Nato statt Neutralität

Im Norden Europas wächst Interesse an einem Beitritt

  • René Heilig
  • Lesedauer: 5 Min.
Schon heute in das Nordatlantikbündnis integriert: Finnischer Marinesoldat bei einem Nato-Manöver in Schweden
Schon heute in das Nordatlantikbündnis integriert: Finnischer Marinesoldat bei einem Nato-Manöver in Schweden

Mit seinem Krieg gegen die Ukraine hat Russlands Präsident der weiteren Nato-Ostausdehnung wehren wollen. Erreicht hat er das Gegenteil - das Bündnis zeigt sich gefestigt und immer neue Kandidaten rücken näher an die Nato.

Spaß und Verantwortung

Olga Hohmann versteht nicht, was Arbeit ist und versucht, es täglich herauszufinden. In ihrem ortlosen Office sitzend, erkundet sie ihre Biografie und amüsiert sich über die eigenen Neurosen. dasnd.de/hohmann

Zur Wochenmitte trafen sich die Nato-Verteidigungsminister. Am 24. März werden die Staats- und Regierungschefs der Allianzstaaten zu einem außerordentlichen Gipfel zusammenkommen. Ziel ist, so der scheidende Generalsekretär Jens Stoltenberg, »unsere militärische Haltung an die neue Realität anzupassen«. Diplomaten verweisen schon jetzt darauf, dass die Nato sich auch nach dem Spitzentreffen nicht allzu offen äußern wird, denn »strategische Zweideutigkeit« sei ein integrales Instrument gegen die russische Aggression. Klar ist, die Anpassung der Nato-Strategie wird historische Ausmaße haben. Eine Zeitenwende eben. Nicht auszuschließen ist, dass die Gemeinschaft der 30 nach und nach erweitert wird.

Noch bis zum 1. April läuft in Norwegen die Nato-Winterübung »Cold Response«. Sie ist die größte ihrer Art seit dem Ende des Kalten Krieges. Rund 30 000 Soldaten aus fast 30 Ländern nehmen daran teil. Darunter sind 1600 schwedische Militärs sowie eine von Corona reduzierte finnische Truppe. Beide Länder gehören nicht der Allianz an, ihre Teilnahmen ist angesichts der Drohungen Russlands gegen die beiden neutralen Staaten aber nicht nur symbolisch gemeint.

Schwedens Premierministerin Magdalena Andersson, eine Sozialdemokratin, sorgt sich um die Sicherheit ihres Landes. Sie wirbt Beistand ein. So führte sie vor wenigen Tagen in London Gespräche über den Ausbau der Joint Expeditionary Force (JEF). Das ist eine von Großbritannien geführte und Nato-unabhängige Expeditionstruppe, die - so erforderlich - von Dänemark, Finnland, Estland, Island, Lettland, Litauen, den Niederlanden, Schweden und Norwegen zusammengestellt werden kann. Bislang auf dem Papier. Zugleich bemüht man sich in Stockholm um eine neue oder zumindest aktualisierte nationale Sicherheitsstrategie. Erstmals sprechen sich - so eine Umfrage aus den letzten Tagen - mehr Schweden für eine Nato-Mitgliedschaft aus als dagegen. Die Premierministerin samt Verteidigungsminister Peter Hultqvist und Außenministerin Ann Linde halten dagegen. Jenseits der Ostsee gibt es Widerspruch. Litauens Außenminister Gabrielius Landsbergis beispielsweise betont: »Wenn Schweden und Finnland beitreten, würde das die Sicherheit in der Region erhöhen.« Im Herbst sind in Schweden Wahlen, das Thema Nato-Mitgliedschaft könnte eine zusätzliche Bedeutung gewinnen.

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Dafür sorgen Bilder aus der Ukraine und solche von Schwedens zweitgrößter Insel Gotland. Schon im Mittelalter war das Eiland ein umkämpfter Ort - wie Festungsanlagen zeigen. Nun entstehen neue, denn Kaliningrad, die hochgerüstete russische Enklave, ist nur 300 Kilometer entfernt. Das schwedische Militär brachte Panzer und anderes Gerät samt Hunderten Soldaten auf die Insel, die für die Nato durchaus von Wert sein könnten, denn: Wer hier Raketen aufstellt, bestimmt, wer in dieser Ostseeregion Schifffahrt betreiben kann. Insgesamt gilt: Schweden rüstet massiv auf, mit Milliardeninvestitionen wie mit 30 000 zusätzlichen Soldaten.

Vor einigen Tagen traf sich der Verteidigungsminister Schwedens Peter Hultqvist mit Antti Kaikkonen, seinem finnischen Kollegen. Sie berieten darüber, wie man aktuell denkbare Krisensituationen meistern könnte und waren - gemeinsam mit den Oberbefehlshabern der Streitkräfte - Gäste einer Stabsübung, bei der ein fiktiver Konflikt im Ostseeraum angenommen wurde. Vergleichbare Übungen wurden bislang geheim gehalten, nun suchte man bewusst Öffentlichkeit. Es gab vertiefende Treffen auf Arbeitsebene.

Auch in Helsinki bemüht sich um mehr militärische Stärke. Nach Putins Angriffskrieg ist die Zustimmung zu einem Nato-Beitritt des bislang neutralen Landes von zuerst 52 Prozent auf aktuell 62 Prozent gestiegen. Die Umfragen sind gründlich. Sie sagen, dass im Februar 41 Prozent der Frauen für einen Nato-Beitritt des Landes und 31 Prozent dagegen waren. Im Moment wollen mehr als die Hälfte der finnischen Frauen in die Allianz. Noch deutlicher fällt die Befragung unter Männern aus. Nur 14 Prozent lehnen einen Beitritt Finnlands zur Nato ab. Stark zugenommen hat die Pro-Nato-Stimmung insbesondere bei den Unterstützern der Zentrumspartei und des Linksbündnisses, das sich in der Nato-Frage von der Opposition zu einer fast ebenso klaren Unterstützergruppierung wandelte. Wenn die Regierung also wollen würde, könnte alles schnell gehen, glauben Experten der Universität Helsinki und veranschlagen weniger als zwei Jahre für den Beitrittsprozess.

Doch würden die bisherigen Mitglieder Finnland aufnehmen? Die Ansichten darüber gehen bei Sicherheitsexperten auseinander. Generalmajor Jukka Juusti, unlängst noch Ständiger Sekretär des Verteidigungsministeriums, ist skeptisch. Warum, so fragt er, sollte die Nato zusätzlich zu der für das Bündnis angespannten Situation im Osten Europas auch noch die 1340 Kilometer lange finnische Grenze zu Russland verteidigen? Auch dafür gibt es bereits Konzepte.

Eine Idee richtet sich gegen den sogenannten Ottawa-Vertrag. 1997 geschlossen, war er im Ensemble verschiedener Entspannungsverträge ein wichtiger Beitrag zur Abschaffung von Antipersonenminen. Nun, da wieder verstärkt Erinnerungen an den sowjetischen Überfall auf Finnland im Jahr 1939 hochkommen, scheinen Minen als Mittel zur Sicherung staatlicher Integrität akzeptabel.

»Es liegt auf der Hand, dass ein Beitritt Finnlands und Schwedens zur Nato, die in erster Linie eine militärische Organisation ist, ernste militärische und politische Konsequenzen haben wird«, sagt Sergej Beljajew. Er ist Leiter der Europaabteilung des russischen Außenministeriums. Gar nicht diplomatisch brachte er den Begriff »Vergeltungsmaßnahmen« in die Debatte ein. Das erzeugt Angst, denn: Russland ist eine Atommacht und steht nicht nur vor Kiew mit dem Rücken zur Wand.

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