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  • Dokumentarfilm »Sorry Genosse«

Flucht in die Liebe

Berlinale - Perspektive Deutsches Kino: »Sorry Genosse«

  • Kathrin Witter
  • Lesedauer: 4 Min.
"Sorry Genosse" von Vera Brückner in der Berlinale-Sektion Perspektive Deutsches Kino
"Sorry Genosse" von Vera Brückner in der Berlinale-Sektion Perspektive Deutsches Kino

Unvergessen die Entscheidung der jungen Rita in Christa Wolfs Roman »Der geteilte Himmel«, im Osten zu verbleiben, statt ihrem Freund in den Westen zu folgen. Eine ähnliche und doch ganz andere Geschichte erzählt der Film »Sorry Genosse«, der bis Sonntag auf der Berlinale läuft: die einer nicht ganz freiwilligen Flucht aus der DDR für das gemeinsame Glück. Republikflucht - kein seltenes Thema im Zusammenhang mit der DDR; selten ist jedoch seine Behandlung, ohne dass ein tendenziöses Bild vom grauen Osten und goldenen Westen gezeichnet wird.

Dass das auch anders geht, zeigt die Regisseurin Vera Brückner in ihrem gemeinsam mit Fabian Halbig aufwendig produzierten Dokumentarfilm. Er nimmt uns mit ins geteilte Deutschland der 70er Jahre, wo sich die Studenten Hedi und Karl-Heinz auf einer Familienfeier kennenlernen. Vorerst bleibt ihnen nur die Brieffreundschaft, denn Karl-Heinz lebt im Westen, Hedi hingegen im Osten. Einig sind sie sich in den wichtigen Fragen: der Unzulänglichkeit des Kapitalismus und der Notwendigkeit der Veränderung der Welt. Außerdem mögen sie sich ziemlich gern, und so beschließt Karl-Heinz schließlich, in die DDR überzusiedeln.

Von hier an könnte es ein rasches Happy End geben, doch die Genossen im Osten sahen in Karl-Heinz einen idealen Spion, den sie lieber in Westberlin für sich arbeiten lassen wollten, denn ihn als Staatsbürger zu gewinnen. Karl-Heinz hält die Spionage zwar für eine ehrenwerte Tätigkeit, doch seine Hedi lebt nun mal nicht in Westberlin, und so schlägt er die Werbungsversuche der Stasi aus. Da ihm ein Aufenthalt in der DDR fortan nicht möglich ist, bleibt den beiden nur eine andere Option, die der Republikflucht Hedis. Sie könnte abenteuerlicher und amüsanter kaum ablaufen. Dieser Eindruck ist neben den Ereignissen selbst auch dem Können der Regisseurin zu verdanken, die keinen Aufwand scheute und kein kreatives Mittel verschmähte, um sie zugänglich zu machen.

Man merkt dem Film die Leidenschaft Brückners für diese Geschichte und ihre Protagonisten an - sie lässt es sich nicht nehmen, die beiden selbst mit ihrer Stimme aus dem Off zu begleiten. Doch noch in einem anderen Sinne ist er ihre Erzählung: Denn Erzählen, das heißt immer Material ordnen und selektieren, ein Vorgang, der im Dokumentarfilm umso schwieriger wird, je facettenreicher die Fakten sind. »Sorry Genosse« steht dabei vor der zusätzlichen Herausforderung, es mit einem Thema zu tun zu haben, das keinesfalls frei von historischen und ideologischen Hypotheken ist. Doch dem Film gelingt ein kluges Bild der politischen Lage, ohne darauf den Fokus zu legen, der immer auf Hedi und Karl-Heinz gerichtet bleibt. Zwar lässt der realsozialistische Staatsapparat ein Zusammenleben der beiden auf seinem Boden nicht zu, doch es liegt nicht ganz fern, ihn dennoch als den nährstoffreicheren zu interpretieren, sodass der Film ein Moment der historischen Tragik einfängt. Denn wenn etwa die ehemaligen Studentinnen Hedi und Lisa von ihrem Studium erzählen, dem sie nicht aus individualistischen Motiven, sondern für die ganze Gesellschaft nachgegangen sind, klingt etwas von dem Glück an, das die Idee des Sozialismus bis heute verspricht.

So sorgfältig wie der Umgang mit dem Material ist, so behutsam widmet sich Kameramann Felix Pflieger seiner Verbildlichung im Spiel mit Licht und Farbe. Dabei wechseln sowohl Tempo als auch Musik entsprechend dem jeweiligen Handlungsabschnitt. Von Anfang an wohnt dem Film so eine gewisse Unruhe inne, auch da er die Geschichte an den verschiedensten Orten des Geschehens von ihren Protagonisten rekapitulieren lässt. Zunächst mag diese Rastlosigkeit erstaunen, doch sie nimmt das spätere Thema der Flucht vorweg; ganz in Sicherheit wiegen kann sich der Zuschauer so schon während der zartesten Momente junger Liebe nicht.

Dass Hedi sich im Westen schließlich recht unaufgehoben fühlte, wundert am Ende kaum - und wenn sie bei der Premiere des Films auf die Frage, wo sie denn heute lebe, verschmitzt lächelnd antwortet, »in der DDR«, dann ist das zwar vieldeutig, doch kann man jedenfalls auch Christa Wolfs Rita darin anklingen hören.

»Sorry Genosse«: Deutschland 2022. Regie und Buch: Vera Brückner. 94 Min. Termine: Sa 19.2., 11 Uhr: Cineplex Titania; So 20.2.,18 Uhr: CinemaxX 2; So 20.2., 18 Uhr: CinemaxX 1.

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