Gute Kamera, böse Kamera

Mit Handyvideos wird Polizeigewalt immer öfter auch in Berlin dokumentiert - die Behörden wehren sich juristisch

  • Christian Meyer
  • Lesedauer: 5 Min.

Als Rodney King 1991 in Los Angeles von Polizisten brutal zusammengeschlagen und schwer verletzt wird, filmt ein Anwohner den Vorgang vom Balkon. Anschließend übergibt er die Aufnahmen einem lokalen Sender. Als George Floyd 2020 in Minneapolis von Polizisten umgebracht wird, filmt eine Zeugin. Nur aufgrund der Videos sind die Namen im kollektiven Gedächtnis mit Polizeigewalt und Rassismus verknüpft.

Bürger*innen beobachten Polizei

Auch hierzulande gerät Polizeigewalt immer öfter in den buchstäblichen Fokus. Vergangenes Jahr zirkulierten Videos, die brutale Festnahmen in Frankfurt oder Pforzheim zeigten. Private Aufnahmen wurden in vielen Fällen zu belastendem Material für Polizeikräfte. Es wundert nicht, dass die Polizei dagegen vorgeht, wenn ihr Bürger*innen zu aufmerksam auf die Finger schauen. Smartphones werden beschlagnahmt, Videos gelöscht, es kommt zu Anzeigen, Einschüchterungen und Gewalt. Die Kampagne für Opfer rassistischer Polizeigewalt (KOP) in Berlin hat auf ihrer Homepage zahlreiche Fälle dokumentiert, in denen Polizist*innen Betroffene oder Zeugen am Filmen hinderten. Gleichzeitig seien viele Fälle rassistischer Polizeigewalt nur bekannt geworden, weil es Aufnahmen gab, so Zakaria Puvogel von KOP.

Seit vergangenem Herbst ruft KOP unter dem Motto »Go Film the Police« dazu auf, »rassistische Polizeigewalt zu filmen, um die Brutalität der Polizei als organisierte Gewalt sichtbar zu machen«. Die Polizei müsse bei der Arbeit kontrolliert werden. Zeug*innen dürften nicht weiter kriminalisiert werden, stattdessen sollen deren Videoaufnahmen als Beweismittel vor Gericht zugelassen werden. Aus ähnlichen Motiven gibt es in den USA Projekte organisierter Polizeibeobachtung, wie Copwatch-Media in New York City oder Film the police LA.

Polizei wird kreativ gegen das Filmen

Polizist*innen sagen, das Filmen beeinträchtige ihren Einsatz oder sie hätten Racheaktionen zu fürchten, insbesondere wenn es um organisierte Kriminalität geht. Um sich juristisch gegen Videoaufnahmen zu wehren, beweist die Polizei Kreativität. Lange Jahre wurde das Kunsturhebergesetz, beziehungsweise das Recht am eigenen Bild herangezogen, um Handys zu beschlagnahmen. Weil das Gesetz aber ausschließlich die Veröffentlichung regelt, hat das Bundesverfassungsgericht diese Praxis 2015 explizit untersagt. Weil sie keine Handhabe über die Bilder bekommt, versucht es die Polizei über den Ton. Schließlich drehen Mobiltelefone in der Regel keine Stummfilme. Seit 2019 wird daher der sogenannte Abhörparagraf 201 des Strafgesetzbuches, der die »Verletzung der Vertraulichkeit des Wortes« regelt, ins Feld geführt. Er besagt, dass nicht öffentliche Gespräche nicht aufgenommen werden dürfen.

Viele Landgerichte erkennen jedoch eine faktische Öffentlichkeit bei Polizeieinsätzen. Im Oktober argumentierte das Landgericht Osnabrück genau so. Es »sei zu berücksichtigen, dass gemäß Paragraf 201 a StGB das Anfertigen von Bildaufnahmen im öffentlichen Raum - von wenigen Ausnahmefällen abgesehen - straffrei sei. Es sei kein Grund ersichtlich, warum das Aufnehmen von Tonaufnahmen im öffentlichen Raum strenger geahndet werden sollte als die Fertigung von Bildaufnahmen in demselben Umfeld«, hält das Gericht zudem fest. Die Kampagne für Opfer rassistischer Polizeigewalt begrüßt das Urteil.

Die Rechtsprechung ist aber noch in Bewegung und die Landgerichte in München und Frankenthal legitimierten jüngst die Beschlagnahme von Handys unter Verweis auf Paragraf 201. Während manche Jurist*innen in der polizeilichen Praxis einen Missbrauch des Paragrafen sehen, hält die Polizei vielerorts daran fest. Es scheint ihr wichtig, eventuelle Beweismittel möglichst ungleich verteilt zu wissen. Das Gewicht polizeilicher Aussagen vor Gericht (und auch gegenüber Medien) könnte schwinden, wenn Videoaufnahmen andere Perspektiven zeigen.

Senat will Video-Spitzenplatz ausbauen

Von staatlicher Seite soll hingegen mehr gefilmt werden. Laut Berliner Koalitionsvertrag soll »zur vorbeugenden Kriminalitätsbekämpfung« an manchen der sogenannten kriminalitätsbelasteten Orte Videotechnik eingesetzt werden. Beispielsweise soll die geplante Wache am Kottbusser Tor mit Videoüberwachung flankiert werden. In der Kriminologie und Soziologie wird ein kriminalitätssenkender Effekt von Videoüberwachung aber immer wieder angezweifelt. Comparitech, ein Onlinemagazin für Sicherheit und Computer, zeigt zudem, dass Berlin bereits einen Spitzenplatz bei der Videoüberwachung belegt. Hier hingen 6,25 öffentliche Überwachungskameras pro 1000 Einwohner*innen. Fast doppelt so viele wie in Paris und das Fünffache des Wertes für Rom, aber in London gibt mehr als zehnmal so viele.

Mit kleinen, am Körper getragenen Kameras entsteht eine weitere Konstellation. In Berlin regelt das Polizeigesetz ASOG den Einsatz sogenannter Bodycams. In der aktuellen Evaluationsphase soll deren Anzahl von derzeit 30 auf 300 steigen.

Berliner Polizei glaubt an Bodycams

Für die Berliner Polizei hätten sich Bodycams bisher bewährt. »Sie tragen zum Schlichten bei und helfen nachzuweisen, wie sich eine Situation zugetragen hat«, so Michael Gassen von der Pressestelle der Polizei. Eine Studie der Fachhochschule für Verwaltung Nordrhein-Westfalen attestiert Bodycams zwar grundsätzlich ein deeskalierendes Potenzial, kommt aber unter anderem zu dem Ergebnis, dass es »entgegen der Erwartung« mit Bodycam zu mehr geschädigten Polizist*innen komme. Eine These ist, dass die Bodycam zu »einem unangemessen zurückhaltenden Einschreitverhalten« beitrage. Ältere Studien aus den USA zeigten, dass Bodycams polizeilichen Schusswaffeneinsatz wahrscheinlicher machen. Dennoch sprechen sich auch bürgerrechtsorientierte Stimmen hin und wieder dafür aus - gerade in den USA. Dort ist oft (rassistische) Polizeigewalt der Aufhänger für diese Diskussion. Die Diskussion in Berlin verfolgt KOP sehr kritisch, denn hier sollen ausschließlich Polizist*innen geschützt werden.

KOP ruft dazu auf, selbst zu filmen. Unter dem ausgegebenen Hashtag gofilmthepolice lassen sich bisher keine Aufnahmen in sozialen Netzwerken finden. KOP sieht ihre Kampagne ohnehin noch in der Startphase. Proteste und Workshops sind geplant, im März wird es ein offenes Bündnistreffen geben. Bereits jetzt entwickelte sich die Diskussion um das Filmen von Polizeieinsätzen »klar in unserem Sinne«, freut sich Puvogel.

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