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Das geheiligte Interesse

Wo Gewalt herrscht, soll es um Gute und Böse gehen? Ein Einwand

Der aktuelle Konflikt zwischen Russland und den Nato-Staaten hat seinen Grund in den gegenläufigen Interessen beider Seiten: Russland will den Einfluss des Westens in Form von EU und Nato auf die Ukraine schwächen und seinen eigenen dort festigen. Letzteres will der Westen verhindern. Es geht also um eine Machtfrage, die mittels militärischem und ökonomischem Druck durchgefochten wird. Aber es ist Eigenart solcher Auseinandersetzungen, dass beide Seiten sich bemühen, das eigene Interesse mit höheren Titeln zu versehen - Frieden, Schutz der Menschen, Geschichte -, um den eigenen Zielen den Status der Rechtmäßigkeit zu verleihen. Gleichzeitig wird das Interesse des Gegners delegitimiert.

Eine gängige Methode ist die Personalisierung der Gegenseite. So wird statt von »russischer Regierung« von »Putin« gesprochen. In anderen Konflikten hießen die Gegner »Saddam« oder »Milosevic«, und in jüngster Zeit ist immer öfter von »Xi« statt von China zu hören. Das Anliegen der Gegenseite wird damit zu einer Art Privatsache des Staatsführers gemacht, die nicht mehr den Status einer Staatsräson beanspruchen darf. Das Handeln des Gegners wird stattdessen durch die Motive des Führungspersonals erklärt, im aktuellen Fall durch Putins »zaristische Ambitionen«. Nahe liegt stets der Übergang, dem Gegner nicht nur Räson abzusprechen, sondern Rationalität überhaupt: So wurde Saddam zum »Irren von Bagdad« erklärt (»Bild«) und Putin »scheint den Kontakt zur Realität verloren zu haben« (Bloomberg). So wird in wenigen Schritten das gegnerische Interesse zu einem Angriff auf die Menschen gemacht - auch der Russen selbst, die vor ihrem Staatschef in Schutz genommen werden müssen.

Ein zweites ideologisches Schlachtfeld ist die Frage, wer den Konflikt begonnen hat. Das gilt als entscheidend, denn wer anfängt, ist der Angreifer, der Aggressor, gegen den Verteidigung legitim sein soll. Daraus erklärt sich auch die Konstruktion der »False Flag Operationen«, die Angriffe des Gegners simulieren, um das eigene Eingreifen als ungewollte, aber notwendige Reaktion darzustellen. Die Nato stationiert Truppen in Osteuropa und begründet dies mit der Bedrohung durch Russland. Moskau wiederum bezeichnet seinen Einmarsch in die Ukraine als »Verteidigung gegen die Aggressionen der ukrainischen Armee«. Der Angreifer als Schuldiger - dem zugrunde liegt die Idee eines unschuldigen Zustands namens »Frieden«, den der Aggressor bricht, was wiederum den Einsatz von »Friedenstruppen« (Putin) erfordert. Der Frieden gilt als heilig, wobei beide Seiten wissen, dass er keine friedliche Angelegenheit ist: Schließlich sind es die Phasen des »Friedens«, aus denen die Gründe für Krieg erwachsen.

Ein weiterer gängiger Berufungstitel von Kriegsparteien ist das Wohl der Menschen - Russland will in eigener Darstellung in der Ukraine eine »humanitäre Katastrophe« verhindern, die deutsche Außenministerin wirft Putin vor, »mit Menschenleben zu spielen«. Oder es wird Vertragsbruch behauptet, was im aktuellen Fall die Debatte befeuert, ob der Westen in den 90er Jahren eine Nato-Osterweiterung ausgeschlossen oder dies offengelassen hat. In der Sache sind diese Legitimierungen nicht kriegsentscheidend. Nicht das höhere Recht obsiegt, sondern die Gewalt, die Waffen und Geld verleihen. Das wissen auch die politischen Entscheider, die der gegnerischen Seite ihre edlen Motive ohnehin nicht abnehmen. Dennoch führen beide Parteien das Stück »Gut gegen Böse« auf. Denn damit erhalten sie beim Publikum - zuallererst der eigenen Bevölkerung - die Fiktion, Weltpolitik sei kein Machtkampf der Interessen, sondern im Kern eine Veranstaltung zur Förderung des Richtigen gegen das Falsche.

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