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  • Diplomatie im Ukraine-Konflikt

Kandidatur muss warten

Frankreichs Staatschef Macron zeigt sich in der Krise um Russland und die Ukraine als engagierter Vermittler

  • Ralf Klingsieck, Paris
  • Lesedauer: 4 Min.

Seit er 2017 zum Präsidenten gewählt wurde, hat sich Emmanuel Macron dafür eingesetzt, Frankreich wieder eine zentralere Rolle in Europa und in der Welt zu verschaffen. Obwohl er ein außenpolitischer Neuling war, hat er dabei einige Erfolge erzielt, wenngleich sich nicht alle Hoffnungen erfüllt haben. Der Höhepunkt auf diesem Gebiet sollte die EU-Ratspräsidentschaft werden, die Frankreich turnusmäßig im ersten Halbjahr 2022 ausübt. Macron wollte sie nutzen, um die Identität Europas zu festigen und zu verhindern, dass die EU angesichts des Kräftemessens zwischen den USA und China beziehungsweise den USA und Russland oder des sich abzeichnenden Bündnisses China-Russland völlig ins Abseits gerät.

Doch diese globalen Ambitionen musste der französische Präsident angesichts der jüngsten internationalen Entwicklungen zurückstellen. Vorrang hat jetzt sein Engagement als selbst ernannter Vermittler zwischen Russland und den USA, um einen militärischen Konflikt um die Ukraine abzuwenden. Das ist seine bisher größte Herausforderung auf außenpolitischem Gebiet, aber auch seine riskanteste, denn der Ausgang ist völlig offen, weil niemand vorauszusehen vermag, wie weit Wladimir Putin in seinem machtpolitischen Pokerspiel zu gehen bereit ist.

Es zahlt sich aber aus, dass Macron in den vergangenen Jahren den Draht zu seinem russischen Amtskollegen nie hat abreißen lassen. Dadurch ist er jetzt für Putin der bevorzugte Gesprächspartner im Westen. Dabei spielt zweifellos eine Rolle, dass Macron Vorbehalte gegenüber der Nato hat, die er als Relikt des Kalten Krieges betrachtet. Sie sei »eigentlich schon hirntot«, hat er sogar einmal wenig diplomatisch geäußert. Während Putin den US-Präsidenten Joe Biden offensichtlich im Verdacht hat, die Nato gegen Russland in Stellung zu bringen und dabei auch die Ukraine in der einen oder anderen Weise zu instrumentalisieren, auf jeden Fall aber hochzurüsten, sieht er in Macron wohl einen mäßigenden Faktor. Was nicht ausschließt, dass der französische Präsident in diesem Spiel von einem Tag zum anderen wieder ausgedient hat, wenn erst Putin und Biden unmittelbar miteinander verhandeln.

Dass Macron solche zeitweiligen Rückschläge zu verkraften vermag, hat er in den vergangenen Jahren immer wieder bewiesen, wenn er sich ungeachtet der geringen Erfolgschancen an heiklen Themen wie der Rettung des Atomvertrages mit dem Iran, der Versöhnung und Befriedung in Libyen, der Terrorabwehr in der Sahel-Zone oder einem Neuanfang im Libanon versucht hat, der durch unentwirrbare innenpolitische Konflikte und Korruption vor dem Kollaps steht. Dass er nicht nur vermitteln will, sondern auch seinen Standpunkt mit oft erfrischend offenen Worten vertritt, wie sie bei Politikern seines Rangs selten sind, stellte Macron bei Konfrontationen beispielsweise mit dem türkischen Diktator Erdogan, den EU-feindlichen britischen und ungarischen Regierungschefs Johnson und Orban oder mit der reaktionären polnischen Regierung unter Beweis.

So wie Macron sein umfangreiches innen- und wirtschaftspolitisches Reformprogramm längst noch nicht im gewünschten Umfang umsetzen konnte, so sprechen auch seine bestenfalls in Angriff genommenen Absichten auf internationaler Ebene dafür, mit einer zweiten Amtszeit das Begonnene fortzusetzen. Darum zweifelt wohl niemand in Frankreich daran, dass Macron bei der Präsidentschaftswahl am 10. und 24. April kandidieren wird, auch wenn er sich bisher dazu nicht äußern will und dabei auf seine internationalen Verpflichtungen verweist. Nach dem Gesetz hat er bis zum 7. März Zeit, seine Kandidatur offiziell anzumelden. Da man nicht umhinkommt, Macrons aktuelle Vermittlungsrolle zu begrüßen, beschränkt sich die schon voll im Präsidentschaftswahlkampf stehende rechte wie linke Opposition darauf, die offene Kandidatenfrage hochzuspielen.

Dass er darauf zählt, durch sein internationales Engagement auch gleich für den Wahlkampf Punkte zu sammeln, ist sicher richtig. Dagegen ist der Vorwurf unsachlich, er nutze bis zum letzten Tag die Medienaufmerksamkeit und die mit seinem Amt verbundenen Mittel, um sich für die Wahl unlautere Vorteile zu verschaffen. Macron verhält sich nicht anders als Amtsvorgänger, die in die Geschichte eingegangen sind. Als François Mitterrand für eine zweite Amtszeit kandidierte, gab er das erst 33 Tage vor dem ersten Wahlgang bekannt, und bei General de Gaulle waren es sogar nur 31 Tage.

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