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Lasst uns in Frieden (13): Schwerter zu Pflugscharen

Im Krieg zählt die Wahrheit wenig: Über die Friedensbewegung in der DDR der 80er Jahre

  • Gunnar Decker
  • Lesedauer: 4 Min.

Wer den Frieden will, muss den Frieden denken. Das sagt sich so einfach, aber es ist schwer, zumal in Kriegszeiten, wo die Vernichtungslogik herrscht. Russlands Angriffskrieg schockiert besonders die, die im Osten groß geworden sind und die an vielem zu zweifeln lernten, aber nicht an der Friedenspolitik der Sowjetunion. Auch das also gilt nun nicht mehr, auf Russland bezogen. Aber wer den Irak-Angriffskrieg der US-Amerikaner nicht vergessen hat, der glaubt auch an die »westlichen Werte«, von denen nun rund um die Uhr die Rede ist, nur unter starkem Vorbehalt. Die Frage ist drängender denn je: Wo ist hinter all der feindlichen Ideologie das Verbindende, der gemeinsame, der allein zukunftsfähige Geist?

Ich erinnere mich gut an die Atomkriegsangst Anfang der 80er Jahre. Es war die Zeit des Nato-Doppelbeschlusses. Im Osten standen bereits SS-20-Mittelstreckenraketen, und die Nato stellte nun auch im Westen Pershing-Raketen auf. Erst aufrüsten, um dann (vielleicht) abzurüsten - so die Politik von Kohl und Genscher. Es war zu der Zeit, als der vormalige Schauspieler Ronald Reagan in den USA Präsident war und davon sprach, »dem sowjetischen Huhn den Kopf abzuschneiden«. Die Nato dachte laut über atomare Erstschlagszenarien nach. Die Logik der Abschreckung, immer auf der Grenze des Kalten Krieges zum heißen, konkurrierte mit der sozialdemokratischen Politik eines Wandels durch Annäherung, wie sie Willy Brandt und Egon Bahr entwickelt hatten.

Im Westen demonstrierte die Friedensbewegung gegen den Nato-Doppelbeschluss - und im Osten sollten wir FDJler ebenfalls dagegen protestieren. Aber das erschien vielen von uns zu billig, denn auch die sowjetischen Raketen auf unserem Gebiet bedrohten den Frieden. Einseitige Abrüstung jetzt! - das war unser Geist der Stunde. Ein Risiko, denn offiziell setzte die FDJ die Parole dagegen: »Der Friede muss bewaffnet sein!«

Aber die »Berliner Friedensgespräche« von Autoren aus Ost und West, seit 1981 geführt, darunter waren Christa Wolf und Günter Grass, bestärkten uns in diesem Anspruch, das eigene Denken zu entmilitarisieren - selbst dialogfähig bleiben oder es erst werden! Den stärksten Friedensimpuls gegen die militärischen Logiken setzte eine Aktion auf dem evangelischen Kirchentag in Wittenberg am 24. September 1983. Passend zum Slogan »Frieden schaffen ohne Waffen!« schmiedete - auf Initiative von Friedrich Schorlemmer - Stefan Nau im Lutherhof vor 4000 Besuchern ein Schwert in eine Pflugschar um. Eine symbolische Handlung, dem Spruch des Propheten Micha folgend: »Sie werden ihre Schwerter zu Pflugscharen und ihre Spieße zu Sicheln machen. Kein Volk wird gegen das andere das Schwert erheben, und sie werden fortan nicht mehr lernen, Krieg zu führen.« Die kühne Vision einer Welt ohne Waffen, in der es keine Kriege mehr gibt - aus der Bedrückung eines drohenden Atomkriegs auf deutschem Boden erwachsen!

In den Jungen Gemeinden der evangelischen Kirche verbreitete sich der Aufnäher »Schwerter zu Pflugscharen«. Ein Friedenssymbol, das bei uns an der EOS sofort verboten wurde. Denn Pazifismus, so hieß es, nutze nur dem Klassenfeind. Er schwäche die eigene Verteidigungsfähigkeit und sei - so die sofort auf den Plan tretenden Organe der Staatssicherheit - in Wahrheit verkappte Feindpropaganda, also friedensgefährdend. Wer den Aufnäher dennoch trug, wurde vor Tribunale geladen, musste abschwören, sonst drohte ein Schulverweis, samt Verlust des Studienplatzes. Ein Schock für uns, ein weiterer Vertrauensverlust in die herrschende SED-Politik, die einen pazifistischen Geist ächtete.

Man hielt es für eine besondere Perfidie dieser über den kirchlichen Rahmen hinausgehenden Friedenskreise, dass der Aufnäher »Schwerter zu Pflugscharen« jenes Monument des russischen Bildhauers Jewgeni Wutschetitsch zeigte, das die Sowjetunion 1959 der Uno geschenkt hatte. Ein muskulöser Heros schmiedet ein Schwert zu einer Pflugschar um! Zu besichtigen in New York vor dem UN-Hauptgebäude.

Und das sollte man bei uns nicht zeigen dürfen? Wir waren irritiert, mehr und mehr empört, dass unser Friedenswille unter Verdacht gestellt wurde, feindliche Propaganda zu sein. Als Abiturienten waren wir noch zu naiv, um zu wissen, dass im Krieg - auch bereits im Kalten Krieg - die Wahrheit wenig zählt und stattdessen Machtinteressen dominieren. Wie wichtig, wie unvorstellbar war in dieser Szenerie das weltpolitische Auftreten eines Michail Gorbatschow, der als Erster begann, die Waffen niederzulegen. Wo ist einer wie Gorbatschow heute, wo bleibt das »neue Denken« jenseits der alten Politik der Stärke?

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