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Schöne Bilder gegen dunkle Seiten

Sportswashing: Die Radrundfahrt Saudi Tour zeigt im Kleinen die Problematik von Olympia in China

  • Tom Mustroph, AI-’Ula Old Town
  • Lesedauer: 5 Min.

In der historischen Kasbah der Wüstenstadt Al-’Ula breitet ein Mann seinen Gebetsteppich aus und erhebt die Arme in die Luft. Hoch über seinem Kopf rattert ein Hubschrauber. Der sendet Liveaufnahmen von der Saudi Tour. Knapp 100 Männer in bunten Shorts radeln in diesem Moment im Rahmen der von Tour de France-Veranstalter Aso organisierten Rundfahrt durch die Wüste. Tradition und Moderne treffen aufeinander, allerdings in seltsam amalgamierten Formen. Zwar sind die Räder hochmodern, auf denen die Sprintstars Dylan Groenewegen und Caleb Ewan wenig später ihre Schlacht um den Tagessieg der 3. Etappe inmitten der Altstadt austragen - mit dem besseren Ende für den Niederländer Groenewegen. Die Sportart aber hat eine lange Tradition, zumindest in Europa. Seine hochkommerzielle Leistungssportvariante erobert immer neue Räume. Jetzt eben die Altstadt von Al-’Ula. Die lag lange brach, wurde erst durch die Königliche Kommission der Stadt aufwendig restauriert und zu einem Urlaubskleinod hergerichtet. Der betende Mann ist somit Zeichen der Rückeroberung eines Stücks urbanen Raums, der durch eine Tourismusagentur geschaffen wurde.

Die Königliche Kommission ist auch Mitveranstalter des Radrennens. »Die Saudi Tour ist unser Weg, Al-’Ula den internationalen Radsportfans vorzustellen. Sie sollen sehen, was es für eine tolle Gegend ist. Hoffentlich machen sie ein paar Touren hier«, sagt Philip Jones. Der drahtige Texaner mit einem Faible für Radsport arbeitet für die Kommission. Ihr steht, wie es sich für eine in einem Königreich gehört, der Kronprinz vor. Jener Mohammed bin Salman, der im Westen vor allem als mutmaßlicher Auftraggeber des Mordes am Regimekritiker Jamal Khashoggi berüchtigt ist. In Saudi-Arabien wird er als der Mann gefeiert, der mit der Vision 2030 die Gesellschaft modernisieren und die Wirtschaft unabhängiger vom Öl machen will. Tourismus und Sport sind Kernaspekte davon.

Hier in Al-’Ula verzahnen sie sich. Tourismusexperte Jones will den Radsport nutzen, um die Attraktionen der Gegend besser bekannt zu machen. Dazu gehört die tatsächlich sehr eindrucksvolle antike Gräberstadt Hegra mit großen, in den Fels gemeißelten Grabkammern samt Säulen und Portalen. Die Altstadt ist eine weitere Sehenswürdigkeit. Und natürlich all die Felsformationen, denen die Sandwirbel der Wüstenstürme das Aussehen von mythischen Gestalten verliehen haben.

Die Saudi Tour führt immer wieder daran vorbei, die Augen der Radprofis laben sich daran. »Es ist ein interessantes Fleckchen, vor allem mit dem Naturwelterbe Hegra. Für den Urlaub kann man es mal machen«, sagt der Berliner Roger Kluge, der seinem Kapitän Caleb Ewan vom Lotto-Team zum Sprintsieg auf der ersten Etappe verhalf, zu »nd«.

Die schönen Stätten und der schöne Sport sollen für schöne Bilder sorgen. Dafür wurde und wird fleißig Geld ausgegeben. Sportswashing: Saudi-Arabien hat laut der britischen Organisation Grant Liberty mehr als 1,5 Milliarden Dollar in den letzten Jahren in den Profisport des Westens investiert. »Wir hatten kürzlich die Rallye Dakar. Nächsten Monat kommt die Formel 1 wieder. Gerade gab es in Riad die Formel E«, zählt Hussam Al Khalifa vom saudischen Sportministerium, das ebenfalls die Saudi Tour mitveranstaltet, einige der Events auf. Die Supercups der italienischen und spanischen Fußballliga gehören ebenso dazu wie der Aufkauf des englischen Klubs Newcastle United. Die Krönung soll eine Austragung der Fußball-WM werden. »Wir wollen gern dieses großen Event. Noch nicht 2030. Aber ich hoffe, dass wir uns für die nächste WM 2034 bewerben«, sagt Al Khalifa.

Die 96 Radprofis aus 16 Rennställen, die vom 1. bis 5. Februar an der Tour teilnehmen, sind in dem großen Szenario kaum mehr als Komparsen. Ihre Präsenz soll auch von den dunklen Seiten des Königreichs ablenken, eingesperrte Menschenrechtsaktivisten oder Frauenrechtlerinnen zum Beispiel. Vielen Profis ist das bewusst. Zu öffentlichen Statements sind sie nicht bereit. Auch nicht zu symbolischen Aktionen wie im letzten Jahr Formel 1-Pilot Lewis Hamilton, der mit einem regenbogenfarbenen Helm auf die Unterdrückung von homosexuellen und diversen Menschen hinwies. Negative Reaktionen von offizieller Seite gab es gegen ihn nicht, erklärte der Rennstall auf Nachfrage von »nd«.

Das kann man als Zeichen des Wandels verstehen. Kritiker haben Raum, zumindest wenn sie prominent sind. Für Rolf Aldag, Sportdirektor des deutschen Bora-Rennstalls, sind vor allem die großen Sportorganisationen gefordert. »Sie senden die Signale. Wenn die nicht sagen, dass man was ändern muss, und wenn es nur in kleinen Schritten ist, dann wird sich nichts ändern«, sagt er »nd« - und verweist als Negativbeispiel auf die wachsweiche Haltung des IOC in Bezug auf Olympiagastgeber China und die dortigen Menschenrechtsverletzungen. »Die Rahmenbedingungen müssen stimmen. Oder man geht mit dem Ansatz rein, wir werden zumindest Bedingungen einfordern, die es Schritt für Schritt besser machen.« Die Saudi Tour zeigt aber auch, dass sich im Land einiges ändert. Am Rande der Rundfahrt nahmen an einem Kinderrennen Jungen und Mädchen gemeinsam teil. Die Tourismuspromoter von Al-’Ula sind Schultersponsor des Rennstalls BikeExchange. »Der hat neben einem Männerteam auch ein Frauenteam. Wir können uns vorstellen, in ein paar Jahren Namenssponsor eines Rennstalls mit Männer- und Frauenteam zu sein«, sagt Philip Jones »nd«. Das hätte Symbolcharakter. Vor allem, wenn man an eine Frau wie Loujain al-Hathioul denkt. Die Aktivistin kämpfte für das Recht auf Autofahren für Frauen und wurde deshalb immer wieder eingesperrt. Für einen Sport im Freien wäre sie eine tolle Galionsfigur - vor allem mit dem Recht auf eigene Bewegungsfreiheit.

Ein Teil der Reisekosten des Autors wurde von der Aso, Mitveranstalter der Saudi Tour, übernommen.

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