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Der Kampf geht weiter
Alte Ideale, moderne Strategien: »Für die Vielen - Die Arbeiterkammer Wien« läuft im Forum der Berlinale
»Jedes Mal wurde gesagt: nächste Woche«, erzählt ein Mann im Beratungsgespräch. Lohn hat er schon lange nicht mehr bekommen. Spätestens wenn die Schulden steigen, wird klar: Da kommt auch nichts mehr. Dann führt der Weg in Österreich zur Arbeiterkammer. Sie ist Anlaufstelle und Interessenvertretung aller Arbeitnehmer*innen.
In seinem Dokumentarfilm »Für die Vielen - Die Arbeiterkammer Wien« wirft Constantin Wulff einen Blick in den Alltag der 1920 gegründeten Institution. Er zeigt, vor welchen Herausforderungen sie heute steht und wie die Ideale der frühen Arbeiterbewegung mit modernen Arbeitskämpfen zusammenspielen.
Der Film beginnt mit der Begrüßung von Ratsuchenden im Foyer. Die Nachfrage ist groß, die Probleme sind enorm. Oft haben Arbeitnehmer*innen keinen Lohn bekommen, ihnen wurde in der Elternzeit gekündigt, sie haben gesundheitliche Probleme oder werden unter Druck gesetzt. Manche haben keinen Vertrag, es gibt nur mündliche Absprachen. Häufig geht es um die Baubranche oder um Reinigungskräfte. Eine Frau erzählt am Schalter von ihrer Angst: Ihr Arbeitgeber lässt sie Dinge unterschreiben, die sie nicht versteht. Viele kommen mit Übersetzer*innen - oder aber die Mitarbeiter*innen der AK wechseln wie auf Knopfdruck in andere Sprachen. Die Berater*innen sind sachlich, effizient. Sie stellen knappe Fragen, ordnen die Situation schnell ein, geben Briefe an Arbeitgeber*innen mit. Wenn das nichts nutzt, geht es vor Gericht.
Constantin Wulff zeigt Einzel- und Gruppenberatungsgespräche, Protagonistin seines des Films ist jedoch die Institution selbst. Zwei Stunden nimmt sich der Film Zeit, um verschiedene Abteilungen zu beleuchten. Die Kamera bleibt dabei vorsichtig beobachtend, fängt Strategiegespräche und Debatten darüber ein, wie man mit der hereinbrechenden Corona-Situation umgehen sollte.
Die Arbeiterkammer wird als moderne Institution gezeigt, die sich um Außenwirkung und Marketing kümmert. Zum 100-jährigen Jubiläum sollen wichtige Vertreter*innen der Arbeiter*innenbewegung ins Rampenlicht gebracht werden. Aber, so erklären die jüngeren Expert*innen im Team: Auf Social Media solle das in leicht verdaulichen Häppchen passieren. So sieht es also aus, wenn ein alter Tanker moderne Methoden nutzt. Natürlich gibt es eine Kampagne mit Hashtag: fürimmer soll zeigen, dass die AK weiterkämpft. Die in einer jungen Actionheldin personifizierte Gerechtigkeit kämpft sich durch einen etwas pathetisch wirkenden Imagefilm der AK. Auf die eigene Verve, so etwas zu produzieren, zeigen sich AK-Vertreter*innen bei einer internen Vorführung sehr stolz.
Solche vielsagenden Momente fängt Constantin Wulff auf behutsame Art ein. Der Produzent, Dramaturg, Kurator, Autor und Regisseur hat unter anderem 2014 einen Dokumentarfilm über den österreichischen Regisseur Ulrich Seidl gedreht, der dieses Jahr bei der Berlinale seinen aktuellen Film »Rimini« vorstellt.
In »Für die Vielen« scheut sich Wulff nicht davor, Menschen reden zu lassen. Dadurch gibt der Film Einblicke in die Geschichte der Arbeiter*innenbewegung sowie in aktuelle Debatten über Gerechtigkeit und den Arbeitsmarkt. So wird eine Studie vorgestellt, nach der das reichste Prozent der Österreicher*innen fast 40 Prozent des Vermögens besitzt.
Im Laufe des Films wird es in den sonst so betriebsamen Gängen der Arbeiterkammer sehr still. Homeoffice ist angesagt. Wie kann Beratung unter Corona-Bedingungen aussehen? Die Pandemie ist eine Herausforderung für das Funktionieren der Institution. Und auch die damit verbundenen aktuellen Entwicklungen in der Arbeitswelt. So äußert Arbeitskammerpräsidentin Renate Anderl die Befürchtung, dass Frauen das Homeoffice nutzen könnten, um nebenher den Haushalt zu schmeißen, während Männer weiterhin ins Büro rennen und Karriere machen. Insofern bestätigt sich der Slogan fürimmer. Es bleibt viel zu tun.
»Für die Vielen - Die Arbeiterkammer Wien«: Österreich 2022. Regie und Buch: Constantin Wulff. Kamera: Johannes Hammel, Michael Schindegger. 120 Min. Termine: Fr 18.2., 21 Uhr: Brotfabrik; Sa 19.2., 11 Uhr: Kino Arsenal; So 20.2., 12 Uhr: Delphi-Filmpalast.
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