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An Kobayashi kommt keiner vorbei

70. Vierschanzentournee: Beim Sieg des Japaners verpassen die Deutschen erstmals seit 2017 das Podest in der Gesamtwertung

  • Lars Becker
  • Lesedauer: 5 Min.

Glücklicherweise geht es am Wochenende gleich weiter für die deutschen Skispringer mit zwei Weltcupspringen in Bischofshofen. Dann lässt sich die Enttäuschung über diese 70. Vierschanzentournee leichter verarbeiten. Und es wäre keine Überraschung, wenn Karl Geiger und Co dann wieder beim Kampf um den Sieg mitmischen würden. Denn die Tournee bleibt zwei Jahrzehnte nach dem letzten Gesamtsieg von Sven Hannawald weiterhin wie verhext für das sonst so erfolgsverwöhnte Flugteam.

Zwar flog Karl Geiger beim Finalspringen in Bischofshofen auf Platz drei, aber das war bestenfalls ein kleines Happy End. In der Gesamtwertung des Skisprung-Grand-Slams schaffte es erstmals seit 2017 kein Deutscher aufs Podest. Skiflug-Weltmeister Karl Geiger landete auf Platz vier vor seinem Kumpel Markus Eisenbichler. »Wir sind mit großen Ambitionen in diese Tournee gestartet und wollten den Sieg holen. Leider hat sich relativ schnell herauskristallisiert, dass es damit nichts wird«, bilanzierte Bundestrainer Stefan Horngacher.

Das hatte auch damit zu tun, dass einer einfach stärker und vor allem konstanter war. Der Japaner Ryoyu Kobayashi holte sich zum zweiten Mal nach 2019 den Goldenen Adler für den Gesamtsieg beim Skisprung-Grand-Slam. Als Draufgabe gab es die gegenüber dem Vorwinter verfünffachte Siegprämie von 100 000 Schweizer Franken Siegprämie. Allerdings ging für den Sieger der ersten drei Tourneespringen sein Traum vom neuerlichen Triumph in allen vier Springen nicht in Erfüllung. Beim Finale reichte es nur zu Platz fünf.

»Kobayashi ist auch nur ein Mensch und er wäre schlagbar gewesen. Wir sind halt ein bisschen zu schlecht gesprungen«, kommentierte Stefan Horngacher: »Ein, zwei Dinge sind bei der Tournee nicht so glatt gelaufen. Und Karl hat sich nach der Niederlage in Garmisch selbst eingegraben.« Zwar tauchte er in Bischofshofen wieder auf dem Podest auf, aber seine Leistung war ein Fingerzeig darauf, was den deutschen Fliegern bei der Tournee fehlt. Nach einer »Rakete« im ersten Durchgang führte Geiger recht souverän, doch dann folgte ein schwächerer Sprung. Es fehlt den deutschen Fliegern ganz einfach die für den Sieg in einem Zehntages-Event nötige Konstanz.

»Über das Podium bin ich glücklich. Emotional war das eine sehr schwierige Tournee. Wir müssen mal schauen, was wir im nächsten Jahr besser machen können«, kommentierte Geiger. Auch beim zweiten deutschen Hoffnungsträger Markus Eisenbichler wechselte sich Licht mit Schatten ab. Nur beim Neujahrsspringen zeigte er bei dieser Tournee mit seinem zweiten Platz sein riesiges Potenzial. Im Bischofshofen dagegen war er nach zwei schwachen Sprüngen wieder einmal richtig angefressen: »Ich bin nicht so amused. Jetzt brauche ich erstmal ein Bier.«

Bei der Vierschanzentournee geht es halt nur um den Gesamtsieg und der lässt nun inzwischen zwei Jahrzehnte für die deutschen Flieger auf sich warten. Olympiasieger, Weltmeister, Skiflug-Weltmeister - alle wichtigen Titel haben Geiger, Eisenbichler, Freund und Co ansonsten abgeräumt. »Ein-Tages-Events sind ein bisschen leichter für uns. Bei der Tournee passieren in den zehn Tagen immer wieder Dinge, die man nicht berechnen kann«, hat Stefan Horngacher erkannt.

Der Bundestrainer hatte sein Team im vergangenen Sommer extra mehrmals auf der Tournee-Problemschanze von Innsbruck trainieren lassen. Doch das Fliegen am Bergisel fiel wegen eines Föhnsturms aus. Der als Gesamtweltcup-Spitzenreiter und Topfavorit in die Tournee gestartete Karl Geiger war sicher in Sachen Windunterstützung nicht der Glücklichste, scheiterte aber vor allem an der eigenen Erwartungshaltung.

»Ich bin in der Form meines Lebens, war gut aufgestellt. Und dann hole ich mir so eine Watsch’n ab«, schimpfte Geiger in diesen Tagen. Ein bisschen mehr Lockerheit beim deutsch-österreichischen Topevent könnte ihm helfen, Markus Eisenbichler eine klarere Zielorientierung. Mit Aussagen wie »das Gesamtklassement ist mir wurscht« wird es auch in Zukunft schwer mit dem deutschen Gesamtsieg.

Abschauen können sich die deutschen Flieger etwas von der Konstanz und Coolness von Ryoyu Kobayashi. Natürlich hatte es der Japaner fernab von der Heimat auch medial leichter als Geiger und Co, die immer wieder auf den so lange ersehnten Gesamtsieg angesprochen wurden. »Ich bin glücklich über den Sieg, aber auch sehr erschöpft«, sagte Kobayashi nach dem Gesamttriumph. Ansonsten erzählte er nicht viel und ließ Flüge für sich sprechen.

»Kobayashi ist ein Künstler, der in der Luft Dinge spürt, die kein anderer spürt«, lobt Österreichs »Skisprung-Professor« Toni Innauer. Kobayashi ist ein Ausnahmetalent, hinter dessen Erfolg aber auch jede Menge harter Arbeit steckt. Ein paar Geheimnisse verriet sein österreichischer Konditionstrainer Richard Schallert: »Die ersten Erfolge vor drei, vier Jahren sind ihm passiert. Die Erfolge jetzt hat er sich erarbeitet.«

Im Training vor dem Winter perfektionierte der Japaner sein Flugsystem weiter, das im Gegensatz zum Absprungwunder Geiger auf extreme Geschwindigkeit setzt. Dadurch gleitet Kobayashi flacher als viele Konkurrenten über den Hang, kommt aber wegen seines Speeds in der Luft häufig am weitesten. Dazu ist der 25-Jährige mental überragend. Schallert: »Ryoyu bringt Sachen auf den Punkt und kann immer noch einen draufsetzen. Das ist eine Fähigkeit, die nicht viele haben.«

Das hängt auch damit zusammen, dass er sich gut vom Skispringen ablenken kann. Ob Bungee-Jumping, Skilanglauf, neue Schuhe oder schnelle Autos - auf den Social-Media-Kanälen lässt der Tourneesieger seine Follower an den Abenteuern abseits der Schanze teilhaben. Was Kobayashi noch fehlt, ist ein großer Titel bei Weltmeisterschaften oder Olympischen Spielen. Das soll nach dem Willen der bei der Tournee einmal mehr geschlagenen deutschen Flieger auch so bleiben. Horngacher: »Jetzt kommen Olympia und die Skiflug-WM. Und bei der Tournee greifen wir im nächsten Winter wieder an.« Irgendwann muss der Tournee-Fluch ja mal ein Ende haben.

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