Protest gegen französisch-russischen Atomdeal

Wirtschaftlich angeschlagene Brennelementefabrik im Emsland soll durch Einstieg der Atomagentur Rosatom aufgepäppelt werden

  • Reimar Paul
  • Lesedauer: 4 Min.

Fast 130 Umweltinitiativen und -organisationen aus Deutschland, Frankreich, Russland und weiteren europäischen Ländern fordern von der Bundesregierung, ein geplantes Joint Venture zwischen dem französischen Atomkonzern Framatome und einer Tochter des russischen Atomkonzerns Rosatom zur Brennelementeproduktion im emsländischen Lingen zu verhindern. Eine entsprechende Resolution wurde an Wirtschaftsminister Robert Habeck und Umweltministerin Steffi Lemke (beide Grüne) versandt. »Die Resolution ist ein dringender Appell an die Bundesregierung, den französisch-russischen Brennelemente-Deal zu untersagen«, so Alexander Vent vom Bündnis Agiel (AtomkraftgegnerInnen im Emsland). »Die Pläne von Framatome und Rosatom untergraben den für Ende 2022 in Deutschland anvisierten Atomausstieg und sind ein gefährlicher Türöffner für die russische Atomindustrie.«

Die Lingener Brennelementefabrik »Advanced Nuclear Fuels« (ANF) verfügt, ebenso wie die Urananreicherungsanlage im westfälischen Gronau, über eine unbefristete Betriebsgenehmigung und ist vom deutschen Atomausstieg ausgenommen. ANF beliefert Atomkraftwerke in halb Europa mit »frischem« Brennstoff, darunter die belgischen Pannenmeiler von Tihange und Doel und das ebenso störfallträchtige AKW Cattenom in Frankreich. ANF gehört der Framatome, einer Tochter des staatlich dominierten französischen Energiekonzerns Èlectricité des France (EdF). Nun soll die nicht ausgelastete und wirtschaftlich angeschlagene Fabrik durch ein Joint Venture mit der russischen Atomagentur Rosatom aufgepäppelt werden. Konkret geplant ist laut »Spiegel«, dass die Rosatom-Tochter TVEL 25 Prozent an der Brennelementefa­brik übernimmt.

Framatome hatte die Kooperations-Pläne in Lingen im vergangenen Februar angekündigt, sie fanden bislang aber nur wenig öffentliche Beachtung. Im März stimmte das Bundeskartellamt dem Joint Venture zu. Bei ausländischen Beteiligungen an sicherheitsrelevanten Unternehmen ist zudem eine Genehmigung durch das Bundeswirtschaftsministerium erforderlich, die allerdings noch aussteht. Anders als viele Grüne, die sich mehrfach und auf verschiedenen Ebenen gegen das Joint Venture ausgesprochen haben, hat sich Habeck bisher nicht öffentlich zu der Causa geäußert.

Das geplante Joint Venture stößt in der Region und weit darüber hinaus auf heftige Bedenken. »Zukünftig wollen Frankreich und Russland also auf ihrem gemeinsamen Außenposten im Emsland nuklearen Brennstoff für Atomkraftwerke weltweit herstellen – im Land des Atomausstiegs, hier in Lingen«, kritisiert Agiel. Die Initiative befürchtet durch den möglichen Deal mehr Transporte von nuklearen Materialien und damit eine höhere Gefahr etwa durch Unfälle.

»Der Atomausstieg ist erst dann vollendet, wenn auch die beiden Uran-Fabriken in Deutschland geschlossen werden«, betont Antje von Broock, Geschäftsführerin beim Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND). Durch die geplante französisch-russische Atomunion würde aber der Weiterbetrieb der Lingener Atomanlage zementiert. Damit trage Deutschland dazu bei, »dass europäische Schrott-AKWs weiterlaufen können«.

Der Träger des Alternativen Nobelpreises 2021, Vladimir Slivyak von der russischen Umweltorganisation Ecodefense, lehnt die Beteiligung der russischen Atomindustrie an der Brennelemente-Produktion ebenfalls strikt ab. Bei dem Joint Venture geht es seiner Meinung nach nicht vorrangig um wirtschaftliche Interessen. Er glaubt vielmehr, dass die russische Regierung so mehr Kontrolle über den europäischen Energiemarkt gewinnen will. Mit Blick auf die Kooperation in Lingen sagt Slivjak, es sei nicht sicher, dass das nukleare Material nicht für militärische Zwecke genutzt werde.

Kritik am geplanten Joint Venture von Framatome und Rosatom sowie an der französischen Atompolitik kommt auch von Charlotte Mijeon vom französischen Netzwerk Réseau Sortir du Nucléaire. Frankreichs Präsident Emmanuel Macron habe den Bau von neuen Atomreaktoren angekündigt und wolle auch in der EU die Atomenergie wieder salonfähig machen. Dazu hole er die russische Atomindustrie mit ins Boot: »Das ist sehr gefährlich und führt in die völlig falsche Richtung. Wir setzen darauf, dass die Bundesregierung ihre ablehnende Haltung zur weiteren Nutzung der Atomenergie auch in Lingen zeigt.«

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