Die Nato übt im hohen Norden

In Norwegen läuft das Großmanöver »Cold Response«. Die Teilnehmer kämpfen gegen angenommene militärische Feinde und meteorologische Widrigkeiten

  • René Heilig
  • Lesedauer: 4 Min.

Lars Fause ist Gouverneur von Spitzbergen und einer der wenigen norwegischen Regierungsvertreter, die einen engen Kontakt zu einem offiziellen Vertreter Moskaus pflegen. Fause trifft sich öfter mit Sergej Guschtschin, Russlands Generalkonsul. Der hat seinen Sitz in Barentsburg, dem zweitgrößten Ort auf Spitzbergen, wo auch das staatliche russische Bergbauunternehmen »Arktikugol« wirtschaftet. Die Inselgruppe im Nordatlantik und im Arktischen Ozean ist eine Art Schmelztiegel. Menschen aus mehr als 40 Nationalitäten leben und arbeiten hier zusammen. Darunter sind viele Russen und Ukrainer. Noch sind sie gute Nachbarn und friedlich.

Im Rest des Landes weht ein anderer Wind. Noch bis Ende März läuft das Nato-Manöver »Cold Response«. Übungen dieser Art werden gewöhnlich alle zwei Jahre durchgeführt. 2020 sorgte die Corona-Pandemie für eine Absage. Norwegens Militärführung betont nun umso nachdrücklicher: »Damit die Streitkräfte unser Land verteidigen können, müssten sie regelmäßig üben.« Gleichzeitig sei die Nato die Grundlage für die Verteidigung Norwegens. »Es ist daher wichtig, dass unsere Verbündeten den Einsatz in Norwegen üben.« Gerade im Winter. Mehr als 30 000 Soldaten aus 27 Ländern mit rund 200 Flugzeuge und 50 Schiffen sowie eine Reihe ziviler Stellen folgten dem Ruf zur Übung. Sie findet zu Lande, zu Wasser, in der Luft und unter fast scharfen Bedingungen auch im Cyberraum statt. Zwar wurde die – wie betont wird – rein defensive Übung lange vor dem russischen Überfall auf die Ukraine geplant, doch die aktuellen Ereignisse drücken ihr einen besonderen Stempel auf.

Die Übungsteilnehmer kommen vor allem aus den USA, Großbritannien, den Niederlanden, Frankreich, Belgien und Dänemark. Die Bundeswehr beteiligt sich mit dem Marine-Einsatzgruppenversorger »Berlin«. Er hat eine rund 200-köpfige Besatzung. Angemeldet zum Kriegsspiel waren auch 680 finnische Soldaten, die als Teil einer 1500 Soldatinnen und Soldaten umfassenden schwedischen Brigade handeln. Beide Staaten sind nicht Mitglied der Nato und begreifen sich als politisch neutral. Doch dieser Status verliert sich immer mehr. Die Mehrheit der finnischen Bevölkerung ist für einen Beitritt des Landes zur Nato, in Schweden versucht die Regierung, diesen Schritt hinauszuzögern.

Die Teilnehmer von »Cold Response« haben nicht nur gegen angenommene militärische Feinde und meteorologische Widrigkeiten zu kämpfen, auch die Corona-Pandemie schreibt Übungsszenarien um. Am 5. März war ein finnischer Soldat positiv getestet worden. Die Folge war eine Quarantäne für 850 Soldaten. Am 8. März zog Finnland dann seine bislang eingesetzten 400 Soldaten von der Übung ab. Am Freitag stützte eine von den US-Marines betriebene »Osprey«-Maschine über unwegsamem Gelände ab. Vier Besatzungsmitglieder starben. Ministerpräsident Jonas Gahr Støre, er gehört der sozialdemokratischen Arbeiderpartiet an, twitterte sein Mitgefühl.

Gemäß der in Europa geltenden Regeln hatte Norwegen auch Militärs anderer Länder zur Beobachtung des Kriegsspiels eingeladen. Auch Russland hätte zwei Militärs schicken können, doch zog es die Regierung des russischen Präsidenten Wladimir Putin vor, nicht auf die Einladung zu reagieren. Die russische Botschaft in Oslo erklärte lediglich, dass »die Stärkung der militärischen Kapazitäten der Nato in der Nähe der russischen Grenzen« nicht dazu beitrage, »die Sicherheit in der Region zu erhöhen«.

Gerade deshalb ist Russland dennoch bei der Übung dabei. Moskau schickte Kriegsschiffe als »externe Beobachter« und als besonderen »Gruß« entschied man sich wohl dafür, ein paar elektronische Störsignale auszusenden. Das jedenfalls behaupten vor allem finnische Militärs und sprechen von einer weit verbreiteten Störung der GPS-Navigation. Auch norwegische Behörden sprechen von derartigen Schikanen. Die europäische Flugsicherheitsbehörde (Easa) warnt ebenso vor erheblichen Störungen der Navigationssignale, die seit Beginn der russischen Ukraine-Invasion beobachtet werden.

Auf Spitzbergen schient man von all diesen Dingen unberührt zu sein. Doch in der vergangenen Woche gab es eine erste antirussische Demonstration, Boykottaufrufe wider russische Geschäfte und touristische Einrichtungen machen die Runde. »Es bricht irgendwie den arktischen Geist der Solidarität, der hier unter den Menschen in Spitzbergen immer noch existiert«, sagte Russlands Konsul Sergej Guschtschin. Norwegens Gouverneur Lars Fause beteuerte gleichfalls im norwegischen Fernsehen: Auf Spitzbergen würden alle gleichbehandelt, unabhängig von der Nationalität. »Vor diesem Prinzip werden wir uns niemals verabschieden.«

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