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  • AfD gegen den Verfassungsschutz

Schrödingers Flügel

Das Bundesamt für Verfassungsschutz darf laut einem Gerichtsbeschluss die AfD als Verdachtsfall einstufen

  • Robert D. Meyer, Köln
  • Lesedauer: 5 Min.

Roter Teppich, riesige Wandspiegel, goldene Tapeten, strahlende Kronleuchter: Normalerweise finden im Kristallsaal der Kölner Messe rauschende Abschlussbälle, biedere Kongresse und fröhliche Karnevalssitzungen statt. Doch das pompöse, herrschaftlich anmutende Ambiente mag nicht wirklich zu jener Veranstaltung passen, die am Dienstag dort stattfand. Für einen Tag wurde aus dem Fest- ein improvisierter Gerichtssaal. Die Corona-Pandemie ist der Grund, warum die AfD an diesem Ort ihre Argumente gegen das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) vorbrachte – das Kölner Verwaltungsgericht verhandelte hier, damit es dem großen medialen Interesse und den notwendigen Schutzmaßnahmen nachkommen konnte.

Im maximalen Kontrast zum Glanz dieses Ortes steht die Nüchternheit der Aktenberge. In 26 grauen Kisten wurden tausende Seiten Beweismaterial vom Inlandsgeheimdienst zusammengetragen, abgeheftet in einer kaum überblickbaren Anzahl an Ordnern, allesamt ordentlich im Gerichtssaal aufgereiht. Der Inhalt soll laut Verfassungsschutz belegen, warum die AfD eine Gefahr für die freiheitlich-demokratische Grundordnung darstellt und deshalb als rechtsextremer Verdachtsfall eingestuft und überwacht gehört.

Genau das will die AfD verhindern. Insgesamt vier Klagen hatte die Partei gegen den obersten Inlandsgeheimdienst eingereicht. Es geht um die Einschätzungen des BfV zum völkisch-nationalistischen Flügel, den parteinahen Jugendverband Junge Alternative (JA) und die AfD als Gesamtpartei. Weil dem Verfassungsschutz die Beweislast zufällt, musste dieser der 13. Kammer des Kölner Verwaltungsgerichts tausende Seiten an Belegen zukommen lassen, warum er sowohl die Gesamtpartei als auch die JA als Verdachtsfall sieht und den formal aufgelösten Flügel sogar als »gesichert extremistische Bestrebung« betrachtet, was der höchsten Warnstufe entspricht, die der Inlandsgeheimdienst zur Verfügung hat. Bei diesem Umfang wird klar, warum der Prozess erst fast genau ein Jahr später stattfand, nachdem die AfD im März 2021 in einer Eilentscheidung erwirkt hatte, dass das BfV die Partei vorerst nicht als Verdachtsfall führen durfte, ehe die Frage im Hauptverfahren geklärt sei.

Im Kontrast zur langen, aber gründlichen Vorbereitung der 13. Kammer ging es am Dienstag rasant zu. Ursprünglich hatte das Gericht zwei Verhandlungstage angesetzt, doch am späten Nachmittag ließ der Vorsitzende Richter Michael Huschens durchblicken, er habe vor, den Prozess an nur einem Tag zu schaffen. Dass die Kammer nach über zehnstündiger Sitzung am Abend sogar noch ihre Urteile verkündete, überraschte viele Prozessbeobachter*innen.

Es gibt aber einen Hinweis darauf, wie viel Arbeit im Vorfeld bereits in die Verhandlung gesteckt wurde. Auch die AfD, vertreten im Prozess durch die Kanzlei Höcker, hatte ihrerseits schriftlich eine Vielzahl an Argumenten vorgelegt, warum die Partei im Grunde völlig harmlos sei. Die mündliche Verhandlung diente dann auch eher dazu, noch einmal die Essenz aus den Aktenbergen pointiert vorzutragen und dem Gericht die Möglichkeit zu geben, bei Klägerin und Beklagten nachzubohren. »Wenn wir alles vortragen, was wir gesichtet haben, sitzen wir länger hier«, sagte dann auch Richter Huschens.

Ausgewählte Zitate, die nach Meinung des BfV belegen, warum von der AfD eine Gefahr für die Demokratie ausgehe, trug Rechtsanwalt Wolfgang Roth als Prozessvertreter des Inlandsgeheidienstes dennoch vor. Es sind Äußerungen voll Hass, Häme und Verachtung, allerdings nicht wie meist im Original gebrüllt oder gehetzt von AfD-Funktionär*innen regelrecht ausgespuckt, sondern sachlich-nüchtern vorgetragen. Ihren Schrecken verlieren die Zitate dadurch nicht.

Ein Name fällt in der Verhandlung besonders häufig: Björn Höcke, Thüringer AfD-Vorsitzender und Frontmann des aufgelösten Flügel. Wobei genau an dieser Frage das komplizierteste der vier Verfahren in dieser Verhandlung hing, wie Richter Huschens eingangs erklärte. Es erinnert an das bekannte Gedankenexperiment Schrödingers Katze: Lebt der Flügel nach seiner formalen Auflösung im April 2020 weiter?

Einerseits ist das BfV davon überzeugt, weshalb es an der Einstufung als »gesichert extremistische Bestrebung« festhalten wollte. Andererseits räumte der Inlandsgeheimdienst ein, er müsse noch genauer nachsehen, ob der Flügel als eigenständige Struktur existiert oder nicht doch längst völlig in der Partei aufgegangen ist. Schwer zu sagen über eine Vereinigung, die früher ein eigenes Logo besaß und einen Internetshop betrieb, gleichzeitig aber keine Mitgliederlisten führte, dafür aber über Obleute in den AfD-Landesverbänden verfügt haben soll. »Den Flügel gibt es nicht mehr«, behauptete dagegen Rechtsanwalt Christian Conrad, Prozessvertreter auf Seiten der AfD.

Seine Strategie in dem Verfahren: Die Bedeutung der völkischen Kräfte kleinreden, vorgebrachte Zitate relativieren, Zweifel säen, dem Verfassungsschutz vorwerfen, entlastende Tatsachen nicht ausreichend zu würdigen. Höcke wurde vom AfD-Bundesvorsitzenden Tino Chrupalla, der ebenfalls am Prozess teilnahm und gelegentlich das Wort ergriff, zum Vorsitzenden eines kleinen Landesverbandes degradiert, der nur medial groß gemacht worden sei. Auch würde er sich von einigen Äußerungen des Thüringer AfD-Chefs distanzieren. Mehr Verrat an einem Mitstreiter, dem Chrupalla auch teils seinen Aufstieg verdankt, geht kaum.

Im Fall der Jungen Alternative argumentierte AfD-Anwalt Conrad, es müsse gesehen werden, dass es sich nur um einen Jugendverband handele, in dem Personen agierten, »die vielleicht weniger Erfahrung haben«. Die 13. Kammer ließ sich bei ihrem Urteil über die JA jedoch nicht auf diese Argumentation ein. Sie urteilte, dass die Einstufung als Verdachtsfall zulässig ist. Anders verhält es sich mit dem Flügel. Weil dessen Fortbestand unklar sei, könne er nicht als »gesichert extremistische Bestrebung« eingeordnet werden, da für die höchste der drei Warnstufen des Verfassungsschutzes besonders hohe Hürden gelten.

Am wichtigsten Urteil des Tages ändert dies jedoch nichts: Der Verfassungsschutz darf die AfD zum Verdachtsfall erklären und dies auch öffentlich kommunizieren, weil es »ausreichende tatsächliche Anhaltspunkte für verfassungsfeindliche Bestrebungen innerhalb der Partei« gibt. Die Gesamtbetrachtung des Inlandsgeheimdienst sei nicht zu beanstanden. AfD-Bundessprecher Chrupalla blieb nach der Urteilsverkündung dann auch wortkarg. »Uns hat das Urteil zur Einstufung als Verdachtsfall überrascht«, teilte er im Foyer den Journalist*innen mit. Sobald die schriftliche Urteilsbegründung vorliegt, wolle die AfD entscheiden, ob sie in Berufung geht. Es wäre eine Überraschung, täte sie es nicht. Der Verfassungsschutz sollte daher sein Beweismaterial noch lange nicht im Archiv verstauen.

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