Mehr als Nachjustieren nötig

Bündnis fordert Strategie zur Bekämpfung der Kinderarmut in Deutschland

Ein breites Bündnis von Verbänden und Organisationen fordert die Bundesregierung auf, die Kinderarmut in Deutschland endlich effektiv zu bekämpfen. In einem am Donnerstag veröffentlichten Eckpunktepapier fordert das Bündnis die Umsetzung der Europäischen Kindergarantie in Deutschland. Im Juni 2021 hatten sich die EU-Mitgliedsstaaten mit der Kindergarantie verpflichtet, allen Minderjährigen den Zugang zu Bildung, Betreuung, Gesundheitsversorgung, gesunder Ernährung und angemessenem Wohnraum zu gewährleisten.

Bereits vor 30 Jahren hatte Deutschland sich der UN-Kinderrechtskonvention und damit dem Schutz der Kinderrechte verpflichtet. »Doch diese Ziele wurden noch immer nicht erreicht. Die EU-Kindergarantie ist daher ein langersehnter Schritt in die richtige Richtung, um diesen Missstand nachhaltig zu beheben«, erklärte Kristina Kreuzer, Kinderrechtsexpertin bei World Vision am Donnerstag. Neben World Vision sind unter anderem auch das Deutsche Kinderhilfswerk, der Kinderschutzbund und der Sozialverband VdK Teil des Bündnisses.
Die Bundesregierung muss schon bis Ende März den nationalen Aktionsplan zur Umsetzung der EU-Kindergarantie erarbeiten. Das Bündnis fordert in seinem Eckpunktepapier, die Kindergarantie solle besonders diejenigen in den Fokus rücken, die in Armut leben. Ziel müsse sein, allen Kindern und Jugendlichen soziokulturelle Teilhabe und einen diskriminierungsfreien Zugang zu staatlichen und freigemeinnützig sozialen Angeboten zu garantieren.

Wichtig ist aus Sicht des Bündnisses auch, dass junge Menschen sowohl bei der Erarbeitung als auch bei der Umsetzung des deutschen Aktionsplans grundlegend beteiligt werden. Generell sollten verschiedenste staatliche, zivilgesellschaftliche und wissenschaftliche Akteure miteinbezogen werden. So müssten in den Aktionsplan neben dem Bundesfamilienministerium weitere Bundesministerien mitwirken.

Anstelle von zeitlich begrenzten Projekten will das Bündnis langfristige Unterstützungsangebote für Kinder und ihre Familien. Schulen, Freizeit- und Kulturangebote müssten überall vorhanden sein. Derzeit gebe es ein Stadt-Land-Gefälle und eine oft nicht bedarfsorientierte Abdeckung in unterschiedlichen Stadtteilen. Das strukturelle Problem der Kinderarmut in Deutschland müsse insgesamt entschieden angegangen und beseitigt werden. »Dafür ist das bisherige Nachjustieren kleinerer Stellschrauben nicht geeignet«, so Thomas Krüger, Präsident des Deutschen Kinderhilfswerkes. »Es braucht stattdessen endlich eine Gesamtstrategie zur Bekämpfung der Kinderarmut mit einer bedarfsgerechten Kindergrundsicherung.«

In den vergangenen Jahren ist das Problem der Kinderarmut in Deutschland immer größer geworden. Die Armutsquote von Minderjährigen lag 2010 noch bei 18,2 Prozent, bis 2020 ist sie auf über 20 Prozent gestiegen. Mehr als jedes fünfte Kind in Deutschland lebt in Armut. Als arm gelten Kinder, die in Haushalten mit weniger als 60 Prozent des mittleren Nettoeinkommens leben. »Vielen Kindern wird der Zugang zu essenziellen Rechten wie Bildung, Gesundheitsversorgung oder angemessenen Lebensbedingungen aufgrund ihres Aufenthaltsstatus, ihrer sozialen Herkunft oder körperlichen und geistigen Entwicklung verwehrt«, erklärt Kreuzer.

Die Präsidentin des Sozialverbands VdK, Verena Bentele, betonte, der Nationale Aktionsplan müsse dringend Familien mit Kindern mit Behinderung in den Blick nehmen. »Diese Familien sind überdurchschnittlich stark von Armut betroffen.« Die Pflege und Betreuung, der Kampf um gesetzliche Leistungen seien kräftezehrend und kosteten viel Zeit. »Das führt dazu, dass vor allem Mütter oft nicht arbeiten können oder lediglich in Teilzeit beschäftigt sind. Die Behinderung ihrer Kinder darf diese Familien aber nicht arm machen.« Da bis Ende März kaum Zeit bleibt, fordert das Bündnis die Regierung auf, schnell einen nationalen Koordinator oder eine Koordinatorin für die Erarbeitung des EU-Aktionsplans einzusetzen und entsprechende Ressourcen bereitzustellen.

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