Putins Krieg bewegt Die Linke

Abgeordnetenhausfraktion diskutiert auf Klausur über politische Konsequenzen

  • Nicolas Šustr
  • Lesedauer: 4 Min.

»Wir wollen, dass dieser Krieg sofort endet, dass die russischen Truppen sofort zurückgezogen werden«, sagt Carsten Schatz, Co-Chef der Linksfraktion im Abgeordnetenhaus zum Auftakt von deren online abgehaltener Klausur am Freitagnachmittag. Der vom russischen Präsidenten Wladimir Putin angeordnete militärische Überfall auf die Ukraine beschäftigt Die Linke gleich auf mehreren Ebenen. Statt über die Leuchtturmprojekte von Kultursenator Klaus Lederer und Justizsenatorin Lena Kreck zu sprechen, kommt zunächst Sozial- und Integrationssenatorin Katja Kipping ausführlich das Wort.

Denn ein erheblicher Teil der bereits Hunderttausenden aus der Ukraine vor dem Krieg geflohenen Menschen kommt nach oder zumindest durch Berlin. Am Donnerstag waren es allein mit Zügen 6000 Menschen, am Freitag inklusive der Fernbusse etwa 11000 Menschen. »Unsere Schätzung ist, dass wir für ein Drittel der Menschen, die hier bleiben, die Unterkunft organisieren müssen«, so Kipping. »Es ist die größte Fluchtbewegung nach dem Ende des zweiten Weltkriegs, die wir in Europa haben«, so Kipping weiter. Viele fahren auch weiter. Tatsächlich untergebracht werden mussten am Donnerstag 1100 und am Freitag 800 Menschen. »Wir wissen, dass wir mehr Verantwortung als Land Berlin übernehmen müssen für die Gesamtsituation am Hauptbahnhof und das tun wir auch«, sagt die Senatorin. Anfang nächster Woche soll ein großes Ankunftszelt vor dem Hauptbahnhof aufgestellt werden. Mit Toiletten, Verpflegungsmöglichkeiten und weiterem.

»Wir kommen gerade nur weiter, wenn jeder, der ein Problem erkennt, nicht nur überlegt, wo er das möglichst lautstark anprangern kann, sondern auch überlegt: ›Wie kann ich das lösen?‹«, sagt Kipping in Hinblick auf Kritik von Helfenden. Dass nach Tagen die EU-Staaten entschieden haben, dass Ukrainer auf Basis der »Massenzustromrichtlinie« als Kriegsflüchtlinge zunächst ein Jahr bleiben können, ohne einen Asylantrag stellen zu müssen, sei »ein Fortschritt«, trage aber »rassistische Diskriminierung« in sich. Denn ausgenommen sind Staatsbürger anderer Länder, darunter viele Studierende aus dem Globalen Süden, die an ukrainischen Hochschulen eingeschrieben sind oder auch Flüchtlinge aus Syrien sowie den Nachbarländern der Ukraine.

»Alle, die vor Krieg flüchten, müssen einen sicheren Platz finden, unabhängig von der jeweiligen Staatsangehörigkeit. Dies gilt auch für Kriegsdienstverweigerer und Deserteure aus Russland und der Ukraine«, heißt es in einer einstimmig auf der Klausur von der Fraktion verabschiedeten Resolution.

Katja Kipping spricht auch die »antirussischen Ressentiments« an, die derzeit zu Tage treten. »Die sind falsch, die lehnen wir ab. Es wäre das Schlimmste, wenn die Empörung, die Putin gilt, bei den russischsprachigen Menschen niedergeladen wird«, so die Senatorin. Sie bestätigt auch einen Eindruck, den der Senat zuletzt gemacht hat: »Ich habe mich das eine oder andere mal über den Senat geärgert, muss aber sagen, dass die Situation alle zusammenschweißt.« Auch ihre Amtsvorgängerin Elke Breitenbach, nun einfaches Fraktionsmitglied, sagt, dass der Senat »offensichtlich gemeinsam handeln möchte«. Kein Vergleich zu der Lage 2015 und 2016 beim Zustrom der Flüchtlinge aus Syrien.

Kultursenator Klaus Lederer geißelt den »offensiven Bruch Putins mit der europäischen Friedensordnung«. Er warnt: »Wenn es nicht so läuft für Putin wie erwartet, kann es sein, dass sich die Situation noch viel mehr verschärft für die Menschen.«

Es geht in der Diskussion ans Eingemachte der Partei, um die antimilitaristische Haltung, die Position zur Nato, zu Russland. »Lasst es einfach weg«, rät Lederer jenen, die im Zuge des aktuellen Krieges auf kriegerische Interventionen des Westens zum Beispiel in Afghanistan oder Jugoslawien verweisen. Namen werden nicht genannt, aber gemeint ist wohl nicht nur Sahra Wagenknecht, sondern auch Fraktionsmitglied Ferat Koçak. Der hatte zu Beginn des Überfalls auf die Ukraine in einem Video erklärt, dass die Nato »seit Jahren der russischen Regierung jede Steilvorlage bietet und den Konflikt weiter anheizt«.

»Ich glaube nicht, dass es hilfreich ist, den einen Krieg gegen den anderen Krieg aufzuwiegen«, unterstreicht auch die Landesvorsitzende Katina Schubert. »Wenn das, in dem wir uns jetzt befinden, in unserer eigenen Partei nicht zu einem tiefen Selbsterschrecken und nicht auch zu einem tiefen Selbstbefragen einer ganzen Reihe von Positionen führt, dann bin ich nicht mehr lange in dem Laden«, droht der Pankower Bezirksbürgermeister Sören Benn in dem Zusammenhang. »Es gibt keine Verharmlosung und Relativierung von Putin mehr. Putin ist nun mal Feind der Linken«, sagt Katja Kipping.

Das von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) angekündigte 100 Milliarden Euro schwere Sondervermögen für die Bundeswehr kommentiert Tobias Schulze so: »Was für die Rüstung geht, geht offenbar für die städtische und soziale Infrastruktur nicht, nämlich die Schuldenbremse auszusetzen.«

»Wir werden spätestens nächstes Jahr ein massives Problem mit Energiearmut haben«, warnt Katina Schubert. »Wir müssen im Haushalt Vorsorge treffen, dass nicht noch mehr Leute in kalten Wohnungen und ohne Strom sitzen«, fordert sie.

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