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Rehabilitation einer Reizfigur

Beim Mainzer Sieg über Bielefeld behält Schiedsrichter Felix Zwayer grandios die Übersicht

  • Frank Hellmann, Mainz
  • Lesedauer: 4 Min.

Felix Zwayer kennt das Gefühl zur Genüge, plötzlich im Mittelpunkt zu stehen. Vielleicht hat der Schiedsrichter auch deshalb kaum Scheu, für seine Entscheidungen meist auch öffentliche Erklärungen zu liefern. Vermutlich selten aber hat sich Zwayer, 40, so gerne vor Kameras und Mikrofone begeben wie nach dem Bundesligaspiel zwischen dem FSV Mainz 05 und Arminia Bielefeld (4:0). Ausgerechnet jener Referee, der sich in der Hinrunde nach dem Gipfeltreffen zwischen Borussia Dortmund und Bayern München (2:3) heftigsten Anfeindungen ausgesetzt sah, hat die Bundesliga in der Rückrunde vor einer Peinlichkeit bewahrt: das erste Phantomtor der Geschichte wegen technischen Versagens.

Was war passiert? Die forschen und offenbar bereits aller Corona-Nachwirkungen entledigten Mainzer führten gegen behäbige Bielefelder durch ein Blitztor von Jonathan Burkardt nach 27 Sekunden mit 1:0, als die meisten der 25 000 Zuschauer bald darauf das vermeintliche 2:0 feierten. Der Stadionsprecher verkündete Kapitän Moussa Niakhaté als Torschützen, doch nach dessen Kopfball hatte Arminia-Keeper Stefan Ortega die Kugel im Gedränge auf der Linie gesichert (15.). Gleichwohl bekam Zwayer mit einiger Verspätung das Tor-Signal auf seine Uhr – und zeigte auf den Anstoßpunkt.

Spaß und Verantwortung

Olga Hohmann versteht nicht, was Arbeit ist und versucht, es täglich herauszufinden. In ihrem ortlosen Office sitzend, erkundet sie ihre Biografie und amüsiert sich über die eigenen Neurosen. dasnd.de/hohmann

»Doch die gewisse Verzögerung hat mich stutzig gemacht.« Der Chef und seine Assistenten auf dem Platz und im Kölner Keller hatten den Eindruck, dass hier etwas nicht stimmte. Also eilte Zwayer aus eigenem Antrieb an den Kontrollmonitor: »Ich musste und sollte nicht raus. Ich wollte mir aber unbedingt selbst ein Bild machen.« Und siehe da: Mit seinem Spürsinn kam der Unparteiische einer Tücke der Technik auf die Schliche und lobte sich dafür gerne selbst. Es habe »unheimlich gut getan, mit einem klaren Bild zurück aufs Feld zu gehen und es den Spielern und Beteiligten zu erklären«. Der Ball war mitnichten mit vollem Durchmesser hinter der Linie.

So etwas, sagte der Fifa-Schiedsrichter, habe er auch noch nicht erlebt. Dringend sollte nun der Anbieter den Vorfall auswerten. »Wir haben gehört, dass das System im Lauf des Spiels überprüft wurde und dass tatsächlich eine Fehlfunktion vorgelegen hat.« Der nach dem Absturz auf einen direkten Abstiegsplatz eigentlich gar nicht zum Scherzen aufgelegte Arminia-Coach Frank Kramer nahm die Kuriosität mit einem Anflug von Galgenhumor hin: »Je mehr Technik, desto besser ist es. Dann kann die Technik die Technik wiederum überstimmen.«

Doch nicht auszudenken, was passiert wäre, wenn niemand den Blackout der 2015 eingeführten Torlinientechnologie entlarvt hätte. Zum einen hätte ein Bielefelder Protest große Aussicht auf Erfolg besessen. So wie der DFB nach dem bislang einzigen Phantomtor von Thomas Helmer am 23. April 1994 im Bundesligaspiel FC Bayern – 1. FC Nürnberg (2:1) eine Neuansetzung verfügte und danach einen heftigen Rüffel des damals noch auf die Tatsachenentscheidung des Schiedsrichters pochenden Weltverbandes Fifa kassierte. Zum anderen hätte es wieder kräftig an der Reputation eines Referees gekratzt, der sogar Morddrohungen erhielt, nachdem der junge BVB-Profi Jude Bellingham an Zwayers zwielichtige Rolle im Hoyzer-Skandal erinnert hatte. Danach meldeten sich zur Causa fast jeder, der irgendetwas im deutschen Schiedsrichterwesen zu tun hat. Aus Selbstschutz verordnete sich der Berliner Immobilienkaufmann hernach an der Pfeife eine Auszeit, die erst vor fünf Wochen endete.

Es entbehrt nicht einer gewissen Pikanterie, dass Zwayer am Samstag noch an einem anderen Novum tatkräftig beteiligt war, als er in der zweiten Hälfte dreimal binnen einer Viertelstunde auf den Elfmeterpunkt deutete. Doch schimpfte der ostwestfälische Abwehrchef Amos Pieper nicht über den Spielleiter, sondern mit seinen töricht foulenden Mitspielern Manuel Prietl und Andrés Andrade. Nacheinander verwandelten Niakhaté (65.), Burkardt (75.) und Marcus Ingvartsen (79.) sicher, wobei bemerkenswert war, dass Kapitän Niakhaté allein bestimmte, wer schießt. »Er ist der Boss«, berichtete Burkardt. Die Nullfünfer fahren bestens mit ihrem Auswahlverfahren, wie eine Serie von 36 verwandelten Elfmetern seit April 2013 (!) belegt.

Auch eine solche Elferflut, bekundete Zwayer, sei sicherlich »außergewöhnlich«. Doch wenn Foulspiele passierten, »dann müssen sie geahndet werden. Dann kann ich auch nicht anfangen zu zählen. Und dann sagen: Ja Mensch, jetzt wird es aber zu viel«. Generell habe ihm der Nachmittag am Mainzer Europakreisel gezeigt, wie spannend sein Job sein kann: »Es passieren Dinge, mit denen man nicht rechnet und dann ist es ganz wichtig, Ruhe zu bewahren und den gesunden Menschenverstand zu benutzen.« Das hat er gut gesagt – und auch gut gemacht.

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