Unsoziale Inflation

Wenn die Verbraucherpreise steigen, trifft das nicht alle Bevölkerungsgruppen gleich

  • Hermannus Pfeiffer
  • Lesedauer: 4 Min.
Auch im Supermarkt ist manches teurer geworden.
Auch im Supermarkt ist manches teurer geworden.

Während vor allem Haushalte mit höherem Einkommen in der Corona-Pandemie besonders viel sparen, werden anderswo die Mittel zusehends knapper. So befinden sich in Deutschland aktuell 6,6 Millionen Verbraucher »im Dispo« – jeder zehnte Erwachsene hat also sein Bankkonto überzogen und zahlt teure Zinsen für einen Dispokredit. Mit einem Plus von 17 Prozent sind dies deutlich mehr als vor einem Jahr. Dies ergab eine repräsentative Umfrage für das Kreditportal Smava.

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Olga Hohmann versteht nicht, was Arbeit ist und versucht, es täglich herauszufinden. In ihrem ortlosen Office sitzend, erkundet sie ihre Biografie und amüsiert sich über die eigenen Neurosen. dasnd.de/hohmann

Ein Grund für die knappen Kassen ist die Inflation. Im Dezember waren die Verbraucherpreise laut Statistischem Bundesamt um 5,3 Prozent im Vergleich zum Vorjahresmonat gestiegen. Das lag sogar etwas über dem Durchschnitt in der Eurozone insgesamt, der 5 Prozent betrug, wie Eurostat am Donnerstag vermeldete. Doch wenn die Preise steigen, trifft es nicht alle Bevölkerungsgruppen gleichermaßen. So ist die Inflationsrate der Haushalte mit einem geringeren Einkommen tendenziell höher als jene der reicheren Haushalte. Schuld sind unterschiedliche Konsummuster.

Das industrienahe Institut der deutschen Wirtschaft (IW) in Köln hat die Inflationsraten für verschiedene Haushaltstypen seit Mitte der 90er Jahre ermittelt. Dazu teilten die Forscher die Konsumgüter danach auf, ob sie sich in den vergangenen Jahren stärker, gleichermaßen oder weniger verteuert haben. »Je reicher der Haushalt, desto größer ist der Anteil jener Waren und Dienstleistungen am Gesamtkonsum, deren Preise unterdurchschnittlich gestiegen sind«, schreiben die IW-Experten. Im Ergebnis sei die Inflationsrate der Haushalte umso niedriger, je höher ihr Nettoeinkommen ist. Dies liege unter anderem daran, dass reichere Haushalte einen größeren Anteil ihres Budgets für Elektronikprodukte ausgeben, die seit den 90er Jahren deutlich günstiger geworden sind.
In einer durchschnittlichen Fünfjahresperiode im Zeitraum zwischen 1995 und 2021 betrug laut IW die Inflationsrate für Haushalte mit einem monatlichen Nettoeinkommen von weniger als 900 Euro 6,6 Prozent – die Preise des typischen Warenkorbs der Haushalte mit einem Einkommen von mehr als 5000 Euro netto pro Monat stiegen dagegen nur um 5,5 Prozent.

Ein ähnlicher Effekt tritt auf, wenn man lediglich das Alter berücksichtigt. So spielen für Haushalte mit zunehmendem Alter ihrer Bewohner jene Waren und Dienstleistungen eine immer größere Rolle, die sich um die Gesundheit drehen. Deren Preise wiederum sind verhältnismäßig stark gestiegen.

Nun mögen die Unterschiede in Prozentpunkten auf den ersten Blick nicht allzu gravierend erscheinen. Längerfristig sind die Differenzen jedoch erheblich: In den Haushalten mit den höchsten Einkommen fiel die gesamte Preissteigerung seit 1995 mit 28 Prozent um fast 6 Prozentpunkte geringer aus als in den Haushalten mit den niedrigsten Einkommen.

Zwar liegen bislang keine wissenschaftlichen Studien dazu vor, aber aktuell dürften die Auswirkungen der Inflation noch ungleichmäßiger verteilt sein. Das liegt vor allem an der Explosion der Energiepreise. So erreichte der Rohölpreis in dieser Woche den höchsten Stand seit sieben Jahren, und Diesel ist so teuer wie noch nie. Noch stärker sind die Preise für Erdgas gestiegen, im Dezember um rund 25 Prozent.

Indes hängt auch der Anteil der Ausgaben für Wohnenergie – dazu zählen die Kosten für Heizung, Strom und Warmwasser – an den Gesamtausgaben privater Haushalte stark vom jeweiligen Nettoeinkommen ab. Ein Aspekt, der auch in der Klimapolitik zu beachten ist. 2020 gaben Haushalte mit einem monatlichen Nettoeinkommen unter 1300 Euro im Schnitt 95 Euro für Wohnenergie aus. Das entsprach einem Anteil von 9,5 Prozent an den Konsumausgaben insgesamt, errechnete das Statistische Bundesamt. Haushalte der höchsten Einkommensklasse, also mit monatlich mindestens 5000 Euro, gaben zwar mit durchschnittlich 206 Euro deutlich mehr für Wohnenergie aus. Doch der Anteil an den gesamten Konsumausgaben war mit 4,7 Prozent nicht einmal halb so hoch wie bei den Haushalten der niedrigsten Einkommensklasse.

Diese unsoziale Inflationskluft betrifft ebenso Berufspendler und deren Kosten für Benzin oder Diesel. Und nicht nur Energie, sondern auch Milch, Gemüse und Wohnungsmieten sind in den vergangenen Monaten überdurchschnittlich teurer geworden. Auch diese Posten belasten ärmere Haushalte stärker als reichere. Gleichzeitig zeichnet sich für 2022 ab, dass Renten, Sozialhilfen und Löhne die Inflation nicht vollständig ausgleichen können.

Allerdings erwarten die Europäische Zentralbank und viele Ökonomen, dass die Inflationsrate in diesem Jahr deutlich zurückgeht. Dafür dürfte schon ein mathematischer Effekt sorgen: 2020 waren coronabedingt Preise teilweise sogar gesunken, außerdem ermäßigte die Bundesregierung für das zweite Halbjahr 2020 die Mehrwertsteuer. Da die Inflationsrate von den Statistikern immer im Verhältnis zum Vorjahr berechnet wird, haben diese »Basiseffekte« die Inflationsrate 2021 quasi automatisch in die Höhe getrieben. Andererseits dürften die Preise für Energie und Waren des täglichen Bedarfs tatsächlich hoch bleiben – und damit die überdurchschnittlichen Lasten für einkommensärmere Haushalte.

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