Sag mir, wo der Soft Rock ist

Plattenbau. Die CD der Woche: »=« von Ed Sheeran

  • Frank Jöricke
  • Lesedauer: 3 Min.

Früher waren Retrowellen wie die Gezeiten. Sie kamen sturmflutartig über einen und ebbten dann oft ebenso schnell wieder ab. Natürlich gab es auch neue Musik. Doch je mehr sich diese an der Vergangenheit orientierte, desto stärker wuchs das Interesse an den Originalen. Lieber Nick Drake hören als seine zahlreichen Folk-Epigonen! Und wer zu Bruno Mars tanzt, entdeckt früher oder später dessen Disco-, und Funk-Vorbilder aus den 70ern.

So ist Retro zum festen Element der Popkultur geworden. Was niemanden sonderlich stört. Seit den Nullerjahren praktizieren Alt und Neu eine Art friedliche musikalische Koexistenz. Unter der Oberfläche der Neuerscheinungen ist reichlich Platz für Wiederveröffentlichungen, bevorzugt auf Vinyl - denn auch der Plattenspieler wurde aus der Versenkung zurückgeholt.

Spannender ist daher die Frage: Welchen Spielarten der Populärmusik bleibt ein Comeback versagt? Zum Beispiel AOR, ein problematischer Stil. Das fängt schon damit an, dass selbst Experten sich nicht darauf verständigen können, wofür das Kürzel eigentlich steht: Adult-oriented Rock? Album-oriented Rock? Oder übersetzt man die Abkürzung frei mit Arena Rock, Melodic Rock oder Soft Rock?

Was es garantiert nicht ist: Alternative Rock. Und das erklärt dann vielleicht auch, warum AOR in der Rumpelkammer der Musikgeschichte vor sich hin staubt. Während Alternative Rock aus der wilden Independent-Szene hervorging, war AOR von Anfang ein Kind des behäbigen Erwachsenen-Mainstreams. Rock für Menschen, die sich nicht eingestehen wollten, dass sie mittlerweile lieber Gefälligeres hörten. Deshalb wimmelt es im AOR von lieblichen, bisweilen seifigen Melodien, die mit reichlich Gitarren- und Synthie-Bombast aufgerockt wurden: »Keep on loving you« (REO Speedwagon), »Juke box hero« (Foreigner), »Rosanna« (Toto), »Heat of the moment« (Asia) oder »Eye of the tiger« (Survivor) - wer genau hinhört, merkt, dass hinter den stadiontauglichen Arrangements reichlich Schmalz steckt.

Meister in dieser Hinsicht waren Styx. Ihr Album »Cornerstone« aus dem Jahr 1979 war - ein Markstein, an dem sich die nachfolgenden AOR-Stars orientierten. »Babe«, einer von sechs Songs, die als Single ausgekoppelt wurden, veranschaulicht dies: Gut zwei Minuten lang schmachtet sich Dennis DeYoung durch eine Ballade, die auch Elton John nicht beherzter hätte zuckern können. Doch dann, wie aus dem Nichts, fackelt die Band ein kurzes Feuerwerk ab - als wollte man den Hörern das schlechte Gewissen nehmen, dass sie eine Form von Musik hören, die eines garantiert nicht ist: Rock.

Die Illusion funktionierte. Endlich durften auch harte Männer ihre weiche Seite zeigen. Das ist natürlich heute - in Zeiten von Ed Sheeran - eine Selbstverständlichkeit und der eigentliche Grund, warum AOR ein Fall für die Oldieforschung ist: Wo der größte Rockstar unserer Tage ein Hardcore-Softie ist, braucht es keinen Soft Rock mehr. Es braucht nicht einmal irgendwelche andere Musik. Denn sein neues Album »=« macht tatsächlich alles gleich. Da folgt auf einen Rock-Stampfer, der mit Scheuklappen durchmarschiert, abwechslungsfreier Dance-Pop. Danach gibt’s zum Ausruhen ein wenige Gezupfe auf der akustischen Gitarre, ehe wieder gestampft wird, diesmal aber elektronisch. Vielleicht wäre ein Soft-Rock-Revival ja doch nicht das Schlechteste.

Ed Sheeran: »=« (Atlantic Records)

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