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Galoppierende Inflation auf Kuba
Angesichts des Wertverlustes des Peso möchte die Regierung die Inlandsproduktion erhöhen
Marilyn Hernández ist unzufrieden. Die Frau, deren Name von der Redaktion geändert wurde, entwirft für ein kubanisches Planungsbüro Belüftungssysteme für Hotelbauten, die überall in Havanna aus dem Boden schießen. Bis zur Währungsreform Anfang vergangenen Jahres, als der Konvertible Peso (CUC) abgeschafft und der Kubanische Peso (CUP) abgewertet wurde, verdiente sie recht gut, wie sie sagt: 3000 CUP im Monat. Zwar wurde ihr Gehalt im Zuge der von einer Lohn- und Preisreform begleiteten Währungsneuordnung sogar erhöht, aber aufgrund des Peso-Tieffluges kann sie dabei zuschauen, wie der Wert ihres Einkommens jeden Tag etwas mehr schmilzt. «4000 CUP reichen vorn und hinten nicht», sagt die 27-Jährige und rechnet vor: «Eine Flasche Tomatenpüree kostet 450, ein Päckchen Huhn 500 Pesos; und einmal im Restaurant essen gehen, da sind leicht 1000 Pesos weg. Von Kleidung oder einem Handy spreche ich noch nicht einmal.»
Der Kaufkraftverlust betreffe nicht alle gleichermaßen, sagt Omar Everleny Pérez, Ökonom an der Universität Havanna, gegenüber «nd». «Angestellte oder Rentner mit einem Einkommen von weniger als 3800 CUP sind am stärksten betroffen.» Das sei in etwa der Wert des durchschnittlichen Warenkorbs. Zum Zeitpunkt der Währungsumstellung war der von der Regierung noch mit 1528 CUP taxiert worden. «Am schlimmsten ist die Situation für diejenigen, die den Mindestlohn von 2100 CUP verdienen, oder für Rentner, die pro Monat noch weniger haben», so Everleny Pérez. Sie verfügten heute über eine geringere Kaufkraft als vor der Währungsumstellung.
Teller und Rand ist der neue ndPodcast zu internationaler Politik. Andreas Krämer und Rob Wessel servieren jeden Monat aktuelle politische Ereignisse aus der ganzen Welt und tischen dabei auf, was sich abseits der medialen Aufmerksamkeit abspielt. Links, kritisch, antikolonialistisch.
Mit der Teil-Dollarisierung des Einzelhandels in den vergangenen zwei Jahren sind viele Waren des täglichen Bedarfs nur noch in Devisenläden erhältlich. Der offizielle Peso-Wechselkurs zum US-Dollar ist auf 24:1 festgesetzt, aber die Wechselstuben geben keine Devisen mehr aus, seit durch den coronabedingten Einbruch des Tourismus und durch verschärfte US-Sanktionen ein großer Teil der Staatseinnahmen weggebrochen ist. Der inoffizielle Umtauschkurs steigt und steigt derweil. Allein im Januar verlor der CUP mehr als 30 Prozent an Wert und durchbrach erstmals die Schallmauer von 100:1 zum US-amerikanischen Dollar.
«Unsere Wirtschaft ist im Jahr 2021 um zwei Prozent gewachsen. Seit November wurden die Grenzen geöffnet, der Tourismus begann wieder, die Pandemie sank auf ein erträgliches Niveau, private Reisende führen Waren ein, und als Folge einer größeren Verfügbarkeit von Devisen und Produkten auf der Straße sinkt der Wechselkurs nicht, wie zu erwarten wäre, sondern steigt kräftig», schimpfte die Tageszeitung «Granma» dieser Tage in einem mit «Betrug» überschriebenen Artikel.
Everleny Pérez sieht für den Verfall der Währung dagegen logische Ursachen: «Die wichtigste ist die Öffnung der Grenzen, durch die die Kubaner*innen das Land verlassen konnten, mit zwei klar definierten Zielen: zum einen, um auf ausländischen Märkten wie Russland, Mexiko und Nicaragua einzukaufen, um den nationalen Markt zu versorgen, und zum anderen, um auszuwandern.» Und da der Staat keine Devisen verkaufe, werde die größere Nachfrage vom informellen Markt abgedeckt. «Diejenigen, die mit dem Gedanken spielten, endgültig auszureisen, verkauften ihr Vermögen zum großen Teil in CUP, aber sie brauchen US-Dollar.»
Und mit der Peso-Schwäche steigt die Teuerungsrate. Für 2021 sprach die Regierung von einer Inflation von 70 Prozent, unabhängige Ökonomen dagegen von 300 bis 500 Prozent. Beide hätten irgendwie recht, meint Everleny Pérez: «Der Staat stützt sich auf die Tatsache, dass es Preise etwa für Strom, Wasser und Eintritte in kulturelle Einrichtungen gibt, die am 1. Januar 2021 stark gestiegen sind, aber seitdem nicht mehr.» Die Preise für Waren des täglichen Bedarfs, die fast ausschließlich in Devisenläden oder auf dem Schwarzmarkt erhältlich sind, haben sich dagegen vervielfacht, so der Experte.
Die Bekämpfung der Inflation sei eine der Prioritäten der Regierung für 2022, betonte Staatspräsident Miguel Díaz-Canel Ende 2021 vor der Nationalversammlung. Wirtschaftsminister Alejandro Gil schlug in dieselbe Kerbe. Der Weg sei, «das Angebot zu erhöhen, und zwar nicht durch mehr Importe, sondern durch mehr Produktion».
Everleny Pérez sieht das ähnlich: «Die einzig mögliche und reale Strategie besteht darin, die Wirtschaft noch stärker zu öffnen, das heißt, die Produktion von Gütern und Dienstleistungen stärker anzukurbeln und bestehende Hindernisse in verschiedenen Bereichen der Wirtschaft zu beseitigen.» Der Staat könnte den CUP auch noch stärker abwerten, so dass er sich mehr dem Markt anpasst, aber das führe zu höheren Preisen, so Everleny Pérez. Er glaubt nicht, «dass diese Inflationsspirale im Jahr 2022 aufhören wird. Es gebe viele Wirtschaftspläne, aber wenig Konkretes.
Die Angestellte Hernández will indes nicht mehr auf bessere Zeiten warten - sie hat sich auf einen Masterstudiengang in Spanien beworben. Falls das nicht klappe, gehe sie nach Serbien, sagt sie. Es ist eines der wenigen Länder, für das Kubaner*innen kein Visum benötigen. Dorthin seien kürzlich bereits ihre beiden Schwestern ausgewandert.
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