Intensivregister bislang unerreicht

Für angemessene Entscheidungen zur Pandemiepolitik stehen aus den Krankenhäusern bislang nur grobe Daten zur Verfügung

Einer der wichtigsten Gradmesser zur Bewertung der Pandemieentwicklung ist immer noch die Sieben-Tage-Inzidenz der positiv auf Sars-CoV-2 Getesteten. Auch die Entscheidung vom Spätherbst 2021, dass das wichtigste Kriterium nun die Hospitalisierungsinzidenz sein sollte, änderte das nicht.

Denn dieser Parameter hat seine Schwächen: Wegen fehlender Nachmeldungen werden die Krankenhausaufnahmen regelmäßig unterschätzt. Deshalb berechnet das Robert-Koch-Institut (RKI) einen gesetzlich nicht relevanten Wert dieser Inzidenz, der die Verzögerung ausgleichen soll. Aktuell lagen die beiden Zahlen am Dienstag recht weit auseinander: Der für Maßnahmen entscheidende Wert lag bei sechs je 100 000 Einwohnern, die (realistischere) Schätzung etwa doppelt so hoch. Deshalb wurde die Hospitalisierungsinzidenz bislang quasi nicht für bare Münze genommen. Trotzdem sprechen Politiker weiter von einer noch nicht ausgestandenen Belastung der Krankenhäuser.

Für ihre Orientierung können sie Daten des DIVI-Intensivregisters heranziehen, das tagesaktuell Kapazitäten der Intensivmedizin erfasst. Die Zahlen steigen aktuell wieder etwas an. Ein anderer Trend scheint fast wichtiger: der starke Anstieg von Covid-19-Patienten auf Normalstationen. Womit man wieder bei Hospitalisierungsinzidenz ist.
Die Krankenhäuser haben laut Infektionsschutzgesetz Meldepflichten gegenüber dem RKI und den Gesundheitsämtern. Dazu gehört, dass alle Krankenhausaufnahmen wegen Covid-19 gemeldet werden müssen. Hierbei werden etwa Unfallopfer, die bei Aufnahme positiv getestet wurden, schon ausgeschlossen. Bei anderen Fällen sei die Trennschärfe nicht so einfach gegeben. In der Praxis haben Krankenhäuser immer mehr damit zu tun, dass andere Erkrankungen zur Aufnahme führten, aber dann noch eine Sars-CoV-2-Infektion festgestellt wird. Das heißt auf jeden Fall, dass diese Patienten separiert werden müssen, um nicht noch andere Kranke anzustecken – was die Kliniken durchaus belastet.

Mit dem Stand der Hospitalisierungsdaten war auch die Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG) unzufrieden. Deshalb veröffentlicht sie seit dem 10. Februar zusätzlich an jedem Werktag Zahlen der positiv getesteten Patienten, differenziert nach Normal- und Intensivstationen sowie nach Bundesländern. Nach diesen Angaben wurden Stand letzten Montag auf den Normalstationen 16 522 Covid-19-Patienten betreut, 12,1 Prozent mehr als in der Vorwoche. Am letzten Freitag lag diese Steigerungsrate noch bei 18,1 Prozent.

»Insgesamt ist die Datentransparenz verbesserungswürdig, wie auch die bisher genutzten Meldewege«, heißt es seitens der DKG. Sie bezieht sich dabei auch auf den Expertenrat der Bundesregierung, der die dürftige Datenlage ebenfalls kritisierte. Es werden zwar jede Menge Daten erhoben, aber weder zusammengeführt noch genutzt. Aus dem Bundesgesundheitsministerium heißt es auf »nd«-Anfrage, dass neue Lösungen unter anderem für die Meldewege geprüft würden – etwa um Haupt- und Nebendiagnosen ausweisen zu können. Für die Einschätzung der Krankheitsschwere und eine gute Versorgung wäre es nicht unwichtig, genaueres über die Patienten zu erfahren: Das Alter kann zum Teil aus dem RKI-Wochenbericht ausgelesen werden, der Daten zu schweren Atemwegserkrankungen auch für den stationären Bereich erfasst. Es wäre jedoch sinnvoll, für angemessene Anpassungen von Maßnahmen an die Pandemielage zu wissen, wie lange Patienten in den Krankenhäusern bleiben müssen, welchen Risikogruppen sie angehören, welche Vorerkrankungen sie haben.

Teilweise wird das in den Bundesländern erhoben, es gibt Forschungsprojekte, auch einzelne Krankenhausunternehmen geben präzisere Informationen. Der Vivantes-Konzern in Berlin zum Beispiel weist nicht nur wöchentlich die Zahl der Covid-19-Patienten auf Normal- und Intensivstationen aus, sondern auch deren Immunitätsstatus. Zudem kann das Unternehmen mindestens für die drei letzten Monate Auskunft geben über den jeweiligen Anteil von entlassenen Patienten, die mit oder wegen Covid-19 aufgenommen wurden. Die letztere Zahl war im Januar auf 49 Prozent gesunken, von 58 Prozent im Vormonat.

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