• Berlin
  • Planungschaos in Berlin

Über diese Brücke muss sie fahren

Verbände und eine Linke-Politikerin dringen auf politische Lösung, um neue Straßenbahnstrecke nicht zu verbauen

  • Nicolas Šustr
  • Lesedauer: 6 Min.
Auf der rechten Hälfte der ehemaligen Straßenbahnbrücke, die als ungenutzter Mittelstreifen noch vorhanden ist, soll nach aktuellen Planungen der verlängerte Linksabbiegestreifen zur Minna-Todenhagen-Brücke entstehen.
Auf der rechten Hälfte der ehemaligen Straßenbahnbrücke, die als ungenutzter Mittelstreifen noch vorhanden ist, soll nach aktuellen Planungen der verlängerte Linksabbiegestreifen zur Minna-Todenhagen-Brücke entstehen.

Am Sonntag soll demonstriert werden. Die Berliner Linke-Politikerin Katalin Gennburg ruft für den Nachmittag um 15 Uhr zum Protest an die Marggraffbrücke im Treptow-Köpenicker Ortsteil Baumschulenweg. Auch der Berliner Fahrgastverband IGEB wird dabei sein. Denn das zuständige Wasserstraßen-Neubauamt (WNA) des Bundes hat beim dringend nötigen Ersatzneubau des maroden Bauwerks aus dem Jahr 1965 keine Freihaltung für die künftige Straßenbahnstrecke Potsdamer Platz - Bahnhof Schöneweide berücksichtigt, die bis 2035 gebaut werden soll. Eindeutig ein Versäumnis der Senatsmobilitätsverwaltung, vormals -verkehrsverwaltung. Der Bau soll schon im Herbst beginnen.

»Unsere Basisgruppe ist an die Decke gegangen, als sie davon erfuhr«, sagt Abgeordnetenhausmitglied Katalin Gennburg, deren Wahlkreis auch Baumschulenweg umfasst. »Es kann nicht sein, dass so eine wichtige Strecke verbaut wird, wenn doch die Erzählung ist, dass die Nahverkehrsanbindung der Außenbezirke verbessert werden soll«, so Gennburg zu »nd«.

Die im ÖPNV-Bedarfsplan angestrebte Streckenführung über die Baumschulenstraße bietet eine hohe Erschließung des gesamten Ortsteils Baumschulenweg, heißt es in einer Mitteilung der Abgeordneten. Alternative Routen, zum Beispiel über die Südostallee, führten hingegen in weitem Bogen darum herum und seien dadurch wertlos für die Menschen, die dort wohnen. Sie würden weiterhin mit wenigen Bussen vorlieb nehmen müssen, die durch die Straßenbahn ersetzt oder entlastet werden sollten. »Die Menschen in Baumschulenweg brauchen diese Straßenbahnlinie und deswegen muss sie auch kommen. Berlin muss für einen sofortigen Stopp der Fehlplanungen des Bundes sorgen, die an den Bedarfen der Berliner*innen vorbei vom Bund geplant wurde, und es kann nicht sein, dass Berlin hier auch nur einen Cent zuschießt«, sagt Katalin Gennburg.

Die Beteiligung des Landes an den Kosten ergibt sich aus dem bestellten, auf die Brücke verlängerten Linksabbiegestreifen auf der Südfahrbahn zur 2017 eröffneten Minna-Todenhagen-Brücke über die Spree. Die Brückenplanungen des Wasserstraßen-Neubauamts begannen 2015, die Stadtentwicklungsverwaltung veröffentlichte 2019 die Themenkarte Straßenbahn mit der beabsichtigten Trassenführung der Tram über Sonnenallee, Baumschulenweg, Köpenicker Landstraße und Schnellerstraße.

»Das ist Mist. Das ärgert mich sehr«, sagte Mobilitätssenatorin Bettina Jarasch (Grüne) am Mittwochabend bei einer Sitzung der Arbeitsgemeinschaft Mobilität ihres Landesverbandes zu dem Brückendesaster. »Es ist aber versäumt worden, auf das WNA des Bundes zuzugehen«, räumt sie ein. Sie habe natürlich ihr Haus losgeschickt, bei dem Bundesamt zu intervenieren. »Wenn das hilft, werde ich mich dahinterklemmen. Ich glaube aber ehrlich gesagt nicht daran«, so Jarasch weiter. Denn das Wasserstraßen-Neubauamt werde sich »auf vage Hinweise hin, dass dort möglicherweise eine Straßenbahnstrecke entlangführen wird, nicht davon abhalten lassen«. Es gebe einen Korridor mit mehreren Planungsalternativen, wo diese Tram entlangführen könnte. Eine der Erfahrungen, so Jarasch: »Wir müssen schneller zu einem Straßenbahn-Zielnetz kommen, wo man sich für eine konkrete Trasse entscheidet.« Das sei allerdings »leichter gesagt als getan«.

»Ich muss zugeben, dass es mich enttäuscht, wenn die Mobilitätssenatorin jetzt aufgibt und meint, dass die Marggraffbrücke für die Straßenbahn verloren sei, statt alle Hebel in Bewegung zu setzen und dafür zu kämpfen, dass dieses falsche Verfahren unverzüglich gestoppt wird«, kündigt Katalin Gennburg an, die auch Sprecherin für Stadtentwicklung der Linksfraktion ist. Sie werde das direkte Gespräch mit der Senatorin suchen. »Man kann doch nicht gleich die Flinte ins Korn werfen«, sagt auch Jens Wieseke, Sprecher des Fahrgastverbands IGEB zu »nd«.

Allerdings machen die Äußerungen von Rolf Dietrich wenig Mut. Er ist Leiter des Wasserstraßen-Neubauamts Berlin. »Wir machen jetzt das, was wichtig ist: nämlich die Brücke ersetzen, damit der Verkehr aufrechterhalten werden kann auf dieser wichtigen Straße. Ja, und dann, wenn die Straßenbahnplanung konkret ist und auch die Straßenplanung dort durchs öffentlich-rechtliche Genehmigungsverfahren gebracht wurde, dann macht es sicherlich auch Sinn, dort dann wieder eine Straßenbahnbrücke zu bauen, so sie denn dort hin soll«, sagte er der RBB-Abendschau.

Aufgedeckt hatte das Planungsversagen Christian Linow, Mitglied des Fahrgastverbands IGEB. Am Freitag wandte er sich mit »nd« vorliegenden E-Mails an die Senatsmobilitätsverwaltung und die Umweltverbände Naturschutzbund Berlin und BUND Berlin. Er glaubt, einen juristischen Angriffspunkt für das Brückenbauvorhaben gefunden zu haben. »Statt Verkehrswende macht die Straßenbahn also Platz für den Autoverkehr. Und genau hier offenbaren sich mir Zweifel und die Frage, ob es sich bei der Marggraffbrücke wirklich um einen laut Wasserstraßen-Neubauamt nicht-planfeststellungspflichtigen Ersatzneubau handelt«, schreibt er. Die derzeit noch vorhandene mittlere der drei Brücken, auf der bis 1973 noch eine Straßenbahn fuhr, soll ersatzlos entfallen. Stattdessen soll, wie beschrieben, die Brücke in Fahrtrichtung Süden vier statt bisher drei Fahrspuren erhalten, um mehr Platz für Linksabbieger zu bekommen. Richtung Norden soll es bei den drei Autospuren bleiben. »Inwiefern ohnehin eine Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP) durchzuführen wäre, vermag ich juristisch im Detail nicht abschätzen zu können«, schreibt Linow und bittet die Umweltverbände, »den Vorgang rund um die Marggraffbrücke rechtlich zu prüfen, um juristisch schnellstmöglich einen Planungs- respektive Baustopp zu erwirken«.

Es müsse im Interesse aller sein, die baulich notwendigen Eingriffe in die Natur auf ein Minimum zu reduzieren und nicht erst die Autobrücke und dann wenige Jahre später irgendwo in der Nähe eine zusätzliche Straßenbahnbrücke zu bauen, schreibt Linow. Gleichzeitig sei es offensichtlich, dass nur mit einem attraktiven ÖPNV die Verkehrswende gelingen kann. Dieser »erfordert direkte Trassen ohne Umwege, letztere die Straßenbahn jedoch zwischen Schöneweide und Baumschulenweg fahren muss, wenn kein Platz für sie auf der neuen Marggraffbrücke berücksichtigt wird«, so Linow weiter.

»Wir schauen uns das an«, verspricht Tilmann Heuser, Geschäftsführer des BUND Berlin auf nd-Anfrage. »Eine Klage hat eine gewisse aufschiebende Wirkung, das Entscheidende ist aber der politische Wille«, sagt er. In seinen Augen wäre es »eine Bankrotterklärung der Verkehrspolitik des Landes und des Bundes, wenn die Straßenbahntrasse über die Brücke verbaut würde«. Es müsse jetzt gehandelt werden. »Es müssen sich alle Beteiligten zusammensetzen statt über Wochen Briefe hin- und herzuschreiben«, fordert Heuser. Wenn sich alle auf die klassischen Verfahren zurückzögen, dann werde das nichts. »Aber sie können nun zeigen, dass sie in der Lage sind, im Zweifelsfall zügig umzuplanen«, so der BUND-Landesgeschäftsführer.

Dass es verwaltungstechnisch ein komplizierter Fall ist, auch weil in den entsprechenden Haushalten der einzelnen Behörden vielleicht noch Mittel aufgetrieben oder umgeschichtet werden müssen, räumt Tilmann Heuser ein. »Aber das ist genau die Situation, wofür wir die Politik haben. In gemeinsamen Verhandlungen muss eine gute Kostenaufteilung hinbekommen werden«, sagt der BUND-Mann.

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