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- Bundeswehr und Ukraine-Krieg
100 000 000 000 Mal Irrsinn
Putins Krieg, Deutschlands Kraftmeierei und der Jubel der Rüstungsindustrie - eine gefährliche Melange für Jahrzehnte neuer Unsicherheit
Zu Zeiten des Ost-West-Gegensatzes kannten Kinder in der DDR die Geschichte vom Fuchs und dem Igel von Wilhelm Busch. Die beiden begegnen sich auf einem Hügel: »He!«, rief der Fuchs, »du Bösewicht! Kennst du des Königs Order nicht! Ist nicht der Friede längst verkündigt, und weißt du nicht, dass jeder sündigt, der heute noch bewaffnet geht! Im Namen seiner Majestät, geh hin und übergib dein Fell!« Der Igel antwortete: »Nur nicht so schnell, lass dir erst deine Zähne brechen, dann werden wir uns weitersprechen.« Und also bald macht er sich rund, zeigt seinen dichten Stachelbund.
Friede, so die Moral, muss bewaffnet sein. Spätestens nach der Grenzüberschreitung Russlands scheint es so, als ob der Igel seine Heimat in den westlichen Demokratien hat, während der hinterlistige Fuchs in Moskau lauert. Um ihn abzuwehren, führt Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) eine Zahl mit elf Nullen ins Feld. 100 000 000 000 Euro umfasst die von der Ampel-Koalition angekündigte einmalige Sonderzuteilung an die Bundeswehr. Die Summe steht neben dem normalen Verteidigungshaushalt, der sich seit 2010 von rund 31,2 Milliarden Euro auf gegenwärtig 50,3 Milliarden erhöht hat. Scholz versprach in seiner Regierungserklärung eine Verstetigung dieses Etats. Denn Deutschland werde nun jährlich mehr als die von der Nato geforderten zwei Prozent vom Bruttoinlandsprodukt ins Militär leiten.
Olga Hohmann versteht nicht, was Arbeit ist und versucht, es täglich herauszufinden. In ihrem ortlosen Office sitzend, erkundet sie ihre Biografie und amüsiert sich über die eigenen Neurosen. dasnd.de/hohmann
Rechnen wir nach: In Deutschland leben knapp 46 Millionen Bürgerinnen und Bürger, die Lohn- und Einkommensteuer zahlen. Ergo: Jeder von denen muss fast 2200 für das Bundeswehr-Sondervermögen aufbringen. Plus Kosten für den eigentlichen Militärhaushalt macht das rund 3300 Euro. Plus Zinsen. Finanzexperten mögen einwenden, diese Rechnung sei zu simpel. Mag sein. Also messen wir die 100 Milliarden an den gesamten Steuereinnahmen des Bundes. Die betrugen 2020 etwa 283 Milliarden Euro.
Scholz spricht von »nationaler Kraftanstrengung«
Der vom russischen Präsidenten befohlene, völkerrechtswidrige Angriffskrieg spielt jenen in die Hände, die mit der bisherigen Rüstungspolitik unzufrieden sind. Scholz spricht davon, dass die Bundeswehr »neue, starke Fähigkeiten« brauche. Er verkündet eine »nationale Kraftanstrengung«, um alles zu tun, was für die Sicherung des Friedens in Europa notwendig ist.
Die Idee eines Sondervermögens ist nicht neu: Zwischen 2012 und 2020 nutzte er wie auch Wolfgang Schäuble (CDU), sein Vorgänger als Finanzminister, das Sparschwein Sondervermögen für allerlei Zusatzausgaben. Jetzt geht es darum, gigantische Kredite für die Aufrüstung möglich zu machen. Denn die Schuldenbremse im Grundgesetz lässt eine Verschuldung des Bundeshaushaltes nur in engen Grenzen zu. Böser demokratiefeindlicher Nebeneffekt: Der größte Teil der Militärausgaben wird durch einen neuen, im Grundgesetz verankerten Fonds sichergestellt. Das Parlament verliert damit ein Gutteil seiner Kontrolle über die Bundeswehr, die eigentlich eine Parlamentsarmee sein soll.
Was kann man für 100 Milliarden Euro kaufen?
Was kann man für 100+ Milliarden Euro kaufen? Wie Analysten vom Investmenthaus Stifel meinen, könnten pro Jahr geschätzte 33,5 Milliarden Euro in neue Ausrüstung gesteckt werden. Das wäre rund viermal so viel wie bisher. Scholz nannte einige Vorhaben, sprach über die nächste Generation von Kampfflugzeugen und Panzern, die insbesondere mit Frankreich für »Europa« gebaut würden. Diese Projekte hätten oberste Priorität. So wie die »Eurodrohne«. Bis die fliegt, begnügt man sich mit bewaffneten Drohnen aus Israel. Deren Beschaffung will der Kanzler vorantreiben. Man wundert sich. All diese Pläne sind nicht neu, sie sind angeblich bilanziert. Wozu dann diese zusätzliche Milliardenausschüttung?
Neben dem Kanzleramt sind nun zwei Ministerien besonders gefordert. Finanzminister Christian Lindner (FDP) muss sich Gedanken machen, an welchen anderen Haushaltstiteln gespart werden soll. Noch schließt er höhere Steuern aus, der Reservehauptmann versprach aber gleichzeitig: »Unser Ziel ist, dass wir im Laufe dieses Jahrzehnts eine der handlungsfähigsten, schlagkräftigsten Armeen in Europa bekommen.« Verteidigungsministerin Christine Lambrecht (SPD) muss herausfinden, in welchen Bundeswehr-Bereichen der immer wieder erwähnte »dringende Handlungsbedarf« besteht.
Danach befragt, fiel ihr - wie dem Kanzler - zuerst die »nukleare Teilhabe« ein. Deutschland steht bei der Nato im Wort, dass die Bundeswehr im Fall der Fälle US-Atombomben ins Ziel fliegt. Man hat Lambrecht gesagt, dass die als nukleare Todesboten vorgesehenen Tornado-Jagdbomber am Ende ihrer Dienstzeit sind. Wäre das kein Anlass, um aus dem Nato-Nukleardeal auszusteigen? Lambrecht sieht das anders und sagt, es sei »wichtig, jetzt die Nachfolge-Entscheidung zu treffen.« Im Gespräch sind F-35-Jets, die vom US-Konzern Lockheed Martin gewinnbringend in der Welt verteilt werden. Anschaffungspreis pro Stück samt Nebenkosten: rund 110 Millionen Dollar.
Um nicht zu kurz zu kommen, werden in allen Teilstreitkräften Argumente gesammelt, um recht tief in den neuen Geldtopf greifen zu können. Aus Sicht der Militärs, die mit dem politischen Auftrag bedacht sind, Schlachten zu verhindern, aber auch schlagen zu können, klingt vieles plausibel.
Wo bleibt das Geld?
Alles in allem stieg der Umfang des Rüstungswesens bereits im Jahr 2021 auf rund 18,3 Milliarden Euro. Das sind 1,5 Milliarden Euro mehr als im Vorjahr. Die Anzahl der Soldaten indessen blieb bei rund 180 000. Selbst wenn man die Inflation berücksichtigt, dürfte das Militär kein Geldproblem haben, um die - vom Grundgesetz geforderte und im Weißbuch 2016 bekräftigte - Landes- und Bündnisverteidigung zu sichern. Wo bleibt das Geld? Speziell für den verlorenen Afghanistan-Krieg erhielt das Verteidigungsministerium von 2001 bis zum 31. August 2021 - jenseits des eigentlichen Budgets - rund 12,3 Milliarden Euro an einsatzbedingten Zusatzausgaben. Der zunehmend umstrittene Einsatz in Mali hat bisher knapp zwei Milliarden Euro gekostet.
Ein weiterer Grund der Geldknappheit heißt Verschwendung in der »Bummelwehr«. Mehrere Ressortchefinnen und -chefs, der Bundesrechnungshof, der oder die Wehrbeauftragte und Heerscharen bestens bezahlter Gutachter haben sich beim Thema Beschaffung die Zähne ausgebissen. Was auch bestellt wird, es wird zuverlässig und oft dramatisch teurer als geplant, es gibt verheerende Lieferverzögerungen und Mängel bei der Qualität.
Beispiele: Der NH 90-Transporthubschrauber hatte gegenüber dem ursprünglichen Einführungstermin 134 Monate Verzug. Dafür wurde das Projekt 1,4 Milliarden Euro teurer. Das Transportflugzeug A 400 M kam 162 Monate später, Mehrkosten 1,6 Milliarden Euro. Dafür ist die Maschine - anders als bestellt - nicht in der Lage, den Leopard 2 oder die Panzerhaubitze 2000 zu transportieren. Der neue Schützenpanzer heißt zwar »Puma«, nähert sich der Truppe aber eher wie eine Schildkröte. Also flickt man immer wieder den »Marder«, für den man eigentlich ein Oldtimer-Kennzeichen beantragen kann. Er ist 40 Jahre alt. Auch planmäßige Instandsetzungen verzögern sich uferlos - so zuletzt bei Fregatten und Versorgern der Marine. Von dem Schulschiff »Gorch Fock« gar nicht zu reden. Unter der Schlamperei leiden Planbarkeit von Ausbildung und Einsatz sowie Ausbildungsstand und Einsatzbereitschaft der hoch bezahlten Besatzungen. Warum das nun anders werden sollte, wenn mehr Geld und weniger Kontrollmöglichkeiten zur Verfügung stehen, lässt sich kaum erklären.
Aktienkurse von Rüstungsfirmen steigen
Doch kritische Einwürfe werden gerade übertönt vom Beifall aus der Rüstungsindustrie. Seit Bekanntgabe der deutschen 100 Milliarden-Euro-Investition gab es für viele Unternehmen ein Börsenhoch. So stieg die Aktie des Panzerbauers Rheinmetall am Montag um 80 Prozent. Der Kanonen-Produzent übermittelte mit Zulieferern der Bundesregierung bereits am 28. Februar eine Liste von schnell lieferbaren Waffen im Wert von 42 Milliarden Euro. Sie umfasst Hubschrauber, gepanzerte Fahrzeuge und Munition. Der Aktienkurs von Hensoldt, einem Spezialisten für Rüstungselektronik, verdoppelte sich am Montag kurzzeitig, derzeit liegt er noch ein Viertel höher als in der Vorwoche. »Kaufen, wenn Völker raufen«, lautet eine Börsenweisheit. Dank Putins Aggression erlebt der Rüstungswahn eine lange für unmöglich gehaltene Entwicklung. Wilhelm Busch hätte womöglich seiner Geschichte von Fuchs und Igel einen weiteren Vers beigegeben:
Frieden schaffen mit mehr Waffen? Nur eines ist daran so dumm: Mit Waffen bringt man Völker um!
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
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