Das südamerikanische Lithium-Dreieck

Bolivien, Argentinien und Chile gewinnen durch die Elektromobilität an geostrategischer Bedeutung

  • Jürgen Vogt, Buenos Aires
  • Lesedauer: 5 Min.

Als das Unternehmen Sony im Jahr 1991 mit den ersten Lithiumbatterien auf den Markt ging, wurden sie vor allem in tragbare Elektrogeräte für den täglichen Gebrauch gesteckt. Die neuen Batterien lieferten nicht nur ausdauernd Strom, sie waren auch sehr leicht. Vor allem durch ihren Einsatz in Mobilfunktelefonen wurden sie zum Renner.

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30 Jahre später ist Lithium ein Schlüsselelement der zukünftigen Elektromobilität. Lithiumbatterien sind zum verheißungsvollen Speicher für Energie aus erneuerbaren Quellen geworden. Aktuell wird die Nachfrage nach Lithium vor allem von Australien, China und Chile gedeckt. Noch folgen mit großem Abstand Argentinien und Bolivien. Das wird sich wohl ändern.

»Von den 86 Millionen Tonnen Lithiumressourcen der Welt verfügt Bolivien über 21 Millionen, gefolgt von Argentinien mit 19,3 Millionen und Chile mit 9,6 Millionen. Während Chile den Großteil seiner verfügbaren Ressourcen erfolgreich in wirtschaftlich rentable Reserven für die kommerzielle Produktion umwandelte, konnten Argentinien und Bolivien dies aufgrund eines ungünstigen Investitionsklimas und schwierigerer geografischer Bedingungen bisher nicht tun«, heißt es in einer im August 2021 veröffentlichten Studie des Center for Strategic and International Studies, einer US-Denkfabrik mit Sitz in Washington. In ihr wird nicht nur die enorme wirtschaftliche Bedeutung des südamerikanischen Lithium-Dreiecks hervorgehoben, sondern auch die geostrategische Bedeutung der Salinen Südamerikas.

Für die Dekarbonisierung des Verkehrs, sprich den Austausch fossiler Brennstoffe und ihrer Verbrennungsmotoren durch einen elektrischen Antrieb, ist die Batterieproduktion ein wesentlicher Bestandteil. 2020 ist der weltweite Verkauf von Elektroautos um 41 Prozent gestiegen, heißt es im jüngsten Jahresbericht der Internationalen Energieagentur (IEA). Bis 2030 werden bis zu 230 Millionen Elektroautos auf der Welt herumfahren, schätzt die IEA. Angesichts der in den vergangenen Monaten von nahezu allen großen Autobauern angekündigten Umstellungen von Verbrennungs- auf E-Motoren, könnte sich diese Zahl noch um einiges steigern.

Während für eine Smartphonebatterie etwa drei Gramm Lithium nötig sind, werden für ein Elektroauto, beispielsweise von Tesla, rund zehn Kilogramm benötigt. Nimmt man die in der Wirtschaftspresse veröffentlichten Prognosen ernst, wird sich die Nachfrage nach Lithium im laufenden Jahrzehnt verzehnfachen. Mit der Nachfrage steigt auch der Preis. Kostete eine Tonne Lithium im Jahr 2004 noch knapp 2000 US-Dollar, so sind es gegenwärtig rund 6000 Dollar.

Allein in Europa wird das Marktvolumen für Autobatterien Mitte des Jahrzehnts 250 Milliarden Euro betragen, schätzt die 2017 von der Europäischen Union eingerichtete European Battery Alliance. Welche gewaltige Steigerung hier erwartet wird, zeigt der deutsche Batteriemarkt, dessen Volumen 2020 gerademal 5,9 Milliarden Euro betrug.

Solche Prognosen mögen deshalb auch übertrieben sein, um potenzielle Investoren anzulocken. Auf jeden Fall wird daran gearbeitet, auf ein möglichst hohes Marktvolumen zu kommen. Im Dezember 2019 und im Januar 2021 genehmigte die europäische Batterieallianz zwei Vorhaben zur Entwicklung und Herstellung von Batterien, an denen 59 Unternehmen aus zwölf Mitgliedstaaten beteiligt sind.

Die Battery Alliance der EU ist am globalen Markt kein Vorreiter, sondern hechelt der Entwicklung hinterher. Aktuell wird die Hälfte aller Lithiumbatterien in Japan hergestellt, 20 Prozent in China und 14 Prozent in Südkorea. Koreanische und japanische Unternehmen produzieren bereits auch Batterien in den USA, so etwa Panasonic für Tesla, Honda, Toyota und Ford.

»Lithium ist einer der Schlüssel-Rohstoffe für die Elektromobilität«, erklärte Andreas Wendt vom Vorstand der BMW, als das Automobilunternehmen im März 2021 den Abschluss eines Lithiumliefervertrags über rund 285 Millionen Euro mit dem US-Unternehmen Livent bekannt gab. Livent extrahiert Lithium vor allem aus dem Salar del Hombre Muerto (Salzsee des toten Mannes), der im argentinischen Teil des Lithium-Dreiecks liegt.

Für die Gewinnung des Lithiums wird in den Salzseen der Region die unter den Salinen lagernde Sole in flache Becken gepumpt und mit einer riesigen Menge an Süßwasser vermischt. Durch die Sonneneinstrahlung verdunstet das Wasser. Zugleich durchläuft die Sole verschiedene Becken, aus denen unterschiedliche Mineralien und Metalle gewonnen werden. Das erste ist schlichtes Tafelsalz. Das letzte ist Lithiumkarbonat oder -hydroxid. Der Prozess kann zwischen sechs Monaten und einem Jahr dauern. Um eine Tonne Lithium zu gewinnen, werden zwei Millionen Liter Wasser benötigt.

Für eine Region mit extremem Niederschlags- und Wassermangel bedeutet eine solche Wasserbewirtschaftung eine weitreichende Veränderung im Ökosystem. Beim Bohren in den Salinen und dem Pumpen der Solen an die Oberfläche kommt es zu einer Vermischung mit dem Süßwasser. Das Wasser versalzt nicht nur, der immense Wasserverbrauch senkt den Pegelstand der unterirdischen Süßwasserreservoirs, die ausschließlich durch Regen gespeist werden und keine natürlichen Abflüsse haben.

Oberirdisch senkt sich der Wasserspiegel in den Lagunen. Die Flüsse führen weniger Wasser, was die einst grünen Uferzonen schmaler werden oder ganz austrocknen lässt. Hinzu kommen die in der Salzwüste deponierten Bergbauabfälle.

Die Folgen trifft die lokalen Gemeinschaften und deren Weide- und Landwirtschaft sowie ihre traditionelle Salzgewinnung. »Wenn Livent wie angekündigt seine Produktion verdreifacht und die sieben weiteren Unternehmen, die gegenwärtig ihre Anlagen installieren, mit der Extraktion beginnen, wird der Wasserverbrauch das ganze Ökosystem des Salar del Hombre Muerto auf den Kopf stellen«, sagt die argentinische Umweltrechtsanwältin Verónica Gostissa (siehe Interview). Sie steht mit ihrer Meinung nicht allein.

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