. Jahrhundert einer ähnlichen Strategie. Er attackierte die Auswüchse des Kapitalismus, verteidigte das Streikrecht und forderte mehr Mitbestimmung. Das klang zwar nicht marxistisch, aber immerhin sozialdemokratisch. Dadurch änderte sich das Image der Kirche. Sie, die jahrhundertelang auf der Seite der Herrschenden gestanden hatte, konnte sich nun als Fürsprecher der Unterdrückten gerieren.

Und es funktionierte: Die Entfremdung zwischen Arbeiterbewegung und Kirche nahm ab; man näherte sich an. Es gab nun sogar christliche Gewerkschafter. Der Clou dabei: Die Kirche konnte mit linken Forderungen auf sich aufmerksam machen, ohne links sein zu müssen. Sie konnte Veränderungen verlangen, ohne sich selber verändern zu müssen - als Arbeitgeber hält die Kirche bis heute nicht viel von Mitbestimmung. Und jene Geistlichen, die den Worten Taten folgen lassen wollten? Sie wurden von der Amtskirche entmachtet oder an den Rand gedrängt. Das mussten die Befreiungstheologen in Lateinamerika erfahren, die sich gegen die Eliten stellten und für die Armen starkmachten.

Dennoch erzielt das Wortgeklingel bis heute die gewünschte Wirkung. Durch klassenkämpferisch angehauchte Rhetorik gelingt es der katholischen Kirche immer wieder, sich einen roten Touch zu verleihen. Papst Franziskus wirkt auf viele kapitalismuskritischer als die Linkspartei.

Und was dem Katholizismus recht ist, ist dem Islam billig. Der Aufstieg der türkischen AKP steht dafür beispielhaft. Erdoğans »Partei für Gerechtigkeit und Entwicklung« inszenierte sich als Fürsprecherin des einfachen Volkes, versprach Wohltaten und gewann dadurch Wahlen. Ein Erfolgsmodell, das in der islamischen Welt Nachahmer fand. Nicht nur die ägyptischen Muslimbrüder setzten auf die soziale Karte, um Wählerstimmen zu gewinnen.

Doch überall, wo diese Strategie verfängt, sind Linke die Verlierer. Seit die AKP in der Türkei regiert, haben Kommunisten und Sozialisten dort nichts mehr zu lachen. Umso mehr überrascht der Appeasement-Kurs vieler Linker gegenüber den islamischen Verbänden, die so tun, als wären diese Brüder im Geiste. Das sind sie aber nicht. Die politische Linke verkennt, dass sie sich inmitten eines Kampfes um die Köpfe befindet. Mit Toleranz gegenüber jenen, die intolerant sind, kann sie auf diesem Schlachtfeld nichts gewinnen. Denn wie das Christentum versteht sich der Islam als missionierende Religion.

Daher ist Glaube keineswegs Privatsache. Vielmehr wird von Gläubigen erwartet, dass sie Andersgläubige bekehren, notfalls mit Gewalt. Und Andersgläubige, das sind eben nicht nur »Om« singende Buddhisten, sondern auch Sozialistinnen, die von einer Welt ohne Diskriminierung träumen. Die Gläubigen nehmen diese »Ungläubigen« als unter ihnen stehend wahr.

Dessen aber sind sich große Teile der politischen Linken nicht bewusst. Für sie ist der Austausch mit Religiösen, ob christlich oder islamisch, ein Dialog auf Augenhöhe. Für viele Gläubige ist es das nicht. Die Linke will nicht wahrhaben, dass sie es mit einer »pressure group« zu tun hat - einer Gruppe, die Druck ausübt, um ihre Ziele zu erreichen. Es sind Ziele, die oft konträr zu denen der Linken sind. Die Emanzipation der Frau gehört jedenfalls nicht dazu.

Vor diesem Hintergrund ist das Kopftuchtragen, an dem sich hierzulande regelmäßig Debatten entzünden, tatsächlich ein Symbol. Es steht für eine erfolgreiche Missionierung durch die Gläubigen. Eine Entscheidung für das »illusorische Glück« und gegen das »wirkliche Glück« - die Religion war stärker.

Das aber kann nicht im Sinne von Linken sein, für die soziale Gerechtigkeit und gesellschaftlicher Fortschritt Richtschnur des politischen Handelns ist. Dass dieser Fortschritt nur gegen die Religion und ihre Vorbeter und Priester erreicht werden kann, davon war Karl Marx überzeugt.

Heutige Linke sind es nicht mehr. Für die Grünen und deren Bundesarbeitsgemeinschaft Christ*innen ist Religion »wichtiger Bestandteil des öffentlichen Diskurses«. Statt für eine säkulare Gesellschaft zu kämpfen, in der Religion tatsächlich Privatsache ist, wollen die Grünen »die religiös fundierten Werte unserer Kultur im Rahmen einer postsäkularen (...) und multireligiösen Gesellschaft« diskutieren. Wohlgemerkt, dort steht nicht: säkular und postreligiös. Vielmehr heißt es: »postsäkular« und »multireligiös«. Da wähnt man sich nicht mehr im 21. Jahrhundert, sondern im Dreißigjährigen Krieg. Bei der Linkspartei klingt dies nicht viel anders: »Linke Christinnen und Christen nehmen die neue Aufmerksamkeit für die Religionen ernst.«

An dieser Stelle hätte Karl Marx höhnisch gelacht. Für ihn war Religion »das Selbstbewusstsein und das Selbstgefühl des Menschen, der sich selbst entweder noch nicht erworben oder schon wieder verloren hat«. Schade, dass diese Erkenntnis bei vielen Linken in Vergessenheit geraten ist.

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