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  • »Trouble Every Day«

Schwarze Witwen in Paris

Hässlich und zugleich von schwer beschreibbarer Schönheit: »Trouble Every Day« kommt nach über 20 Jahren in die deutschen Kinos

  • Benjamin Moldenhauer
  • Lesedauer: 3 Min.
In »Trouble Every Day« schleicht Vincent Gallo als unter Vampirismus leidender Shane Brown blass durch die Szenerie.
In »Trouble Every Day« schleicht Vincent Gallo als unter Vampirismus leidender Shane Brown blass durch die Szenerie.

Filme, die nicht auf der Schiene Erzählung, Figurenpsychologie, Bedeutung operieren, sondern erst einmal nur an der Erweckung von interessanten Körperzuständen bei Zuschauerin und Zuschauer arbeiten, sind schwer zu beschreiben. Fast alle Filme von Claire Denis sind dementsprechend kaum zu fassen. Verbunden mit der Wahrnehmung, dass dieses Sperren gegenüber der Versprachlichung im Allgemeinen und der Rezensentensprache im Besonderen nicht nur in der Natur der Sache liegt, sondern auch zu den eigenen, singulären Qualitäten der Filmemacherin gehört. Das ist nicht zuletzt ein Hinweis darauf, dass das regulär abrufbare Vokabular, mit dem sich über Leibliches sprechen lässt, noch immer eher begrenzt ist.

Claire Denis’ »Trouble Every Day« kommt erstmals in die deutschen Kinos, restauriert von Denis’ Kamerafrau Agnès Godard. Der Film hatte bereits 2001 in Cannes Premiere und wurde damals wohl gemischt aufgenommen. Es ist auch wirklich schrecklich, was man zu sehen bekommt: Kannibalismus, Menschen, die sich ineinander verbeißen. Einige Premierenbesucher*innen sollen die Projektion fluchtartig verlassen haben. Was vielleicht, man kann da nur spekulieren, auch daran gelegen haben mag, dass das alles eben nicht nur hässlich ist, was man hier sieht, sondern von einer gleichfalls schwer beschreibbaren Schönheit. Das führt dann zu Irritationen. Außerdem ist »Trouble Every Day« maximal sperrig. In meinem Fall hat es drei Anläufe gebraucht, bis ich durch den Film durch war.

Beginnen wir mit dem Plot, an irgendetwas muss man sich ja halten. Der Mediziner Shane Brown (Vincent Gallo) verbringt mit seiner Frau June (Tricia Vessey) die Flitterwochen in Paris, ist aber an Romantik nicht interessiert, sondern er sucht den Kontakt zu Léo (Alex Descas). Léos Frau Coré (Béatrice Dalle) und Shane haben sich während eines Experiments infiziert. Der Vampirismus, unter dem die beiden leiden, ist bei Claire Denis ein Kannibalismus: Wenn es Coré und Shane beim Sex packt, fangen sie an ihre Partner zu fressen.

»Trouble Every Day« zeigt kein aristokratisch-distinguiertes Blutsaufen, sondern Entfesslung, in der sich ein Leinwandkörper kannibalistisch am anderen austobt. Es sind Schlachtszenen, die den ruhigen, fast apathischen Fluss der Bilder unterbrechen.

Das Adjektiv »schockhaft«, das hier eigentlich routiniert auftauchen könnte, würde es nicht treffen. Claire Denis ist mit ihrem Film, der das Horrorgenre als Folie für einen Autorinnenfilm nimmt und dann etwas ganz andres daraus macht, etwas Einzigartiges gelungen. Ich kenne im Kino nichts atmosphärisch Vergleichbares. Untermalt wird das alles von der resigniert-traurigen Musik der Tindersticks, das Titelstück gehört zum Besten, was die Band je gemacht hat. Vincent Gallo schleicht blass durch die Szenerie, Béatrice Dalle wirkt authentisch hungrig.

Das eigentlich Irritierende ist aber nicht die Lakonie, mit der sich das alles vor den Augen der Zuschauer*innen entfaltet, sondern die Selbstverständlichkeit, mit der hier Drastik als Intimität, als eine unheimliche Form von Nähe inszeniert wird. Irgendwann füllt die Haut der Körper sozusagen bis in die Poren die gesamte Leinwand aus, und in diesen Momenten wird Denis’ Film zu etwas rein Performativem, dem es nicht mehr ums Erzählen, sondern nur noch um Affektzustände geht. Man muss es gesehen und gehört haben. Worüber man nicht sprechen kann, darüber soll man schweigen, am besten im Kino.

»Trouble Every Day«: Frankreich 2001. Regie: Claire Denis. Buch: Claire Denis, Jean-Pol Fargeau. Mit: Vincent Gallo, Tricia Vessey, Béatrice Dalle, Alex Descas. 101 Minuten. Start: 3. März.

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